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Leseprobe Gesang vom Leben

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Mode wird, überzeugt er einige Freunde, die Werke früherer Zeiten<br />

mit jenen Instrumenten zu spielen, für die sie geschrieben wurden.<br />

Die dafür nötigen Forschungen, vor allem das Studium alter Quellen,<br />

in denen von Instrumenten und ihren Spielweisen berichtet wird,<br />

erledigen die jungen Leute selbst und knüpfen auch Kontakte zu Instituten<br />

in Westeuropa, an denen ähnlich geforscht wird. Was heute<br />

selbstverständlich ist, sorgt damals bei vielen Kollegen für Kopfschütteln.<br />

Bis ins Gewandhausorchester hinein reicht die Ablehnung.<br />

Denn der »Heilige Stuhl« in Sachen Alter Musik ist hier unzweifelhaft<br />

der Thomanerchor, an dem sich die Welt zu messen habe. Dass aber<br />

seit den 1970er Jahren auf der anderen Seite der Mauer immer mehr<br />

auf Originalinstrumenten agierende Spezialensembles eine historisch<br />

informierte Stilistik pflegen, nimmt man kaum zur Kenntnis. Wenn<br />

er den Namen Harnoncourt höre, drehe er das Radio ab, kokettiert<br />

zum Bachjubiläum 1985 der Konzertmeister eines Ensembles, das den<br />

Thomaskantor sogar im Namen trägt.<br />

Leipzig tut sich lange schwer mit jenen Musikern, die Barockem<br />

mit Darmsaiten und Rosshaarbögen zu Leibe rücken. Noch im Bachjahr<br />

2000 eskaliert eine Podiumsdiskussion, weil Experten wagen, die<br />

hiesige Bachpflege infrage zu stellen. Öffnen sich die einheimischen<br />

Säulen nicht jenen musikhistorischen Erkenntnissen, die andernorts<br />

längst Standard sind, geht der Anschluss an die internationale<br />

Szene verloren und das Bachfest hätte keine Berechtigung, heißt es<br />

damals. Die drastische Prophezeiung bewahrheitet sich zum Glück<br />

nicht. Denn zu dieser Zeit geht bereits eine neue Saat auf: Nach der<br />

Friedlichen Revolution gründen Musiker wie Gotthold Schwarz, der<br />

2016 Thomaskantor wird, eine Reihe von Ensembles, in denen junge<br />

Musiker auf alten Instrumenten spielen. Gefördert werden diese<br />

besonders an der Universität, wo Wolfgang Unger und sein Nachfolger<br />

David Timm seit 1993 mit dem Pauliner Barockorchester konsequent<br />

auf historische In strumente setzen. Der Generationswechsel in<br />

den beiden Traditionsorchestern führt zudem dazu, dass auch dort<br />

immer mehr Musiker gleichermaßen in moderner wie in historischer<br />

Stilistik bewandert sind. Ein Pfund, das auch Thomaskantor Georg<br />

Christoph Biller am Ende seiner Amtszeit nutzt, um die Leipziger<br />

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