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279.TIROL - März 2021

Ausgabe 3, März 2021

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92 tirol.bunt und vielfältig<br />

tirol.bunt und vielfältig<br />

93<br />

DER DUFT<br />

DES ORIENTS<br />

Die Welt ist bunt, kunterbunt. Ein kleines, winziges Abbild davon findet sich am<br />

Innsbrucker Marktplatz, in der Markthalle. Auch hier geht es um Vielfalt, die der Einfalt<br />

entgegentritt. Bechir Benattia aus Tunesien ist ein Beispiel dafür. Und natürlich auch<br />

Kurt Waldheim war damals Bundespräsident.<br />

International war er aufgrund seines<br />

ungeklärten Verhältnisses zur NS-Vergangenheit<br />

isoliert, zu Staatsbesuchen wurde<br />

er nur in den Vatikan und in ganz wenige<br />

arabische Staaten eingeladen. So etwa<br />

nach Tunesien. Und genau dort, beim offiziellen<br />

Staatsbesuch Waldheims in Tunis,<br />

Ende der 1980er Jahre, passierte es dann<br />

auch. Bechir Benattia aus einem kleinen<br />

Vorort von Tunis und Bettina aus Zirl lernten<br />

sich kennen. Und verliebten sich ineinander.<br />

„Ich kann mich noch sehr gut erinnern“,<br />

so Bechir Benattia lächelnd. „Bettina war<br />

zu der Zeit Kindermädchen an der österreichischen<br />

Botschaft, ich selbst betrieb<br />

eine gut gehende Bilderrahmenhandlung.<br />

Kurt Waldheim brachte als Gastgeschenk<br />

einen sündteuren Bösendorfer Konzertflügel<br />

nach Tunis mit, zur Einweihung desselben<br />

im Theater gab es ein großes Konzert.<br />

Eingeladen dazu waren neben der offiziellen<br />

Politik auch Diplomaten, Botschafter,<br />

Künstler. Dann noch, wohl mehr am Rande,<br />

Bettina und ich. Ja, so hat alles begonnen.<br />

Langsam aber stetig, unaufhaltsam.“<br />

Sidi Bou Said, Tunesien<br />

Aufgewachsen ist Bechir übrigens in Sidi<br />

Bou Said, einem kleinen, verträumten<br />

Künstlerdorf am Felsen von Karthago,<br />

gerade mal 20 Kilometer von Tunis entfernt.<br />

Ein malerisches, buntes, kleines Dorf<br />

direkt am Golf von Tunis, in dem Langsam-<br />

und Gemütlichkeit bestimmend<br />

seine Frau, Bettina. Eine kleine Bestandsaufnahme.<br />

waren, heute wohl eine der bekanntesten<br />

Tourismusattraktionen des Landes. Nachdem<br />

er zwölf Jahre in London lebte, dort in<br />

den 1970er Jahren das erste tunesische<br />

Reisebüro für Europa eröffnet und auch<br />

das Handwerk der Fotografie erlernte,<br />

kehrte er nach Sidi Bou Said zurück. 1982<br />

eröffnete er eine Bilderrahmenhandlung<br />

samt Fotostudio, baute sich ein schönes<br />

Haus direkt am Meer und bediente seine<br />

Kunden, zumeist Botschafter und Künstler.<br />

Einmal, und daran erinnert sich Bechir<br />

noch heute gerne zurück, kam sogar die<br />

Frau des ersten Präsidenten der Tunesischen<br />

Republik, die einflussreiche und<br />

später faktisch die Amtsgeschäfte führende<br />

Wassila Ben Ammar, bei ihm im<br />

Geschäft vorbei.<br />

Was ihm dabei neben seinen handwerklichen<br />

Fähigkeiten half, waren natürlich die<br />

Sprachen. Bechir verfügt wohl über viele<br />

Zungen, spricht er doch neben der Amtssprache<br />

Arabisch auch perfekt Französisch<br />

und Englisch. Und ein wenig Deutsch.<br />

Bei seiner Stammkundschaft aus aller<br />

Herren Länder ein großer Vorteil. Außerdem<br />

verfügt er über ein äußerst gewinnendes<br />

Wesen, über lachende Augen und ja,<br />

er ist auch ein begnadeter Geschichtenerzähler,<br />

für arabische Menschen freilich<br />

nicht ganz ungewöhnlich.<br />

Zirl, Tirol, Österreich<br />

„Mich zeichnet das Fernweh aus, ich mag<br />

einfach andere Länder, andere Kulturen,<br />

Menschen mit einer ganz anderen<br />

Geschichte“, sprudelt es aus Bettina heraus.<br />

Für eine gebürtige Tirolerin – gut,<br />

das mag ein vereinfachtes Klischee sein<br />

– eher ungewöhnlich. Im zarten Alter von<br />

18 Jahren zog es sie bereits an die österreichische<br />

Botschaft nach Rom, gleich für<br />

knapp vier Jahre. Als der Botschafter dann<br />

nach Tunis wechselte, nahm er Bettina<br />

gleich mit. Sie wagte somit einen noch<br />

größeren Sprung und übersiedelte für neun<br />

Jahre nach Tunesien. Zuerst als Kindermädchen<br />

an der Botschaft tätig, lernte<br />

sie in weiterer Folge eben Bechir kennen.<br />

Im Sommer 1991 wurde schließlich geheiratet.<br />

Wo? Raten Sie mal. Falsch, die Hochzeit<br />

fand beim Goldenen Dachl im Herzen<br />

von Innsbruck statt. Bettina in einem<br />

bunt bestickten arabischen Hochzeitskleid,<br />

Bechir in einem westlichen Leinenanzug<br />

mit Strohhut am Kopf. Verkehrte Welten.<br />

Nach der Hochzeit freilich ging es gleich<br />

wieder zurück nach Tunesien. Drei Jahre<br />

später wurde Adel, ihr erster Sohn geboren,<br />

in Sidi Bou Said. Das Geschäft, die<br />

Bilderrahmenhandlung, Sie erinnern sich,<br />

lief ausgezeichnet, das Leben war einfach,<br />

aber schön.<br />

Zine el-Abidine Ben Ali<br />

In dieser Zeit, eigentlich von 1987 bis<br />

2011, hieß der tunesische Präsident Zine<br />

el-Abidine Ben Ali, der das Land autokratisch,<br />

nein, diktatorisch regierte. 2011, am<br />

Höhepunkt des Arabischen Frühlings und<br />

nach breiten öffentlichen Protesten, flüchtet<br />

er dann Hals über Kopf nach Saudi-<br />

OBEN: Folgen Sie einfach Ihrer<br />

Nase und atmen Sie den Duft des<br />

Orients. So finden Sie ganz schnell<br />

zu Bechirs Stand „Tuareg Gewürze“.<br />

(© Felix Richter)<br />

Arabien. Doch zurück ins Jahr 1997 und zu<br />

Bettina und Bechir. „Wir wohnten damals<br />

an einem wunderschönen Platz, Wohnung<br />

und Geschäft befanden sich in einem<br />

Haus, und alles schien perfekt. Doch dann<br />

wollte der Präsident direkt dort, wo wir<br />

wohnten, sein neues Palais gebaut haben.<br />

Somit wurde uns fast über Nacht alles<br />

weggenommen. Das Geschäft, unser Haus,<br />

unser ganzes bisheriges Leben. Ich habe<br />

zwar noch einiges versucht, doch was soll<br />

ich gegen den Präsidenten in einem fast<br />

rechtlosen Land unternehmen“, erinnert<br />

sich Bechir bitter zurück.<br />

Es hieß, sich rasch neu zu organisieren,<br />

die Koffer zu packen und ein neues Leben<br />

aufzubauen. „Vor allem für Bechir ein fast<br />

unerträglicher Einschnitt“, so Bettina, „weil<br />

es gibt niemanden, der sein Land so liebt<br />

wie er.“ Somit ging es also zurück nach<br />

Österreich, nach Tirol, „heim“ zu Bettinas<br />

ursprünglicher Familie nach Zirl. Wenig<br />

später kam dann auch Aziz, der zweite<br />

Sohn, zur Welt. Was für ein großer Lichtblick,<br />

in dieser Zeit, 1997.<br />

Marktplatz, Markthalle, Innsbruck<br />

Jede Medaille hat zwei Seiten. Das Unglück<br />

der Familie Benattia war das Glück von<br />

Innsbruck. „Ende der 1990er Jahre haben<br />

wir dann beim Eingang der Markthalle<br />

in Innsbruck ganz klein angefangen. Wir<br />

haben typisch tunesische Sachen verkauft,<br />

allerdings nur am Samstag. Körbe, Handarbeiten,<br />

freilich auch Gewürze, Olivenseife,<br />

Kräuter. Das ist sehr gut angekommen,<br />

vielleicht auch, weil es etwas Exotisches<br />

an sich hatte. Und das zieht mitunter halt<br />

Wir wohnten damals an einem wunderschönen<br />

Platz, Wohnung und Geschäft befanden sich in<br />

einem Haus, und alles schien perfekt. Doch dann<br />

wollte der Präsident direkt dort, wo wir wohnten,<br />

an“, erzählt Bechir. Wobei es noch eine<br />

weitere Besonderheit gab: Wie damals in<br />

Tunesien üblich, verzichtete Bechir seit<br />

1999 auch in Tirol auf Plastik. Stattdessen<br />

verpackte er seine Ware in selbstgemachten<br />

Papiertüten.<br />

Die Mundpropaganda trug dazu bei, dass<br />

sich das Geschäft sehr positiv entwickelte,<br />

schon bald wurde im Inneren der Markthalle<br />

ein eigener Stand gemietet. Die<br />

Kundschaft nahm weiter zu, was zuerst<br />

ein Geheimtipp war, wird mittlerweile fleißig<br />

auf Social Media geteilt. Die Benattias<br />

sind wohl endgültig in Tirol angekommen,<br />

wenngleich ein gewisses Kribbeln nahe<br />

des Herzens bleibt. Bei Bettina, die vormittags<br />

in einem Kindergarten arbeitet,<br />

ist es wohl das Fernweh. Bei Bechir der<br />

Blick zurück, in die Vergangenheit, nach<br />

Sidi Bou Said.<br />

AUTOR REINHOLD OBLAK<br />

sein neues Palais gebaut haben.<br />

LINKS: Bechir<br />

Benattia ist unübersehbar,<br />

sein kleines<br />

Geschäft in der<br />

Markthalle Innsbruck<br />

überzeugt<br />

mit typisch orientalischer<br />

Atmosphäre.<br />

(© Felix Richter)<br />

TUAREG-GEWÜRZE<br />

Am Marktplatz, in der Markthalle<br />

Innsbruck, mitten im<br />

Bauernmarkt. Freitag und<br />

Samstag jeweils am Vormittag<br />

geöffnet. Ein kleiner, feiner orientalischer<br />

Laden. Das Angebot<br />

reicht von selbst gemahlenen<br />

und gemischten Gewürzen<br />

über verschiedene Teemischungen,<br />

feinen Ölen bis hin<br />

zu arabischen Dattelkeksen.<br />

Außerdem werden Rezepte verraten,<br />

welche die Tür in die arabische<br />

Küche weit öffnen. Was<br />

es sonst noch gibt? Folgen Sie<br />

einfach Ihrer Nase, Sie werden<br />

überrascht sein. Kontakt:<br />

benattiabettina@gmail.com

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