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Emsblick Haren - Heft 61 (März/April 2021)

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Mutti hat Hotel gelernt und<br />

managt den Hotelbetrieb mit<br />

viel Engagement, während<br />

Hubert sich um seine Bäckerei<br />

kümmert. Und Hubert<br />

macht das sehr gut! Ohne<br />

den anderen Bäckern zu nahe<br />

treten zu wollen, muss man<br />

wohl sagen, hier gibt es das<br />

beste Brot der Stadt. Während<br />

in <strong>Haren</strong> üblicherweise<br />

Schwarzbrotstuten gebacken<br />

wird, führt Hubert zu dieser<br />

Zeit als einziger <strong>Haren</strong>er Bäcker<br />

„Kommissbrot“. Das ist<br />

festes gemischtes Brot, so<br />

ähnlich, wie heute Paderborner.<br />

Und Hubert ist nicht nur<br />

als Bäcker, sondern auch als<br />

Konditor oberste Sahne. In<br />

seinem Backwarenladen auf<br />

der rechten Seite des Gebäudes<br />

ist unter einer schönen<br />

gläsernen Vitrine eine beachtliche<br />

Auswahl von Süßwaren<br />

zu bestaunen, dekorativer<br />

und üppiger als bei den<br />

andern Bäckern: Erdbeer-<br />

Sahnekuchen, Apfeltaschen,<br />

Berliner, Plunder, Cremeschnittchen,<br />

Hefegebäck,<br />

Schnecken, Amerikaner, Blätterteig…<br />

und natürlich gibt´s<br />

wie in jeder Bäckerei in <strong>Haren</strong><br />

auch „Beschüt“: Eine Kalorienbombe<br />

aus Zwieback<br />

mit Butter und Zucker. Nicht<br />

zuletzt diesen Leckereien haben<br />

Elisabeth und Hubert es<br />

verdanken, dass das „Muttis“<br />

als Café einen ausgezeichneten<br />

Ruf genießt.<br />

Vorne, auf der linken Seite<br />

des Gebäudes, betritt man<br />

zunächst die Wirtschaft. Dahinter<br />

ist ein Salon, der morgens<br />

als Frühstücksraum für<br />

die Hotelgäste und tagsüber<br />

als Café fungiert. Im rückwärtigen<br />

Teil des Gebäudes<br />

schließt sich ein großzügiger<br />

heller Raum mit Wintergartencharakter<br />

an. Dieser hat<br />

einen schönen Terrazzoboden<br />

und ist sehr geschmackvoll<br />

eingerichtet. Große<br />

Sprossenfenster öffnen den<br />

Blick zum Kanal und im Sommer<br />

kann man die große doppelflügelige<br />

Tür weit öffnen.<br />

Zum gepflegten, gärtnerisch<br />

gestalteten Gastgarten führt<br />

eine Treppe hinab. Bei schönem<br />

Wetter werden einfach<br />

die Stühle und Tische hinausgestellt<br />

und man kann unter<br />

dem großen Weidenbaum<br />

sitzen und den lieben Gott einen<br />

guten Mann sein lassen.<br />

Aber es sind nicht allein die<br />

Süßspeisen oder die Außenterrasse,<br />

die dem „Muttis“<br />

eine so herausragende Bedeutung<br />

verleihen. In der<br />

Zeit nach dem ersten Weltkrieg<br />

hat sich hier (wie in den<br />

Städten) das Angebot des<br />

allsonntäglichen Tanztees<br />

etabliert.<br />

Die junge Gisela Linnemann<br />

ist oft mit ihrer Mutter da.<br />

Und mit ihrer jüngeren<br />

Schwester, die bisweilen<br />

auch ihre Freundin Marga<br />

Stomberg von über der Ems<br />

im Schlepptau hat. Die jungen<br />

Mädchen trinken Regina<br />

und Apfelsaft und stecken<br />

zum tuscheln die Köpfe zusammen,<br />

während Mutter<br />

Linnemann sich indessen<br />

den guten Bohnenkaffee und<br />

köstliches Gebäck setzen<br />

lässt. Es gibt - man höre und<br />

staune - sogar Ananaskuchen.<br />

Und das mitten in der<br />

Nazizeit! Mutter gönnt sich<br />

danach ein oder zwei Cognac<br />

und eine Zigarette mit provozierend<br />

langem Mundstück,<br />

was von den Frauen an den<br />

Nachbartischen überaus kritisch<br />

beäugt wird.<br />

Frauen trinken üblicherweise<br />

nur süße Likörchen und rauchen<br />

ist in der <strong>Haren</strong>er Damenwelt<br />

eigentlich tabu.<br />

Am späteren Nachmittag<br />

wechselt das Publikum. Adrett<br />

gekleidete Fräuleins im<br />

Kreise ihrer Freundinnen und<br />

Grüppchen jüngerer Männer<br />

in Anzügen erscheinen<br />

zum Tanz. Junge Leute dürfen<br />

zu dieser Zeit bis 20 Uhr<br />

ausgehen. Danach nur noch<br />

in Begleitung Erwachsener.<br />

Vorne in der Wirtschaft steht<br />

ein Grammophon mit Kurbel.<br />

Hubert und Mutti, manchmal<br />

auch die Bedienung, legen im<br />

Wechsel die aktuellen Platten<br />

auf und wenn nicht viel Betrieb<br />

herrscht, darf man sich<br />

auch schon mal ein Lied auswählen:<br />

„Mia Bella Napoli“,<br />

„Die Frauen sind gefährlich“<br />

oder auch „Ist doch gleich,<br />

wen wir lieben“ von Zarah<br />

Leander. Es ist sehr kurzweilig<br />

und die Zeit vergeht wie<br />

im Fluge. Die jungen Männer<br />

trinken wie üblich Schnaps<br />

und Bier und trauen sich<br />

nach und nach zum Tanz aufs<br />

Parkett. Der galante Schneider<br />

Hermes von der Emsstraße<br />

bringt Gisela ein wenig<br />

Tango bei und manchmal<br />

bekommt sie von einem der<br />

Herren schon mal eine Cola<br />

ausgegeben. Gisela ist Teenager<br />

zu dieser Zeit, aber das<br />

sagt man so nicht. Das heißt<br />

damals „Backfisch“.<br />

Diese Geschichte verdanken<br />

wir der guten<br />

Gisela Linnemann.<br />

Fotos: Archiv Mecklenburg<br />

Gast und eine Kellnerin im Gastgarten im<br />

rückwärtigen Teil des Anwesens unweit des<br />

<strong>Haren</strong>-Rütenbrock-Kanals. Die eng anliegende<br />

Bluse, dazu langer Rock und etwas kürzere<br />

weiße Schürze ist für Servicepersonal im Muttis<br />

obligatorisch.<br />

Linke Fensterachsen: Gaststätte, rechte Fensterachsen:<br />

Backwarengeschäft.<br />

<strong>März</strong>/<strong>April</strong> <strong>2021</strong> – emsblick | 25

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