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279.TIROL - März 2021

Ausgabe 3, März 2021

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62 tirol.hat Recht tirol.hat Recht<br />

63<br />

ERSTE URTEILE ZUR FRAGE:<br />

„MUSS EIN GESCHÄFTSRAUMMIETER WÄHREND<br />

DES LOCKDOWNS DEN MIETZINS BEZAHLEN?“<br />

ZUM AUTOR<br />

RA MAG. DANIEL S.<br />

AZEM, MSC,<br />

HEID & PARTNER<br />

RECHTSANWÄLTE<br />

Daniel Azem studierte an der Universität<br />

Wien und am International<br />

Law Institute in Washington. Er<br />

ist u. a. spezialisiert auf Liegenschaftsrecht<br />

und Vertragsrecht.<br />

Er betreut diverse Bauträger und<br />

begleitet Unternehmen wie Privatpersonen<br />

in sämtlichen Bereichen<br />

des Liegenschaftsrechts.<br />

Bei behördlich angeordneten<br />

Betriebsschließungen und Nichtbenutzbarkeit<br />

des Geschäfts-<br />

lokals kann die Mietzinszahlungspflicht<br />

entfallen.<br />

Gemäß ersten Urteilen – jedoch nur auf<br />

bezirksgerichtlicher Ebene – ist die Covid-<br />

19-Pandemie als Seuche anzusehen und<br />

befreit unter Umständen Geschäftsraummieter*innen<br />

von der Mietzinszahlungspflicht.<br />

Eine über 100 Jahre alte Gesetzesstelle,<br />

die viele Jahre nur eine sehr<br />

eingeschränkte Praxisrelevanz hatte, soll<br />

nun Antworten auf aktuelle Probleme zahlreicher<br />

Mieter*innen bieten. § 1104 ABGB<br />

erreichte durch die Covid-19-Pandemie an<br />

Bedeutsamkeit für zahlreiche Mieter*innen<br />

von Geschäftsräumen, welche aufgrund der<br />

behördlichen Anordnungen zur Schließung<br />

ihrer Geschäftslokale während des ersten<br />

und zweiten Lockdowns verpflichtet waren<br />

und – aktuell während des dritten Lockdowns<br />

– wieder sind.<br />

Die zentrale Frage, die sich stellt, ist:<br />

„Befreit die behördlich angeordnete Verpflichtung<br />

zur Schließung den Mieter/die<br />

Mieterin von der Pflicht zur Zahlung des<br />

Mietzinses?“ Mit der Auseinandersetzung<br />

mit dieser Frage sind zahlreiche Gerichte<br />

derzeit beschäftigt. Eine eindeutige Antwort<br />

auf diese Frage gibt es nach wie vor nicht.<br />

Zwei Gerichtsentscheidungen des Bezirksgerichts<br />

Meidling zeigen nun jedoch eine<br />

erste Tendenz und ermöglichen eine erste<br />

branchenbezogene Einschätzung.<br />

Das Bezirksgericht Meidling entschied in<br />

zwei Verfahren zugunsten der Mieter*innen<br />

– betroffen waren ein Friseursalon sowie<br />

ein Bekleidungsgeschäft – und sprach aus,<br />

dass aufgrund der durch die Covid-19-Pandemie<br />

bedingten behördlich angeordneten<br />

Betriebsschließungen die Verpflichtung<br />

zur Mietzinszahlung für den Zeitraum des<br />

ersten Lockdowns entfallen sei. Beide Entscheidungen<br />

wurden von derselben Richterin<br />

gefällt, sodass sich auch die rechtlichen<br />

Beurteilungen weitgehend gleichen.<br />

Die zentrale Norm beider Urteile stellt<br />

§ 1104 ABGB dar. Diese sieht vor, dass kein<br />

Miet- oder Pachtzins zu entrichten ist, wenn<br />

die Bestandssache wegen außerordentlichen<br />

Zufalls nicht benutzt werden kann.<br />

Beispielhaft für einen außerordentlichen<br />

Zufall führt das Gesetz die Seuche an. Unter<br />

außerordentlichem Zufall wird in der Literatur<br />

ein vom Menschen nicht beherrschbares<br />

Elementarereignis verstanden, welches<br />

schon seiner Art nach, nämlich aufgrund<br />

seiner Größe und Unabgrenzbarkeit, aus<br />

den Mustern regelmäßiger Abläufe herausfällt<br />

und einen größeren Personenkreis<br />

massiv betrifft.<br />

Das Bezirksgericht Meidling hielt fest, dass<br />

die Covid-19-Pandemie als Seuche im Sinne<br />

des § 1104 ABGB anzusehen sei und daher<br />

einen außerordentlichen Zufall darstelle, der<br />

nicht den Mieter*innen zuzurechnen sei<br />

und kein „allgemeines Lebensrisiko“ darstelle,<br />

sondern einen größeren Personenkreis<br />

betreffe.<br />

Ob dies tatsächlich zu einem Entfall der<br />

Verpflichtung zur Mietzinszahlung führe, sei<br />

abhängig davon, ob eine vertragsgemäße<br />

Nutzung der Bestandssache möglich sei.<br />

Es komme nicht darauf an,<br />

ob die Benützung absolut unmöglich<br />

sei, sondern es sei<br />

– laut Ansicht des Bezirksgerichts<br />

Meidling – ausreichend,<br />

wenn die Benutzung zum bedungenen<br />

Gebrauch unmöglich sei.<br />

Nicht relevant sei also, ob das Objekt noch<br />

auf irgendeine andere Art und Weise – zum<br />

Beispiel für Lagerzwecke – genutzt werden<br />

könne. Da von 16.3.2020 bis zum 30.4.2020<br />

per Verordnung der Zutritt zum Kundenbereich<br />

bestimmter Betriebsstätten des Handels<br />

und von Dienstleistungsunternehmen<br />

sowie von Freizeit- und Sportbetrieben verboten<br />

war, waren die betroffenen Branchen<br />

zum Großteil gezwungen, ihre Geschäfte für<br />

den Kundenverkehr geschlossen zu halten.<br />

Die Möglichkeit, in den Geschäftslokalen<br />

Waren zu lagern, sei nach Ansicht des<br />

Bezirksgerichts unerheblich. Folglich bejahte<br />

das Gericht die gänzliche Unbenutzbarkeit<br />

zum bedungenen Gebrauch, da<br />

das Lagern von Sachen sowohl für einen<br />

Friseursalon als auch für das Bekleidungsgeschäft<br />

nur Ausfluss der eigentlichen<br />

Geschäftstätigkeit sei.<br />

Auch wenn das Bestandsobjekt nach<br />

Beendigung des Lockdowns wieder zur<br />

Verfügung stehe, sei ein gänzlicher Entfall<br />

der Verpflichtung zur Zahlung des Mietzinses<br />

nach dem ausdrücklichen Wortlaut des<br />

§ 1104 ABGB möglich, wenn die in Bestand<br />

genommene Sache wegen einer „Seuche<br />

[...] gar nicht gebraucht oder benutzt werden<br />

kann“. Das Bezirksgericht Meidling verwies<br />

diesbezüglich auf eine OGH-Entscheidung<br />

aus dem Jahr 1953, nach welcher es<br />

zu einem Entfall der Mietzinszahlungspflicht<br />

aufgrund einer Beschlagnahme<br />

eines Geschäftslokals durch eine Besatzungsmacht<br />

gekommen ist.<br />

Interessant wird sein, ob die vorgenannten<br />

Entscheidungen auch für andere Branchen<br />

– z. B. für Büromietverträge oder Restaurants<br />

– relevant sein werden.<br />

Zentrale Entscheidungsmerkmale<br />

für den Entfall der Mietzinszahlungspflicht<br />

sind nach<br />

dem Bezirksgericht Meidling<br />

einerseits der vereinbarte<br />

Verwendungszweck des Mietobjekts<br />

sowie andererseits die<br />

branchenbedingte Betroffenheit.<br />

Während sowohl die Friseur*innen als auch<br />

der Einzelhandel, von einigen Ausnahmen<br />

abgesehen, zur gänzlichen Schließung verpflichtet<br />

waren, bestand in der Gastronomie<br />

grundsätzlich die Möglichkeit, Speisen<br />

zur Abholung anzubieten oder diese<br />

auszuliefern. Auch Büronutzungen waren<br />

VORÜBER-<br />

GEHEND<br />

GESCHLOSSEN<br />

und sind – mit Einschränkungen – zulässig.<br />

In diesem Fall kann also nicht davon<br />

gesprochen werden, dass die angemieteten<br />

Geschäftslokale bzw. Büroräumlichkeiten<br />

aufgrund der Covid-19-Pandemie<br />

nicht mehr zum vertraglich vereinbarten<br />

Zweck benutzt werden konnten. Bietet<br />

z. B. ein Gastronom ein Lieferservice<br />

oder die Möglichkeit der Abholung von<br />

Speisen an und bleibt ihm daher ein<br />

beschränkter Gebrauch des Mietobjekts,<br />

wird die Verpflichtung zur Mietzinszahlung<br />

nicht gänzlich entfallen, aber haben<br />

die Mieter*innen wohl ein Recht auf Minderung<br />

des Mietzinses (§ 1105 ABGB).<br />

Zu überlegen ist auch, ob Mieter*innen<br />

von Geschäftslokalen, die von den Betretungsverboten<br />

ausgenommen waren,<br />

allerdings aufgrund der eingeschränkten<br />

Möglichkeit des Betretens des öffentlichen<br />

Raums kaum Kund*innen empfangen<br />

konnten, von der Mietzinszahlung<br />

befreit sein könnten. Da das Geschäftslokal<br />

in diesen Fällen weiterhin zum vertraglich<br />

vereinbarten Zweck gebraucht<br />

werden konnte und lediglich die Kundenfrequenz<br />

geringer war, ist der Anwendungsbereich<br />

des § 1104 ABGB wohl nicht<br />

eröffnet. Allerdings ist es denkbar, dass<br />

die durch die behördlichen Maßnahmen<br />

bedingte Reduktion des Kundenverkehrs<br />

in diesen Bereichen eine Minderung des<br />

Mietzinses rechtfertigt.<br />

Weil die beiden vorgenannten – mittlerweile<br />

rechtskräftigen – Entscheidungen nur<br />

auf bezirksgerichtlicher Ebene vorliegen,<br />

bleiben noch viele Fragen ungeklärt, etwa<br />

ob eine bloß mittelbare Betroffenheit von<br />

den behördlich angeordneten Schließungen<br />

Auswirkungen auf die Mietzinszahlungspflicht<br />

haben kann. Auch ob der Betrieb<br />

eines Online-Shops oder die Nutzung eines<br />

Teils der Geschäftsräume als Lagerraum<br />

Auswirkungen auf diese haben kann, muss<br />

noch geklärt werden. Ferner bleibt die Rolle<br />

des Umsatzersatzes und des Fixkostenzuschusses<br />

offen. Verwirkt ein solcher die<br />

Befreiung nach § 1104 ABGB?<br />

Die beiden vorgenannten Entscheidungen<br />

und die daraus ableitbaren Tendenzen<br />

der Rechtsprechung treffen nicht nur auf<br />

Erleichterung bei Mieter*innen, sondern<br />

auch auf harsche Kritik auf Seite vieler<br />

Vermieter*innen und aus Teilen der Literatur.<br />

Es ist jedenfalls davon auszugehen,<br />

dass diese Rechtsfrage die österreichischen<br />

Gerichte in den kommenden Monaten<br />

weiterhin stark beschäftigen wird,<br />

sodass es wohl nur eine Frage der Zeit<br />

ist, bis sich der OGH ausführlich mit dieser<br />

Thematik auseinanderzusetzen hat.<br />

OBEN: Viele Geschäftslokale sind derzeit<br />

geschlossen. Müssen Mieter*innen trotzdem Miete<br />

bezahlen? (© shutterstock)

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