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planet toys_Dez_2020

planet toys Dezember

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INTERVIEW DES MONATS<br />

<strong>planet</strong> <strong>toys</strong> 13<br />

»Die Hauptaufgabe wird es<br />

deshalb sein, zu einer<br />

Verbundgruppenplattform<br />

zu werden. Das können sich<br />

die Verbundgruppen jetzt<br />

bei den Sparkassen abschauen.«<br />

PROF. DR. GERRIT HEINEMANN<br />

und jetzt noch einmal welches bereitzustellen,<br />

was dahinschlummert, ist,<br />

glaube ich, nicht Sinn der Sache. Als<br />

Regierung würde ich eher dafür sorgen,<br />

dass die Gemeindereform, die die<br />

Doppelspitze aus Bürgermeister und<br />

Stadtdirektor abschaffte, rückgängig<br />

gemacht wird. Wenn Herr Altmaier<br />

glaubt, das föderalistische System<br />

umgehen zu können, um 12.000 Städte<br />

mit einem Kleckerbetrag beglücken zu<br />

können, macht mich das sprachlos.<br />

Die SZ überschrieb Mitte <strong>2020</strong> einen<br />

Artikel zur Lage der Innenstädte mit<br />

„Der Einzelhandel verschwindet – und<br />

das ist gut so“. Haben Sie unter einem<br />

Pseudonym veröffentlicht?<br />

G.H.: (lacht) Ich will ja nicht, dass der<br />

Einzelhandel verschwindet, ich glaube<br />

nur, dass die Bürger, die mit den Füßen<br />

und zunehmend mit dem Daumen<br />

abstimmen, diejenigen sind, die das<br />

entscheiden. Wenn sie sich gegen den<br />

innerstädtischen Einzelhandel entscheiden,<br />

dann gibt es dafür Gründe.<br />

Die spannende Frage ist nur, was wir<br />

mit dem Leerstand machen. In manchen<br />

Städten liegt die Leerstandsquote<br />

bei 40 %. Man kann ja mit dem Leerstand<br />

in Innenstädten sinnvolle Dinge<br />

tun wie z. B. Wohnraum schaffen, aber<br />

dafür müsste man mit den Vermietern<br />

sprechen und die müssten akzeptieren,<br />

dass ihre Anlageobjekte in der<br />

Innenstadt nicht mehr so attraktiv sind.<br />

Es bedeutet weniger Mieteinnahmen.<br />

Nicht so toll für Immobilienfonds und<br />

Banken, oder?<br />

G.H.: Ja, die Banken stehen unter Anlagendruck.<br />

Sparkassen haben 15 %<br />

ihrer Einlagen in Immobilien anzulegen,<br />

was natürlich die Immobilienpreise<br />

treibt. Man kann sich ausrechnen,<br />

was das bedeutet, wenn die Buchwerte<br />

durch geringere Mieteinnahmen abgewertet<br />

werden müssten. Das hätte unter<br />

Umständen die nächste Pleitewelle<br />

zur Folge.<br />

Das Geschäftsmodell von Karstadt/<br />

Kaufhof bezeichnen Sie als eine einzige<br />

Insolvenzkaskade auf Kosten der<br />

Lieferanten, die den Konzern künstlich<br />

beatmen. Wenn sich der Handel<br />

aber neu erfinden muss, warum kann<br />

sich dieses Geschäftsmodell nicht neu<br />

erfinden?<br />

G.H.: Weil es so veraltet ist, dass ich<br />

keinen einzigen Ansatz sehe, wo es einen<br />

Vorteil bieten würde.<br />

Auch wenn von 1999 bis 2019 der reale<br />

Umsatzverlust bei den Kaufhäusern<br />

42 % betrug, heißt das nicht,<br />

dass sich die Entwicklung fortsetzen<br />

muss, oder?<br />

G.H.: Ich glaube, man kann mit Dinosauriern<br />

auch ein Geschäft machen,<br />

indem man sie in einen Jurassic Park<br />

packt und dafür Eintritt nimmt. Das<br />

wäre ein Ansatzpunkt.<br />

Betroffene Stadtoberhäupter sehen<br />

das anders. Haben Sie eine Idee, was<br />

die Politik den austauschbaren Fußgängerzonen,<br />

Shopping-Malls und<br />

Arkaden entgegensetzen kann?<br />

G.H.: Abreißen und dafür Wohnraum<br />

schaffen, den wir dringend benötigen.<br />

Dafür gibt erste Beispiele. Die Bauministerin<br />

von NRW hat das fast genauso<br />

gesagt wie ich. Man kann nicht<br />

verkrampft an einem Hohlkörper festhalten.<br />

Die logische Konsequenz kann<br />

nur abreißen sein, genauso wie es die<br />

logische Konsequenz für Fußgängerzonen<br />

ist, sie zurückzubauen und Autos<br />

fahren zu lassen. Oder Parks und<br />

Grünflächen anlegen zur Erholung und<br />

Klimaverbesserung.<br />

Braucht die Politik nicht dafür ein Gesamtkonzept?<br />

G.H.: Ja, die Bürger müssen dabei<br />

noch stärker einbezogen werden, was<br />

mit ihrer Stadt passiert, denn in vielen<br />

Städten möchten die Bürger kein<br />

Halligalli und das heißt auch weniger<br />

Shopping, denn Shopping heißt nicht<br />

Versorgung. Es macht ja Sinn, die Versorgungsfunktion<br />

wieder in die Stadt<br />

zu holen. Eine Stadt muss kein Shopping-Center<br />

sein.<br />

Dem HDE schwant, wie gesagt, nichts<br />

Gutes. Womit rechnen Sie?<br />

G.H.: Es gibt etwa 320.000 HDE-Mitglieder,<br />

aber es gibt viele Handelsformen,<br />

die nicht als Einzelhandel betrachtet<br />

werden, obwohl es Einzelhandel ist, z.<br />

B. Apotheken, Autohändler oder Kioske.<br />

Zähle ich alles zusammen, komme<br />

ich mindestens auf 400.000 Handelsunternehmen,<br />

davon sind 94 % Kleinsthändler.<br />

Meine Aussage ist, von den<br />

400.000 Handelsunternehmen können<br />

durchaus Ende 2021 die Hälfte nicht<br />

mehr da sein. In seinen Prognosen unterstellte<br />

der HDE immer, dass wir keinen<br />

zweiten Lockdown haben. Faktisch<br />

haben wir jetzt einen zweiten. Seit Mitte<br />

Oktober hat sich die Frequenz in den<br />

Top-10-Innenstadtlagen halbiert.<br />

Die Forderungen aus dem Handel reichen<br />

von weiteren Soforthilfen bis hin<br />

zur Verlängerung der Mehrwertsteuerabsenkung.<br />

Wer braucht die Hilfen<br />

konkret?<br />

G.H.: Der HDE versucht sich an einem<br />

Spagat, den ich nicht könnte. Der Einzelhandel<br />

ist eine Wachstumsbranche,<br />

die im ersten Halbjahr besser dastand<br />

als alle anderen Branchen und sogar<br />

real gewachsen ist. Ich glaube, wir<br />

müssen differenzieren. Lebensmittelhandel<br />

inklusive Drogerien macht<br />

50 % des Handels aus, denen geht es<br />

super. Baumärkte erzielten ein Plus<br />

von 15 % im ersten Halbjahr. Über den<br />

Onlin-Handel muss ich nicht sprechen.<br />

Wir reden also von einem Fünftel des<br />

Handels, das schon vor Corona krank<br />

war und jetzt durch Corona noch ein<br />

bisschen kränker geworden ist, aber<br />

nicht mehr komplett zu retten sein<br />

wird.<br />

Sie haben der Politik vorgeschlagen,<br />

schwachsinnige Regularien abzuschaffen,<br />

zum Modell des kompetenten<br />

Stadtdirektors zurückzukehren<br />

und Vermieter zu reglementieren, damit<br />

die Stadt weiß, wer einzieht. Das<br />

wird auch der gutwilligste Händler<br />

nicht aussitzen können!<br />

G.H.: Klar, reicht nicht, da gebe ich Ihnen<br />

recht.<br />

Was muss dazukommen?<br />

G.H.: Umsatz, Kunden, Frequenz, aber<br />

die haben wir nicht, die können wir<br />

nicht aus dem Hut zaubern. Ich kann<br />

jetzt eine Entscheidung treffen, vergleichbar<br />

mit dem Kohlebergbau: Sollen<br />

wir Teile des Einzelhandels, der<br />

nicht zukunftsfähig ist, ebenso subventionieren<br />

wie die Braunkohle am<br />

Niederrhein, obwohl es keinen Sinn<br />

macht?<br />

Die Unternehmensberatung Accenture<br />

sieht ein „Jahrzehnt des Zuhauses“<br />

heraufziehen. Warum soll es so

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