Frühstück bei Sokrates - Lalegion-pictures.com
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XVIII<br />
Ein begrenztes Publikum<br />
1.<br />
1637 zeichnet ein berühmter Mathematiker im Alter von<br />
einundvierzig Jahren seinen Lebensweg nach. Er tut es in Französisch,<br />
das heißt in der Volkssprache, damit »die Frauen auch<br />
etwas davon begreifen«. Er heißt Descartes und sein Buch Discours<br />
de la methode. Er beschließt, sich über die ach so gelehrten<br />
Köpfe von seinesgleichen hinweg direkt an das breite Publikum<br />
zu wenden. Ein wagemutiger Schritt auch für ihn selbst.<br />
Denn wenn Descartes argumentierte, geschah es spontan in<br />
Latein. Latein, eine gelehrte und vertraute Sprache. Die Gymnasiasten<br />
mußten nicht nur von morgens bis abends lateinisch<br />
schreiben, sondern auch sprechen. Wie polyglott mögen die<br />
Träume in den Schlafsälen gewesen sein! Ein Schüler des College<br />
de France mußte nach einem langen Studientag einfach überwiegend<br />
lateinisch träumen ... Und Descartes' Träumereien<br />
frühmorgens in seinem Bett, die freie Assoziation von Gedanken<br />
und Worten, das »Federbett-Bettstatt-Statthalter« seiner<br />
Zeit - wie wird das vor sich gegangen sein <strong>bei</strong> ihm, der die<br />
Poesie und barocke Delirien so sehr liebte? In Latein oder in<br />
Französisch? Wenn er an die Substanz dachte, das Sein, die<br />
Quintessenz (quinta essentia), die Perfektion, meldeten die<br />
lateinischen Worte ihre Anwesenheit. Aber um sein Leben zu<br />
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