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Leseprobe Gesang vom Leben

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unentgeltlich ausgebildet werden. Warum sich der musikalische<br />

Multi funktionär 1775 schließlich <strong>vom</strong> Grossen Concert zurückzieht,<br />

bleibt im Dunkeln. Hiller schweigt sich auch in seiner neun Jahre<br />

später verlegten Autobiografie darüber aus. Einige Berichte von Zeitzeugen<br />

lassen vermuten, dass sich der Kapellmeister im Gegensatz<br />

zu früheren Zeiten nicht mehr mit der nötigen Autorität durchsetzen<br />

kann. 90 46 Jahre alt ist Johann Adam Hiller zu dieser Zeit. Vielleicht<br />

durchlebt er ja das, was man in viel späteren Zeiten gemeinhin<br />

als »Midlife crisis« beschreibt. Möglich ist aber auch, dass äußere<br />

Umstände den Rückzug erzwingen. Infolge der Reparationen, die<br />

noch immer gezahlt werden müssen, ist die Stadt hochverschuldet.<br />

Zwei aufeinanderfolgende Hungerjahre haben das <strong>Leben</strong> verteuert,<br />

mehrere der Kaufleute, die das Konzertunternehmen tragen, sind<br />

pleite. Zudem gelingt es auch nach Jahren nicht, adäquaten Ersatz<br />

für die 1771 nach Berlin wechselnde Ausnahmesängerin Gertrud<br />

Elisabeth Schmeling zu finden, deren Auftritte das Grosse Concert<br />

stets zur Sensation machen. Dass Hiller also just zu dieser Zeit eine<br />

Singschule gründet, ist beileibe kein Zufall: Wenn die Not am größten,<br />

ist Gottes Hilfe am nächsten.<br />

Die Singschule hilft dem Kapellmeister gleich in mehrfacher Hinsicht.<br />

Schon im Jahr nach ihrer Gründung hebt er mit gemeinsam mit<br />

seinen Schülern die Musikübende Gesellschaft aus der Taufe. 30 Mal im<br />

Jahr tritt diese Truppe im Thomäischen Haus am Markt, dem einstigen<br />

Kaffeehaus Apel, mit eigenen Konzerten auf. Unterstützt wird<br />

sie dabei von den zum Teil gleichen professionellen Musikern, die<br />

auch in der Konkurrenz des Grossen Concert tätig sind. Nachdem<br />

das Traditionsunternehmen 1778 die Konzerte im Drei Schwanen<br />

infolge fehlender Subskribenten endgültig einstellt, ist Hiller sofort<br />

zur Stelle, als ihm sein Freund Carl Wilhelm Müller, inzwischen<br />

Bürgermeister, einen mutigen Plan präsentiert. Die Kurzfassung der<br />

Idee: Das der Stadt gehörende Messehaus der Tuchmacherinnung,<br />

das sogenannte Gewandhaus, besitzt einen riesigen hölzernen Dachboden,<br />

auf dem einst Stoffe getrocknet wurden. Inzwischen aber<br />

würde die Etage meist leer stehen, darum ließe sich dort ein städtischer<br />

Konzertsaal einbauen. Gesagt, getan: Unter Federführung des<br />

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