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planet toys_Dez_2020

planet toys Dezember

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INTERVIEW DES MONATS<br />

<strong>planet</strong> <strong>toys</strong><br />

kommen und was hätte das für Folgen<br />

für den Handel?<br />

G.H.: Das war etwas überspitzt formuliert,<br />

aber die Tendenz stimmt,<br />

weil verschiedene Dinge zusammenkommen,<br />

wie z. B. Homeoffice. Immer<br />

mehr Unternehmen sagen, dass sie<br />

50 % der Gewerbe- oder Büroflächen<br />

nicht mehr brauchen. Zweitens kommt<br />

eine gewisse Kontakttraumatisierung<br />

hinzu. Viele Menschen werden über<br />

eine längere Zeit Ansammlungen vermeiden,<br />

was zu einem Cocooning führen<br />

dürfte und damit zu einem Jahrzehnt<br />

des Zuhauses.<br />

Amazon eilt von Rekord zu Rekord.<br />

Das Geschäft mit Third Party Sellern<br />

wuchs im 2. Quartal allein um 52 %<br />

auf mehr als 11 Mrd. $ und damit am<br />

stärksten. Ist der Handel mittlerweile<br />

Sklave des Konzerns? Gewinnt immer<br />

nur Amazon?<br />

G.H.: Ja, wer in den Löwenkäfig geht,<br />

sollte eine Dompteurausbildung und<br />

eine Peitsche dabeihaben. Bei Amazon<br />

ist nichts verhandelbar, alles funktioniert<br />

nach dem Motto „Friss oder<br />

stirb!“. Wir haben doch gesehen, dass<br />

in der Engpasssituation während des<br />

Lockdowns Amazon bewusst Marktplatzpartner<br />

depriorisiert hat und<br />

kleine Unternehmen, die auf das Fulfillment<br />

angewiesen sind, ausschloss.<br />

Das zeigt nicht nur, dass wir quasi<br />

ein Monopol haben, sondern mehrere<br />

Ansätze des Missbrauchs dieser Monopolstellung<br />

vorliegen. Was ich nicht<br />

verstehe, ist, dass das Kartellamt da<br />

nicht einschreitet, sondern Herr Mund<br />

wahrscheinlich im Homeoffice Cocooning<br />

betreibt.<br />

Sie haben für die Sparkassen-Finanzgruppe<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Finmas eine Studie zur Plattformökonomie<br />

erarbeitet. Was können Verbundgruppen<br />

daraus lernen?<br />

G.H.: Sparkassen sind sehr atomisiert.<br />

Wir haben um die 370 oder 380 eigenständige<br />

Sparkassen, die zwar in einer<br />

Dachorganisation zusammengefasst<br />

sind, aber eigenständig agieren. Sie<br />

werden den Wandel zur Plattformökonomie<br />

nur durch eine stärkere Kooperation<br />

und ein Zusammengehen bis<br />

hin zur Fusion stemmen können. Auf<br />

europäischer Ebene haben wir eine<br />

deutliche Zensur mit dem sogenannten<br />

PSD2 gehabt, was so viel heißt,<br />

dass jedes Geldinstitut einem anderen<br />

Geldinstitut oder Wettbewerber<br />

den Zugang zu den Kundendaten und<br />

-konten über entsprechende Schnittstellen<br />

zugänglich machen muss. Das<br />

führte dazu, dass sich schlagartig der<br />

Wettbewerb in der Bankenlandschaft<br />

verzigfacht hat. Plötzlich kamen Plattformen<br />

wie Check 24 oder Verivox um<br />

die Ecke, die hochkomplexe Bankprodukte<br />

wie eine Baufinanzierung anbieten<br />

konnten. Banken haben jetzt im<br />

Grunde genommen nur eine Möglichkeit,<br />

nämlich selbst zur Plattform zu<br />

werden oder sich das Geschäft wegnehmen<br />

zu lassen.<br />

Heißt im Klartext, sie müssen zusätzlich<br />

zu ihren klassischen Bankdienstleistungen<br />

auch andere Produkte anbieten?<br />

G.H.: Ja, Banken haben eine Herstellerdenke,<br />

sie müssen jetzt aber auch<br />

Produkte anderer Finanzdienstleister<br />

anbieten, was enorme Investitionen<br />

erfordert. Entweder werden sie zum<br />

Händler oder eben nicht. Im letzteren<br />

Fall sind sie existenziell hochgradig<br />

gefährdet.<br />

Was ist mit den Verbundgruppen?<br />

G.H.: Gleiches gilt auch für lokale<br />

Händler, die nicht gerne kooperieren,<br />

Verbundgruppen eher opportunistisch<br />

betrachten und den Verbund als goldene<br />

Gans nutzen, was Konditionen<br />

angeht, ansonsten aber die Unterstützung<br />

verweigern. Die Hauptaufgabe<br />

wird es deshalb sein, zu einer Verbundgruppenplattform<br />

zu werden. Das<br />

können sich die Verbundgruppen jetzt<br />

bei den Sparkassen abschauen.<br />

Marktplätze schießen wie Pilze aus<br />

dem Boden. Wie verändern die langfristig<br />

den Markt und wann kommt es<br />

hier zu einer Konsolidierung?<br />

G.H.: Das Verrückte ist, dass wir ja<br />

schon einen konsolidierten Markt haben,<br />

und trotzdem gibt es immer wieder<br />

Neugründungen von regionalen<br />

Marktplätzen. Manche bezeichnen<br />

sich als Marktplatz, obwohl es nur<br />

Stadtportale sind. Die haben keine<br />

Bedeutung. Selbst wenn es mehr als<br />

100 davon geben sollte, machen die<br />

zusammen max. 20 Mio. Handelsvolumen,<br />

sprich Cross Merchandising Volume.<br />

Das ist so viel Umsatz wie eine<br />

gut gehende Aldi-Filiale.<br />

Die Verbundgruppen der Spielwarenbranche<br />

investieren seit ein paar Jahren<br />

in die eigene Webpräsenz, sprich<br />

eigene Marktplätze. Reicht das?<br />

G.H.: Ich glaube, es wird eher was anderes<br />

passieren. Es gibt interessante,<br />

hochspezialisierte Plattformen wie<br />

„Schuhe24“ oder, um eine größere<br />

Plattform zu nennen, Zalando, die es<br />

schaffen, viele lokale Händler an Bord<br />

zu holen. Wahrscheinlich wird das die<br />

Verbundgruppe der Zukunft sein, weil<br />

man ZR per Knopfdruck machen kann.<br />

Kommen wir zu Ihrem neuen Buch<br />

mit dem Titel „Intelligent Retail“. Das<br />

heißt doch umgekehrt, dass der Handel<br />

bis dato tieferbegabt war und jetzt<br />

Nachhilfeunterricht braucht, oder?<br />

G.H.: Das Buch muss noch geschrieben<br />

werden. Es wäre die Neuauflage von<br />

„Die Neuerfindung des stationären<br />

Einzelhandels“. Der Titel stammt aber<br />

nicht von mir, sondern von Microsoft.<br />

Microsoft hat im Januar auf der NFR<br />

New York, der weltweit größten Messe<br />

für Retailer, Problemlösungen für den<br />

Einzelhandel präsentiert und diesen<br />

Begriff geprägt, der mir sehr gut gefällt.<br />

Es ging um die zentralen Themen,<br />

die den Handel der Zukunft prägen,<br />

nämlich darum, dass wir intelligente<br />

Systeme im Handel brauchen, die wir<br />

bisher nicht haben. Wenn der Handel<br />

Systeme anwendet, dann sind es bislang<br />

eher doofe. Der Handel muss heute<br />

datenbasiert arbeiten, was bisher<br />

kein großes Thema war.<br />

Betrachten wir das Wirtschaftswachstum<br />

der letzten Jahrzehnte, sank die<br />

durchschnittliche Rate pro Dekade<br />

von 8 % in den Fünfziger- auf etwa 1,4<br />

in den Nuller-Jahren. Müssen wir Abschied<br />

vom Wachstum nehmen?<br />

G.H.: In Expertenkreisen wird noch<br />

diskutiert, ob wir bei der Konjunkturerholung<br />

mit einem V oder U rechnen<br />

dürfen. Ich sage manchmal, vielleicht<br />

haben wir nur ein L. Die Unterstellung,<br />

dass alles wieder so wird, wie es war,<br />

kann durchaus infrage gestellt werden.<br />

Vielleicht sind die besten Jahre, auf<br />

Deutschland bezogen, tatsächlich vorbei,<br />

während in anderen Regionen der<br />

Welt Wachstum erforderlich ist. Wir<br />

decken im Augenblick durch massive<br />

Staatsverschuldung, die Aussetzung<br />

der Insolvenzmeldepflicht und Kurzarbeit<br />

vieles zu. Das kann man nicht ins<br />

Endlose verlängern. Ich schließe deshalb<br />

nicht aus, dass es vielleicht kein<br />

U oder V wird und wir nicht mehr da<br />

landen, wo wir vorher waren.<br />

Herr Heinemann, wir bedanken uns<br />

für das Gespräch.<br />

ZUR PERSON<br />

Professor Dr. Gerrit Heinemann leitet das eWeb Research Center der Hochschule<br />

Niederrhein in Mönchengladbach. Er gilt als einer der führenden E-Commerce-Experten<br />

Deutschlands. Heinemann wurde an der Westfälischen Wilhelms-Universität<br />

in Münster beim „Marketing-Papst“ Prof. Dr. Heribert Meffert<br />

promoviert. Er ist Autor und Herausgeber diverser Fachbücher. Zuletzt erschien<br />

von ihm und den Consumer-Goods-Spezialisten Thomas Täuber und Mathias<br />

Gehrckens „Handel mit Mehrwert – Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen<br />

und Geschäftssystemen“.

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