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Leseprobe Gesang vom Leben

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sich längst nicht mehr alle kritischen Aussagen verbieten. Wohl aber<br />

können die Kulturbürokraten verhindern, dass diese Kritik in großen<br />

Hallen zu hören ist oder gar auf Schallplatte gepresst wird.<br />

So kommt es, dass die viel gerühmte Leipziger Liederszene kaum<br />

außerhalb ihrer eigentlichen Kreise bekannt wird. Während der Berliner<br />

Oktoberklub als offizielle und staatskonforme Dependance der<br />

Singebewegung Schallplatte um Schallplatte produziert, werden den<br />

Liedermachern der Musikstadt so gut wie keine Studioproduktionen<br />

erlaubt. Dem widerspricht die Qualität dessen, was hier entsteht.<br />

Weil überproportional viele Preisträger der Nationalen Chansontage<br />

in Frankfurt/Oder aus Leipzig kommen, wird die Musikstadt auch<br />

zur »Chansonhauptstadt der DDR« geadelt. Doch einen Studiovertrag<br />

erhält keiner der Geehrten. Nur wenige Mutige, wie der einstige<br />

Häftling Hubertus Schmidt, wagen es, Kopien selbst produzierter<br />

Aufnahmen bei ihren Konzerten zu verkaufen – zumindest deren<br />

Vervielfältigung ist zu dieser Zeit illegal.<br />

Die kulturpolitische Großwetterlage der späten 1980er Jahre lässt<br />

auch jene hoffen, die nicht auf sorgsam komponierte Mehrstimmigkeit<br />

zu Akustik-Gitarren setzen, sondern in Nachfolge der Rolling<br />

Stones einen Rock in eher härteren Spielarten bevorzugen. Spätestens<br />

seit 1982 gibt es auch in Leipzig eine Formation, die diesen Stil<br />

bedient und die dank der Tatsache, dass die beteiligten Musiker<br />

ihr Handwerk verstehen, eine Art Hoffnungsträger der Szene ist:<br />

Die Zucht. Die Gruppe, die einige Zeit lang im halblegalen Bereich<br />

auftritt, präsentiert sich ebenso wie viele ähnliche Bands zwischen<br />

Rostock und Plauen überraschend unangepasst. Das <strong>Leben</strong>sgefühl<br />

der letzten Generation der DDR-Jugend prägen diese selbst ernannten<br />

»anderen Bands aus dem Osten« (in Abgrenzung zu den offiziell<br />

zugelassen Gruppen) damit so deutlich, dass ihre Musik später zum<br />

Sound der Wende wird. Postpunk und New Wave sind die Schubladen,<br />

die Musikkritiker gern öffnen, wenn sie diese Musik beschreiben.<br />

Doch viel entscheidender ist die theatralische Inszenierung der<br />

Auftritte als Gesamtkunstwerk, was einige Jahre später auch Nachwendebands<br />

wie Rammstein imitieren, weil deren Musiker ähnlich<br />

sozialisiert sind. »Wir haben unsere eigene Musik gemacht, weil es<br />

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