279.TIROL - März 2021
Ausgabe 3, März 2021
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ZUR AUTORIN<br />
DGKP MARTINA<br />
BACHLER<br />
Martina Bachler ist diplomierte<br />
Gesundheits- und Krankenschwester<br />
und seit 2019 bei der<br />
GemNova tätig. Sie verantwortet<br />
die Aus- und Weiterbildung im<br />
Bereich Pflege und ist mit ihrem<br />
umfangreichen Wissen eine Expertin<br />
auf ihrem Gebiet.<br />
Kontakt: m.bachler@gemnova.at<br />
Das Jahr 2020 hat sehr überzeugend<br />
gezeigt, welche<br />
Bedeutung Würde und Menschenrechte<br />
für den und im<br />
Beruf Pflege haben. Eine gute<br />
und von Transparenz gekennzeichnete<br />
Zusammenarbeit<br />
ist gerade beim Thema „FBM“<br />
daher zwischen Heimen und<br />
Bewohnervertretungen enorm<br />
wichtig! In meiner Wahrnehmung<br />
funktioniert die Synergie<br />
zwischen beiden erfreulich und<br />
mit gegenseitiger Achtung –<br />
zum Vorteil der bei uns lebenden<br />
Menschen. Dennoch denke<br />
ich, ein Mehr an Schulungen<br />
in dieser Sache wäre sehr<br />
willkommen und ist natürlich<br />
immer sinnvoll.<br />
RICHARD KUSTER,<br />
KLARAHEIM DER<br />
TERTIARSCHWESTERN<br />
SelbstbestimmTes<br />
Leben<br />
Ein Leben in Sicherheit mit Freiheit und Selbstbestimmung sind<br />
Qualitätsmerkmale unserer Gesellschaft. Qualitäten, die sich im<br />
zeitlichen Lebensablauf langsam auf- und wiederabbauen.<br />
Wir werden in der Sicherheit unseres<br />
Elternhauses geboren, und nach und nach<br />
übernehmen wir Selbstverantwortung. Freiheit<br />
ist uns dabei ein individuelles Bedürfnis<br />
in allen Lebenslagen. Ein Bedürfnis, das<br />
in seiner Stärke variiert. Es ist abhängig<br />
von unserer Persönlichkeit, den individuellen<br />
Lebenserfahrungen und der aktuellen<br />
Situation. Bedürfnisse sind nicht dauerhaft<br />
messbar vorhanden. Sie verändern sich im<br />
Laufe des Lebens.<br />
Freiheit im Erwachsenenleben ist geregelt.<br />
Gesellschaftliche Normen und Gesetze<br />
geben uns vor, was wir frei entscheiden<br />
und bestimmen. Wir kennen die Rahmenbedingungen<br />
und wissen genau, wo wir<br />
uns einfügen und unterordnen. So unterscheiden<br />
wir Arbeitszeiten von Freizeiten<br />
usw. Denken wir an unseren Lebenslauf.<br />
Wir starten mit wenig Freiheit und Selbstbestimmung,<br />
verbuchen jeden Schritt in<br />
unsere Selbstständigkeit als Erfolg bis in<br />
unser Erwachsenendasein. Und irgendwann<br />
– dreht sich das Blatt.<br />
Nach langer Zeit mit mehr oder weniger<br />
Selbstständigkeit beginnt der Alterungsprozess,<br />
wir werden körperlich und geistig<br />
schwächer, brauchen wieder Hilfe und<br />
Fürsorge. Das fällt uns schwer. Und dazu<br />
geben wir langsam unsere Freiheit und<br />
Selbstbestimmung, Schritt für Schritt, wieder<br />
ab.<br />
In unseren sozialen Einrichtungen werden<br />
hilfsbedürftige Menschen gepflegt und<br />
umsorgt. Sie erhalten Pflege in Form von<br />
Betreuung und Hilfe. Pflegekräfte machen<br />
jeden Tag aufs Neue eine professionelle<br />
Bestandsaufnahme: Wie viel Freiheit und<br />
Selbstbestimmung ist noch möglich? Ist<br />
„JEDER HAT DAS<br />
RECHT AUF LEBEN,<br />
FREIHEIT UND<br />
SICHERHEIT DER<br />
PERSON.“<br />
UN-MENSCHENRECHTS-<br />
CHARTA IN ARTIKEL 3<br />
Langzeitpflege in der Pandemie<br />
– eine Berufsgruppe muss sich<br />
neu erfinden …<br />
Unverzichtbar: eine Bildungsoffensive<br />
in der Qualitätssicherung<br />
Pflege und ein sensibles<br />
Abwägen zwischen „Bewohnergesundheit“<br />
versus „Bewohnerfreiheit“<br />
– Lebensqualität …<br />
MARTINA MAIR,<br />
WOHN- UND PFLEGEHEIM<br />
FLIRSCH<br />
ein ausreichendes Maß an Sicherheit<br />
gewährleistet? Wie groß ist die Sturzund<br />
Verletzungsgefahr? Eine tägliche<br />
Gratwanderung, bei der auch die eigenen<br />
Grenzen der Pflegekraft überschritten<br />
werden. Grenzen der Belastbarkeit …<br />
Pflegekräfte garantieren für die Sicherheit<br />
ihrer Schützlinge, haben die Aufgabe der<br />
professionellen Pflegeberatung, strukturieren<br />
den Pflegeplan, um Schäden zu vermeiden,<br />
helfen und beaufsichtigen, wann<br />
immer sie können. Was aber passiert mit<br />
jenen Menschen, die aufgrund einer psychischen<br />
Erkrankung oder geistigen Behinderung<br />
selbstgefährdend sind oder sogar<br />
OBEN:<br />
Frau Emmi Unterrainer mit<br />
der Bereichsleitung der Station<br />
„Sonnenplatzl“ Andrea<br />
Schwaiger (© Sabine Thaler)<br />
OBEN:<br />
Martina Mair (rechts) mit<br />
Kolleginnen aus ihrem Team<br />
im Wohn- und Pflegeheim<br />
Flirsch (© Martina Mair)<br />
andere Menschen gefährden? Jene, die<br />
eine Gefahr nicht mehr erkennen – wieviel<br />
Recht an Freiheit und Selbstbestimmung<br />
haben diese?<br />
Die Beachtung der Würde und der Menschenrechte<br />
ist die Aufgabe der professionellen<br />
Pflege. Sollte zur Erhaltung der<br />
Sicherheit eine gesetzlich legitimierte<br />
Freiheitsbeschränkung zur Anwendung<br />
kommen, dann immer nur mit jenen Mitteln,<br />
die diese Selbstbestimmung am<br />
wenigsten beeinträchtigen und die soziale<br />
Integrität und Menschenwürde erhalten.<br />
Für diese schwierigen pflegefachlichen<br />
Entscheidungen und Herausforderungen<br />
braucht es Erfahrung, Kommunikationsfähigkeit,<br />
Fachkenntnis zur Gesetzeslage, zur<br />
Dokumentation und vor allem Kenntnisse<br />
über alternative Pflegetechniken.<br />
GemNova bietet eine neue Fortbildungsreihe<br />
für Pflegekräfte in allen Einrichtungen:<br />
Pflege Online. Die Kurse sind als Blended<br />
Learning konzipiert und beinhalten die<br />
fachliche Begleitung beim Selbststudium,<br />
Online-Sprechstunden, praktische Reflexionen,<br />
Arbeitsaufträge und Praxisanleitung<br />
vor Ort in der Einrichtung. Der erste Kurs<br />
– freiheitseinschränkende Pflegemaßnahmen<br />
– gibt Klarheit über das Thema<br />
Freiheit und Selbstbestimmung und kann<br />
bereits gebucht werden.<br />
Ich bin DGKP und arbeite im Wohnund<br />
Pflegeheim Ebbs. In unserem<br />
Haus wird in vier Pflegeteams<br />
gearbeitet; es wohnen 97 Klient*innen<br />
im Haus. Seit <strong>März</strong> 2020 ist<br />
es für uns alle (Pflege, Verwaltung,<br />
Wirtschaftsbereich, Ergotherapie,<br />
Physiotherapie) eine besondere<br />
Herausforderung, aufgrund<br />
der Bestimmungen und Empfehlungen<br />
vom Land Tirol bezüglich<br />
Covid-19-Maßnahmen weiterhin<br />
gemeinsam gute Arbeit und Pflege<br />
zu leisten.<br />
In unserem Haus herrscht eine<br />
sehr hohe Wertschätzung gegenüber<br />
allen Mitarbeiter*innen.<br />
Somit ist es für uns alle wesentlich<br />
leichter, diese Krise zu überstehen,<br />
weiter ein „gemeinsames<br />
Miteinander“ zu leben und sich<br />
auch ständig weiterzuentwickeln.<br />
Besonders jetzt sind die Kontakte<br />
zu Angehörigen, die Gespräche<br />
mit Angehörigen sehr intensiv, und<br />
auch die Seelen der Bewohner*innen/Klient*innen<br />
benötigen nun<br />
vermehrt unsere ganze Zuwendung<br />
und Aufmerksamkeit. Ohne<br />
eine stabile Struktur des Heims,<br />
von Heimleiter, Pflegedienstleister,<br />
Bereichsleiter, wäre das nie möglich.<br />
Für mich sind Fort- und Weiterbildungen<br />
in ALLEN Bereichen sehr<br />
wichtig und notwendig, denn nur<br />
so kann Qualitätssicherung in der<br />
Pflege geleistet und der Austausch<br />
mit anderen Institutionen gelebt<br />
werden und können Diskussionen<br />
und Erfahrungsaustausch mit Kolleg*innen<br />
erfolgen. All dies kommt<br />
letztendlich unseren Klient*innen<br />
und allen Mitarbeiter*innen im<br />
Wohnheim zugute.<br />
SABINE THALER,<br />
WOHN- UND PFLEGEHEIM<br />
EBBS