Vorlesungsskript Abschiedsvorlesung Carl Mahlmann - Emi
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UMSONST IST DIE MUSIK<br />
Zur Lage der Musikindustrie<br />
in Deutschland<br />
Die Vorlesung 26. März 2010 Cinedom Köln<br />
<strong>Carl</strong> <strong>Mahlmann</strong>, EMI Music Germany<br />
Version 1.6
GLIEDERUNG<br />
1. Die Krisen-Situation Seite 3<br />
2. Die Ursachen der Krise Seite 6<br />
3. War die Krise vorhersehbar? Die Problematik von Prognosen Seite 9<br />
4. Exkurs: Die Thesen von Sebastian Haupt zu Neutralisations-<br />
techniken und Rechtfertigungsstrategien von Musikkopisten Seite 11<br />
5. Krisenbewältigung Seite 15<br />
5.1. Kopierschutz Seite 15<br />
5.2. Digital Rights Management DRM Seite 17<br />
5.3. Spoofing Seite 18<br />
5.4. Straf-Verfolgung illegaler Musikanbieter im Internet Seite 18<br />
5.5. Zwischenfazit Seite 20<br />
6. Was wäre zu tun? Seite 21<br />
6.1. Aufklärung der Situation Seite 21<br />
6.2. Auseinandersetzung mit der „Umsonst-Ist-die-Musik-<br />
Bewegung“ Seite 21<br />
6.3. Die richtige Sprache sprechen Seite 26<br />
6.4. Die richtigen Prioritäten setzen oder „Digital In All We Do“ Seite 29<br />
6.5. Über den Sinn von Promotion Seite 30<br />
7. Den Musikmarkt gemeinsam gestalten: Die Musikindustrie im<br />
Miteinander Seite 33<br />
8. Die strategischen Optionen der Musikindustrie Seite 38<br />
9. Die „Plattenfirma“ der Zukunft – Ein Entwurf Seite 41<br />
10. Schluss-Fazit Seite 42<br />
2
PROLOG<br />
„Es kann nichts schöneres geben, als in dieser Zeit Musikmanager zu sein. Sie<br />
haben wunderbare Jahre vor sich!“ (Thomas Middelhoff, Vorstandsvorsitzender<br />
Bertelsmann AG, Keynote Speech Popkomm 2000, MW 28.8.2000)<br />
1. Die Krisen-Situation<br />
Die wirtschaftliche Situation des Musikmarktes in Deutschland stellt sich wie<br />
folgt dar:<br />
► Aufgelaufenes Umsatz-Minus etwa 40 % seit 2000<br />
► 3-5 % jährliches Minus in den letzten Jahren<br />
- 40 % Minus ist angesichts der globalen Wirtschaftskrise nicht ungewöhnlich:<br />
zum Beispiel meldet der Maschinenbau 2009 minus 38 % Auftragseingang<br />
(KStA 11.2.2010)<br />
- im Unterschied zur Wirtschaftskrise ist die Krise der Musikindustrie jedoch<br />
eine Strukturelle, d.h. nach 1-2 Jahren hat sich die Branche nicht wieder erholt,<br />
sondern weiter verloren<br />
► Wie sehen Insider der Branche diese Krise?<br />
• Der Chef der größten Deutschen Musikfirma und ehemaliges Wunderkind<br />
der Branche (Tim Renner) kommentiert im Spiegel 33/2002:<br />
• Der Markt wackelt wie blöde!<br />
Dann steigt er aus und schreibt ein Buch:<br />
Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm (2004)<br />
3
Weitere Kommentare zur Krise:<br />
• Als es noch Möglichkeiten gegeben hätte, dieser Entwicklung<br />
entgegenzuwirken, haben sich die Entscheidungsträger in ihren<br />
Elfenbeintürmen eingeschlossen und gedacht: Uns kann ja nichts passieren!<br />
(Ossy Hoppe, Popkomm 2008)<br />
• Ferner kann man sich fragen, ob es in rezessiven Zeiten, in denen es vielen<br />
Branchen schlechter geht als gewohnt, nicht auch oder gerade einer<br />
vergnügungsnahen Branche wie der Plattenindustrie schlechter<br />
gehen muss (Dirk Obermeier und Jonas Lang, Psycube-Onlinestudie 2002)<br />
• Natürlich war die Musikindustrie nicht auf die Woge von illegalen Downloads<br />
vorbereitet… nur: wer war das schon? (Manfred Gillig-Degrave MW<br />
10.7.2009)<br />
• In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Die Musikindustrie torkelt auf<br />
eine Katastrophe zu (Dave Douglas, Jazzmusiker und Labelbetreiber, MM<br />
13.11.2008)<br />
► Wie kommuniziert der Bundesverband Musikindustrie als offizielle<br />
Branchenorganisation die Krise? Ein kurzer Galopp durch die Jahrbücher<br />
des Bundesverbandes Phono 2002-2007:<br />
• Jahrbuch 2002 (Umsatzverlust 2001 minus 10.2 %): Vorwort „Das Schützbare<br />
schützen – das Nicht-Schützbare vergüten“. Tonträger-Telegramm 2001:<br />
„Drastischer Umsatzrückgang um 10.2 %, erstmals mehr mit Musik kopierte<br />
CD-Rohlinge, Fast 500 Mill Downloads aus zumeist illegalen<br />
Musikangeboten“<br />
• Jahrbuch 2003 (Umsatzverlust 2002 minus 11.3 %): Vorwort „Musik und<br />
Politik: Die Phonowirtschaft ist fast die einzige Branche der Kulturwirtschaft<br />
in Deuschland, die ohne Subventionen auskommt.“ Tonträger-Telegramm<br />
2002: Starker Umsatzrückgang um 11.3 %, Schere zwischen verkauften CD-<br />
Alben und mit Musik kopierten Rohlingen geht immer weiter auseinander<br />
• Jahrbuch 2004 (Rekordverlust 2003 minus 19.8 %): Vorwort<br />
„Musikwirtschaft: Gemeinsam stark“. Phono News 2003: „Deutsche Musik in<br />
den Charts so stark wie nie zuvor/Musik-DVDs boomen/mit 19.8 % stärkster<br />
Umsatzrückgang in der Geschichte“<br />
• Jahrbuch 2005 (Umsatz minus 3.6 %): Vorwort „Der Musikmarkt konsolidiert<br />
sich“; Phono News 2004: „Talsohle erreicht: Umsatz fällt nur noch um 3.6 %“<br />
4
• Jahrbuch 2006 (Umsatz minus 4.6 %): Vorwort „Musikwirtschaft und<br />
gesellschaftliches Engagement“; Phono-News 2005: „Phonomarkt sinkt weiter;<br />
Mobile und Internet Downloads erreichen neue Spitzen<br />
• Jahrbuch 2007 (Umsatz – 2.4 %): Cover „Warum sollen wir Musik<br />
kaufen, wenn wir sie doch online auch umsonst kriegen?“. Vorwort<br />
„Werteverlust – Noch nie wurde so viel Musik gehört wie Heute und noch nie<br />
war die Bereitschaft geringer, auch dafür zu zahlen“<br />
In den ersten Jahren der Krise hatte man wohl keinen Mut, sich offen zu den<br />
Verlusten zu bekennen.<br />
Die Krise wurde eher kleingeredet, die schlechten Nachrichten lieber nach<br />
hinten verschoben.<br />
Es hat 6 Jahre Krise gebraucht, um die richtigen Worte an der richtigen Stelle zu<br />
finden!<br />
► Wie sehen Außenstehende diese Krise? Eine kleine Sammlung von<br />
Meinungen:<br />
• Und ihr wundert euch, dass es euch schlecht geht? (Dirk Bach, Echo-<br />
Verleihung 2004)<br />
• Die Frage ist auch, ob man die Zahlen der Musikindustrie überhaupt ernst<br />
nehmen darf (Fabian Keil, Die Fehler der Musikindustrie, 2004)<br />
• Wie schon erwähnt ist das Bild, welches die Plattenindustrie äußert, viel zu<br />
einfach, um der Realität gerecht zu werden (Dirk Obermeier & Jonas Lang,<br />
Psycube-Studie 2002)<br />
• Die Musikindustrie, die sich in den 90er Jahren einmal jährlich am Rhein<br />
lautstark selber feierte, existiert nicht mehr. Pop ist nicht länger Massenkultur<br />
(Christian Bos, Hauptstadt der Popkultur, KStA 17.8.2009)<br />
• Mittlerweile ist die Popwelt nicht mehr, was sie war. Ein Häufchen Elend,<br />
versunken im Selbstmitleid und manisch bis panisch jedem Trend<br />
hinterherhechelnd, der mehr als 1000 Platten unters Volk gebracht hat (Alexa<br />
Cöln, Auch ein Richter macht nicht froh, Prisma 14 April 2009)<br />
• Wir haben in den letzten Jahren eine Art Demokratisierung der Musikindustrie<br />
erlebt (Frank Hajdu, MySpace Music, zitiert in MM 31.10.2008)<br />
• Ich kann durchaus nachvollziehen, dass sich die Tonträgerindustrie Sorgen um<br />
ihre Existenz macht, aber das braucht sie bald nicht mehr. Denn es wird sie in<br />
absehbarer Zeit nicht mehr geben (Matthias Wäßle vom Hersteller intelligenter<br />
Aufnahmesysteme Tobit, MW 24.1.2008)<br />
• Die Musikindustrie, wie wir sie kennen, wird sowieso untergehen (Walter<br />
Gröbchen, I Want my MP3, MW 29.4.2002)<br />
5
• Und noch ein Künstler: Man muss auf die Krise marktwirtschaftlich reagieren:<br />
dieser angeblichen Glamourbranche den Irrsinn an Überfluss und<br />
Verschwendung ein wenig auszutreiben, ist überfällig (Michael Crétu,<br />
Sonntag, 14.9.2008)<br />
Man hat den Eindruck, dass die Musikindustrie nicht sehr beliebt ist, und die<br />
Krise manchen gar nicht ungelegen kommt!<br />
2. Die Ursachen der Krise<br />
► Die Ursachen-Lage der Krise war von Anfang an völlig verworren. Einige<br />
Statements dazu:<br />
• Der Wechsel vom Album-Verkauf zum Track-Download und die<br />
Rabattschlachten im Tonträgerhandel sind nach Ansicht der Beraterfirma<br />
CapGemini die größten Wertevernichter im Musikgeschäft (MW Online<br />
22.10.2007)<br />
• Die Forscherinnen Brigitte Andersen und Marion Frenz von der Universität<br />
London sind nach Auswertungen einer kanadischen Studie zu dem Ergebnis<br />
gekommen, dass Filesharing einen eher positiven Einfluss auf den CD-Kauf<br />
habe (MW 22.11.2007)<br />
• Der Musiktausch im Web nützt der Phonoindustrie mehr als er ihr schadet.<br />
Das behauptet zumindest das US-Institut Jupiter MMCI (Musiker Magazin<br />
1/2003)<br />
• Lustigerweise steigt die Zahl der illegalen Downloads in den USA gemeinsam<br />
mit denen der legalen CD-Käufe an… Trotzdem hat es fast zehn Jahre<br />
gedauert, bis die Downloadlüge der Musikindustrie aufgedeckt worden ist (Die<br />
Downloadlüge, o.V., Neon Feb 2007)<br />
• Kritiker des Kopierschutzes argumentieren, dass die Krise ganz andere Gründe<br />
habe: der überzogene CD-Preis etwa (Spiegel 12.11.2001)<br />
• Es gibt da noch andere mögliche Ursachen für die Krise, die gern<br />
verschwiegen werden. Die Probleme sind überwiegend hausgemacht, das<br />
eigene Versagen wird jedoch übersehen (Fabian Keil, Die Fehler der<br />
Musikindustrie, 2004)<br />
• Die Probleme der Musikindustrie einfach auf die Brennerei bzw.<br />
Tauschbörsennutzung zu schieben ist auch ein bisschen einfach! (Christian<br />
Müller, Grüne Jugend, Mail an mich 16.3.2004)<br />
6
► Selbst im eigenen Lager hört man die diffusesten Erklärungen. Beispiele<br />
gefällig?<br />
• Jeder, der behauptet, eine gebrannte CD sei eine verkaufte CD weniger, spinnt<br />
(Tim Renner, Spiegel 33/2002)<br />
• Im Grunde hat der iPod das Album vernichtet (Howard Stringer, Sony-CEO,<br />
MW Online 29.8.2008)<br />
• Grundsätzlich muss konstatiert werden, dass die Bedeutung von Musikevents<br />
und Musik an sich leider abnimmt (Marek Lieberberg, MW 15.5.2009)<br />
• Jetzt sein Augenmerk monokausal auf die illegale Musikbeschaffung zu legen,<br />
macht uns blind für andere sekundäre Faktoren (Insider Stefan Herwig, Mail an<br />
mich 27.8.2008)<br />
• Kopieren ist sicher ein großes Problem, aber Hauptgrund für den<br />
Umsatzrückgang ist die Tatsache, dass zu wenig gute Alben erscheinen<br />
(Insider Michael Florin, Abella-Versand, Mail an mich 15.7.2002)<br />
• Der Bezug von Musik über Tauschbörsen scheint nicht der maßgebliche Grund<br />
für die Umsatzeinbrüche der Phonowirtschaft zu sein (Download und kein<br />
Ende, MW 14.6.2004)<br />
• Aber ein Teil der Misere muss auch auf brancheninterne, fehlerhafte<br />
Entwicklungstendenzen gebucht werden. Sowohl allzu langes Beharren auf<br />
althergebrachten Verfahrensweisen wie auch schnöselhafte Arroganz an<br />
einigen Konzernspitzen, mit unverantwortlichem Positivismus bezüglich der<br />
digitalen Optionen, haben zur jetzigen Krisensituation geführt (Heinz Canibol,<br />
Wir hatten schon mal was zu lachen, MM 9.10. 2009)<br />
► Die Aufklärung der zentralen Ursachen für die Krise ist eigentlich<br />
verhältnismäßig einfach, so dass man das diffuse Bild kaum nachvollziehen<br />
kann:<br />
• Zwischen 2000 und 2004 sank die Zahl der verkauften Tonträger von 263 Mill<br />
auf 175 Mill = Minus 34 %<br />
• Zwischen 1999 und 2003 stieg die Zahl der mit Musikinhalten überspielten<br />
CD-Rs von 58 Mill auf 326 Mill (+ 462 %)<br />
• Im gleichen Zeitraum stieg die Quote gebrannter CDs/DVDs zu vorbespielten<br />
CD/DVDs von 0.2 zu 1 (1999) auf 1.8 zu 1 (2003)<br />
• Zwischen 2000 und 2002 stieg die Zahl der illegalen Downloads von 316 Mill<br />
auf 622 Mill (= + 97 %, vor 2000 wurden keine Zahlen ermittelt)<br />
• 2005 betrug die Quote illegaler Downloads zu bezahlten Downloads 19.6 zu 1<br />
und nahm danach ab auf 14.4 zu 1 (2006) und immer noch 9.2 zu 1 (2007)<br />
7
• Aber: Zwischen 1999 und 2003 stiegen die Umsätze für Live Music von 2.66<br />
Mrd auf 2,7 Mrd €<br />
Er ergibt sich eine hohe negative Korrelation zwischen Tonträgerverkäufen<br />
einerseits und mit Musik überspielten Rohlingen bzw. illegalen Downloads<br />
andererseits.<br />
Diese Korrelation wurde im Kreis der Marktforscher allerdings sehr kontrovers<br />
diskutiert! Die Verfasser der GIM-Studie (2008) haben sich lange geweigert,<br />
diese Korrelation in ihrer Argumentation einzubinden.<br />
Die Erkenntnisse unseres Lehrstuhls zur Ursachenforschung:<br />
► Es mag grundsätzlich sein, dass diese Korrelation nur eine scheinbare ist und<br />
sich die tatsächliche Ursache dahinter verbirgt. Als Wissenschaftler müssen<br />
wir stetig unsere Erkenntnisse bezweifeln!<br />
►Jedoch konnte bislang niemand eine solche Ursache nennen, die auch nur<br />
annähernd einen starken Zusammenhang mit Tonträgerverkäufen zwischen<br />
2000-2005 aufzuweisen hat! Deshalb müssen wir als Wissenschaftler bis zur<br />
Widerlegung unserer These davon ausgehen, dass die kostenlose<br />
Musikbeschaffung über CD-Rs und illegale Downloads, kurz gefasst die<br />
kostenlosen Musikversorgung, die zentrale Ursache der Krise der<br />
Musikindustrie ist.<br />
Es gibt immerhin auch einige Statements, in denen diese Erkenntnisse geteilt<br />
werden:<br />
• Es steht außer Frage, dass die Musikindustrie in den letzten Jahren herbe<br />
Rückschläge bei den Verkaufszahlen verbuchen musste. Und das hat sehr viel<br />
mit Raubkopie und Internet-Piraterie zu tun (Christian Schön, Campusradio<br />
Dortmund, Mail an mich 8.8.2002)<br />
• Die Musiknutzung war zwar noch nie so hoch wie im letzten Jahr, jedoch<br />
haben Musikpiraterie und Privatkopien die Verkäufe von bespielten Tonträgern<br />
in großem Umfang substituiert (Phonoverband Jahreswirtschaftsbericht 2001 –<br />
trotz der sonst so zurückhaltende Kommentierung der IFPI 2000-2007)<br />
• Als triftigsten Gründe für ihre derzeitige Krise hat die Musikwirtschaft bereits<br />
vor Monaten die Problemfelder CD-Brennen und Downloads ausgemacht.<br />
Auch wenn Kritiker dies gerne anzweifeln: die Zahlen der GfK belegen<br />
deutlich, wo der Schuh drückt (MW 39/2002)<br />
• Wer da keinen Zusammenhang sieht, ist naiv (Gerd Gebhardt MW 18.2.2002)<br />
8
Diese Meinung teilt auch <strong>Emi</strong>nem, der es wie folgt auf den Punkt gebracht hat:<br />
• Wer immer meinen Scheiß ins Internet gestellt hat, ich will das Arschloch<br />
treffen und ihm den Verstand rausprügeln (Kulturkampf Musik, Visions<br />
9/2007)<br />
3. War die Krise vorhersehbar? Oder Die Problematik von<br />
Prognosen<br />
Wir haben die zwei wichtigsten Ursachen der Krise in der Musikindustrie<br />
identifiziert,<br />
- das Brennen von CD-Rs und<br />
- das illegale Downloaden im Internet.<br />
► War die Entwicklung von CD-Brennen und illegalen Downloads<br />
vorhersehbar?<br />
Die Musikbranche war/ist im Research-Bereich verhältnismäßig gut aufgestellt:<br />
- Es gibt eine jährliche Marktprognose seit 1986<br />
- Speziell zur Aufklärung der digitalen Herausforderung wurde 1996 die<br />
PROGNOS-Studie in Auftrag gegeben.<br />
Welche Aussagen zu den Marktrisiken finden sich dort?<br />
► PROGNOS-Studie 1996:<br />
Zitat Prognos-Studie aus der Kurzfassung:<br />
Die Musikindustrie steht in den nächsten Jahren vor drei zentralen<br />
Herausforderungen:<br />
1. Verstärkter Zeit- und Budgetwettbewerb von Musikkauf und elektronischen<br />
Medien<br />
2. Neue Möglichkeiten der Produktion, Distribution und Verwertung von Musik<br />
3. Adäquate Anpassung von Unternehmens- und Branchenstrategien<br />
Es gibt keinerlei Hinweis auf massenhaftes Brennen von CDs (ab 2000, 4 Jahre<br />
weiter) bzw. massenhaftes illegales Downloaden (ab 2001, 5 Jahre weiter)<br />
9
► Marktprognose<br />
Die Hinweise aus den jährlichen Marktprognosen 1996-2000 des<br />
Prognosekreises der Musikindustrie, der ich auch maßgeblich angehört habe:<br />
• Mit Gerätepreisen ab 1.500 DM (Leer CD-Rs kosten 15-20 DM) ist das<br />
System zunehmend für Multimedia-Produktionen oder Backups interessant<br />
geworden (Prognose 1996 – 4 Jahre vorher))<br />
• Zur Zeit ist weder ein Einfluss auf CD-Absätze durch eine bespielbare CD<br />
noch durch eine löschbare CD abzusehen (Prognose 1997 – 3<br />
Jahre vorher)<br />
• Für Raubkopien wäre die nur einmal beschreibbare CD wesentlich<br />
gefährlicher, denn sie kostet heute nur noch 2.70 DM (Prognose<br />
1998 – 2 Jahre vorher; falsch!!!)<br />
• Die erstmaligen Rückgänge der CD-Absätze in 1998, verstärkt in 1999, haben<br />
drei wesentliche Gründe: 1. die wachsenden Möglichkeiten zur<br />
Selbstüberspielung von CDs, 2. die Umschichtung innerhalb des<br />
Medienbudgets, und 3. eine partielle kreative Stagnation (Prognose 1999, 1<br />
Jahr vorher)<br />
• Für die Stagnation der CD-Verkäufe gibt es vier wesentliche Gründe: 1.<br />
Selbstüberspielungen von CDs, 2. Umschichtung innerhalb des<br />
Medienbudgets, 3. Herunterladen illegaler Angebote aus dem Internet (Neu!!),<br />
4. eine partielle kreative Stagnation (Prognose 2000, im Jahr der ersten<br />
Verluste)<br />
Die Erkenntnisse aus diesen Studien:<br />
► Die beiden größten Risiken für das Musikgeschäft (CD-Brennen, illegales<br />
Downloaden) wurden erst sehr spät richtig erkannt und richtig bewertet<br />
► Wichtige Marktentwicklungen können nicht sicher innerhalb eines<br />
Zeithorizontes von 3-5 Jahren vorhergesehen werden<br />
► Innerhalb von 3-5 Jahren werden Tendenzen erkannt, aber es macht große<br />
Schwierigkeiten, diese in ihrem Einfluss auf den Markt zu bewerten<br />
► Die Geschwindigkeit von Veränderungen wird oft unterschätzt:<br />
- Man hat sich nicht vorstellen können, wie schnell die Brenntechnik<br />
haushaltsfähig wird<br />
- Man hat sich nicht vorstellen können, wie schnell die Preise für Brenner<br />
und vor allem für Rohlinge sinken. Die Hersteller (Philips) im übrigen<br />
auch nicht<br />
10
• Wir wissen, dass es in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird, zu einem<br />
erschwinglichen Preis marktfähige CD-Kopiermaschinen zu entwickeln, die<br />
es dem Konsumenten erlauben, bei sich zu Hause eine CD zu kopieren (Jan<br />
Timmer, Philipps, IFPI-Meerting 1982)<br />
- Und man hat sich nicht vorstellen können, wie schnell das Internet zu<br />
einem rechtsfreien Raum wird (dazu später mehr!)<br />
Die Erkenntnis in zwei Sätzen:<br />
a) Man soll sich nicht zu sehr auf Marktprognosen verlassen, wenn es um<br />
längere Zeiträume geht<br />
b) Man sollte sich bei Marktprognosen nicht zu sehr in Zahlen-Details stürzen,<br />
sondern mehr Aufmerksamkeit auf globale Entwicklungen verwenden und<br />
dabei auch kreative Ansätze verfolgen<br />
4. Exkurs: Die Thesen von Sebastian Haupt zu<br />
Neutralisationstechniken und Rechtfertigungsstrategien<br />
von Musikkopisten<br />
Im folgenden ein kleiner Ausflug in die Theorie, nämlich in die Theorie von<br />
Neutralisationstechniken und Rechtfertigungsstrategien.<br />
Warum der Exkurs?<br />
Sebastian Haupt hat 2007 eine Diplomarbeit an der Universität Harz vorgelegt<br />
mit dem Titel „Musikkopisten und ihre Rechtfertigungen“.<br />
Diese Arbeit vermittelt uns wichtige Erkenntnisse zu den Verhaltensweisen von<br />
Musiknutzern, die sich Musik umsonst besorgen.<br />
Damit können wir viele, bislang unverständliche Reaktionsmuster erklären und<br />
daraus Strategien gegen die Umsonst-Nutzung von Musik entwickeln.<br />
Diese Diplomarbeit ist übrigens von Britta Lührßen betreut worden, damals<br />
Universal, Heute Bundesverband Musikindustrie. Die Arbeit wurde auch in der<br />
Musikwoche vorgestellt, leider ohne nachhaltige Resonanz.<br />
► Die Thesen von Sebastian Haupt:<br />
11
■ Die meisten Umsonstversorger von Musik wissen, dass massenhaftes<br />
Kopieren von CDs und Musikdateien sowie das Downloaden von<br />
sogenannten Musiktauschbörsen illegal ist<br />
■ Die meisten Umsonstversorger von Musik wissen, dass die massenhafte<br />
unbezahlte Beschaffung von Musik das Musikangebot empfindlich stört<br />
■ Die meisten Umsonstversorger von Musik beschaffen sich trotzdem Musik in<br />
großem Umfang unbezahlt, um das Geld anderweitig auszugeben<br />
■ Den meisten Umsonstversorgern ist klar, dass die unbezahlte<br />
Musikbeschaffung nicht den allgemeinen Normen und Werten entspricht<br />
(Diebstahl!) und nach moralischen Maßstäben zu unterbleiben hat<br />
■ Die meisten Umsonstversorger möchten sich (wie die meisten Menschen) so<br />
verhalten, dass ihr Verhalten im Einklang mit Normen und Werten steht.<br />
Dieser Einklang schafft Wohlbefinden<br />
■ Durch Neutralisationstechniken wird ein an sich unmoralisches Verhalten<br />
gerechtfertigt. Die Rechtfertigungstechniken werden auf Selbstbrennen,<br />
Kopieren und illegales Downloaden angewendet<br />
► Eine Zusammenfassung der 9 Neutralisationstechniken nach Haupt mit<br />
Original Statements von Musikkopisten zum besseren Verständnis:<br />
1. Moralische Rechtfertigung: z.B. Downloaden richtet doch keinen Schaden<br />
an, das ist doch Werbung für die Musik und getroffen wird ohnehin nur die<br />
korrupte Musikindustrie!<br />
2. Bagatellisierender Vergleich: z.B. wenn ich einmal einen Song<br />
herunterlade, so entsteht dadurch doch kein substantieller Schaden. Es gibt<br />
1000 Verbrechen, die schlimmer sind!<br />
3. Beschönigende Etikettierung: z.B. ich teste doch nur an, wenn es mir<br />
gefällt, kaufe ich mir später die CD sowieso!<br />
4. Verschieben der Verantwortlichkeit: z.B. Filesharing ist der Fortschritt,<br />
Musikverkauf hat sich inzwischen erledigt. Die Zeiten haben sich geändert.<br />
5. Diffusion der Verantwortung: z.B. Millionen andere brennen und<br />
downloaden doch auch! Jeder macht es, das hat sich überall eingebürgert.<br />
6. Herunterspielen, Ignorieren, Falschdarstellen der Konsequenzen: z.B.<br />
jeder Künstler ist doch froh, wenn seine Musik gehört wird! Solange ich es<br />
nicht professionell mache, kann es doch nicht kriminell sein! Musik ist im<br />
Internet einfach überall vorhanden!<br />
7. Dehumanisieren: z.B. die Plattenbosse verdienen sich ohnehin dumm und<br />
dämlich! Die raffgierige Plattenindustrie kann das doch verkraften!<br />
8. Schuldzuschreibung: z.B. die Musikindustrie hat doch selber Schuld, die<br />
hohen Preise für CDs und Downloads sind überhaupt nicht gerechtfertigt!<br />
9. Verdammung der Verdammenden: z.B. da werden brave Bürger wegen<br />
12
einer Lächerlichkeit durch die Musikindustrie kriminalisiert, total überzogen<br />
Wenn Neutralisationstechniken ins Spiel kommen, muss man immer prüfen, ob<br />
es sich bei einer Aussage zu einem Thema um einen objektiven Tatbestand oder<br />
um eine Rechtfertigungs-Aussage handelt. Dies soll an zwei Aussage-Typen<br />
demonstriert werden.<br />
► a) Einige Beispiele für die Rechtfertigungsaussage „Verunglimpfungen der<br />
Musikindustrie“:<br />
• Wenn ich mir jetzt aber die Preise bei Amazon Musik für MP3`s anschaue, so<br />
muss ich sagen, ich werde wohl regelrecht verarscht, denn dort kosten diese<br />
wesentlich weniger. Diese unterschiedliche Preisgestaltung zeigt deutlich,<br />
welch korrupte Dreckbande die Musikbranche ist (Konsumentenanfrage bei<br />
EMI April 2009)<br />
• Die Musikindustrie muss exakte Zahlen auf den Tisch legen, um<br />
nachzuweisen, wie entsetzlich die Verluste durch Völkermordpiraterie aka<br />
P2P denn nun wirklich sind. So dass alle Künstler bald nachlesen können, wie<br />
unverschämt sie von ihren Labels über den Tisch gezogen werden (slashdot,<br />
11k2 Online, 20.7.2009)<br />
• Die Musikindustrie ist eine Angeberbranche. Wenn du keine Eier in der Hose<br />
hast, bleibst du besser zu Hause (ein nicht genannter Insider im Kulturspiegel<br />
Sept. 2008)<br />
• Das hindert die Musikindustrie jedoch nicht daran, weiterhin Millionen zu<br />
scheffeln und die Künstler auszubeuten. Verachtenswert ist jedoch die<br />
heuchlerische Doppelmoral, mit der sich die Rechteverwerter in der Opferrolle<br />
sehen. Wer von Raubkopien redet, plappert nur die Propaganda der<br />
Rechteverwerter nach (Fabian Keil, Fehler der Musikindustrie, Online<br />
1.10.2004)<br />
• Wie kommt es, dass die EMI und ihre drei hässlichen Schwestern nicht schon<br />
längst pleite sind? Nur weil dröge Politiker mit auf deren gigantische<br />
Koksparties eingeladen werden? (Fritz, Unlimited Supply, EMI Online<br />
15.7.2009)<br />
• Ich habe langsam die Nase von den Frechheiten der Musikindustrie voll.<br />
Undifferenziert wird auf Nutzer und TK-Industrie eingeschlagen… Die<br />
eigenen Haussklaven werden als Unterzeichner vorgeschickt und<br />
instrumentalisiert. Man will in der Musikindustrie nicht differenziert denken,<br />
man will schlagen, hauen, klotzen (Prof. Dr. Thomas Hoeren, Richter am<br />
Oberlandesgericht Düsseldorf und Inhaber des Lehrstuhls für<br />
Informationsrecht und Rechtsinformatik Uni Münster im Mai 2008)<br />
13
Die Verunglimpfungen haben oftmals einen hohen Aggressionsgrad, der<br />
zunächst unerklärlich ist, weil die Urheber die Musikindustrie gar nicht<br />
persönlich kennen bzw. niemand aus der Musikindustrie ihnen persönlich ein<br />
Leid zugefügt hat.<br />
Der Aggressionsgrad erklärt sich vielfach erst aus dem Rechtfertigungsnotstand<br />
der Kopisten, den Musikdiebstahl vor sich selbst zu rechtfertigen.<br />
Diese Verunglimpfungen werden oft als Beleg für das schlechte Image der<br />
Musikindustrie gedeutet. Sie gehen aber meistens auf Neutralisationstechniken<br />
zurück.<br />
► 2. Beispiele für die Rechtfertigungsaussage „CDs sind zu teuer“<br />
Es gibt diese Aussage so massenhaft, dass wir auf Beispiele verzichten können.<br />
Faktisch ist die Aussage einfach zu widerlegen: der bei GfK gemessenen<br />
Durchschnittspreis z.B. für eine 1-CD-Fullprice fiel von 14.77 € (2000) auf<br />
14.23 € (2007). Es gibt keine einzige Preiskategorie für Musikprodukte mit<br />
deutlichen Preissteigerungen.<br />
Interessanterweise sind lt. GfK jedoch die Ticketpreise von 16.65 € (1999) auf<br />
35.26 € (2007) gestiegen, ohne dass sich jemand darüber aufgeregt hätte.<br />
Allerdings machen sich inzwischen auch Branchenvertreter die Argumentation<br />
zu teurer CDs zu eigen, was besonders beachtenswert ist:<br />
Sie fallen oftmals auf die wiederholt vorgetragenen Aussagen der<br />
Musikkopisten herein, weil diese Aussagen nicht öffentlich widerlegt werden<br />
und nach und nach für korrekt gehalten werden:<br />
Beispiele für Preis-Statements von Branchenvertretern:<br />
• In den vergangenen Jahren war es hauptsächlich der Fehler der Major-<br />
Plattenfirmen, die die Preise für Tonträger erhöhten und dadurch mithalfen,<br />
einen verlockenden Markt für die Bootlegger aufzubauen (Geoffrey Frank<br />
Horgan, Inhaber Horgi Musikverlage, MW 25.6.2001)<br />
• Die Preise einer CD sind in den letzten drei Jahren um mehrere Mark/Euro<br />
gestiegen, leider wahr (Kommentar Stefan Herwig, MW 16.9.2002)<br />
• dennoch bin ich der Meinung, dass die CD-Preise .. der derzeitigen<br />
wirtschaftlichen Realität angepasst werden müssen (Thomas Kowollik, Zomba<br />
Music Publishing, MW 17.2.2003)<br />
• Das Ladenpreis für eine CD ist einfach zu hoch für den Inhalt der Ware<br />
(Ulysses Hüppauff, Senior PM Island Mercury MW 27.9.2002)<br />
• Letzter Höhepunkt der Preisdebatte war eine öffentliche Runde auf der<br />
Midem, bei der GDM-Fachvorstand Michael Huchthausen für eine deutliche<br />
Senkung der VKs plädierte (MW 17.2.2003)<br />
14
• Der Ladenpreis für eine CD ist oft zu hoch (Barbara Czeslik, Director<br />
Columbia SBMG, MW 27.9.2002)<br />
• Mehr als zwei Drittel der Umfrageteilnehmer (Online-Umfrage MW) fordern<br />
niedrigere Preise (MW 17.2.2003)<br />
Die beste Kommentierung zu dieser Preisdiskussion stammt von Manfred<br />
Gillig-Degrave und lautet:<br />
• Musik ist zu teuer, egal was sie kostet (Manfred Gillig-Degrave, MW<br />
2.8.2004)<br />
5. Krisenbewältigung<br />
5.1. Kopierschutz (Krisenbewältigung die Erste)<br />
Kehren wir jetzt nach diesem Exkurs zurück zur Krise des Musikgeschäfts und<br />
zu den Versuchen, die Krise zu bewältigen.<br />
Die nächstliegende Reaktion auf massenhaftes Brennen von CDs war die<br />
Einführung eines Kopierschutzes:<br />
► Kurze Historie des Kopierschutzes für CDs in Deutschland im<br />
Schnelldurchlauf<br />
• Januar 2000: BMG veröffentlicht die beiden ersten CDs mit Cactus Data<br />
Shield 100<br />
• April/Mai 2000: Sony setzt erstmalig den eigenen key2audio für eine<br />
Compilation ein<br />
• August/September 2001: EMI startet Einzelprojekte mit CDS 100<br />
• April 2002: EMI setzt CDS100 für alle lokalen Releases ein.<br />
• Frühjahr/Sommer 2002: Die Anwender von CDS100 wechseln auf CDS200,<br />
der das Abspielen auf PCs ermöglicht (nicht auf MAC)<br />
• Herbst/Winter 2002: Universal und Warner veröffentlichen sporadisch Alben<br />
mit Kopierschutz. EMI setzt Kopierschutz jetzt auch für internationale<br />
Produkte ein.<br />
• Mitte 2003: Universal kennzeichnet teilweise CDs mit Kopierschutz,<br />
implementiert jedoch keinen Kopierschutz mehr<br />
• Juni/Juli 2004: Universal gibt den Verzicht auf Kopierschutz aufgrund<br />
Verbraucherunfreundlichkeit bekannt<br />
• Oktober 2005: Einführung des CDS300, der begrenzt Brennen und Exporte<br />
auf mobile Player zulässt.<br />
15
• Dezember 2005: Der Einsatz des CDS300 wird gestoppt wegen Probleme der<br />
Funktionalität<br />
• Mai 2006: nach massiven Sicherheits-Problemen durch den Einsatz eines<br />
neuen Kopierschutzes XCP durch BMG in den USA wird der Einsatz von<br />
Kopierschutzmaßnahmen global ausgesetzt<br />
• Frühjahr 2007: Kopierschutz für CDs hat sich erledigt<br />
Fazit des Einsatzes von Kopierschutz für CDs in 5 Punkten:<br />
1. Die Einführung geschah halbherzig, nicht im Schulterschluss. Kein einziger<br />
Major hat durchgehend Kopierschutz verwendet. Die meisten haben<br />
Kopierschutz nur sporadisch eingesetzt.<br />
2. Künstler haben sich zumeist vom Kopierschutz distanziert<br />
3. PMs haben vielfach versucht, Kopierschutz auf ihren CDs zu umgehen, z.B.<br />
durch Produzieren von Enhanced CDs<br />
4. Die Gegner des Kopierschutzes haben die Öffentlichkeit beherrscht<br />
- PC-Magazine und Online-Plattformen (c`t)<br />
- Musikzeitschriften (Intro!)<br />
- Radiosender<br />
- TV-Sendungen<br />
- Politische Parteien (Die Grünen)<br />
5. Durch neue Musikanwendungen (Abspielen auf PCs, Exportieren auf iPods)<br />
entstanden neue technische Anforderungen, mit denen die Kopierschutz-<br />
Technologie nicht Schritt halten konnte<br />
► Einige Statements zum Einsatz von Kopierschutz für CDs, zur Erinnerung,<br />
wie schwierig die Lage war:<br />
• Wie Sie bereits festgestellt haben, ist der Zweck der Kopierschutz-Verfahren,<br />
das Kopieren von CDs zu verhindern, nicht wirklich erreicht worden<br />
(Rundschreiben der Adam Opel-AG 8. September 2002)<br />
• Aus folgenden Gründen warnen wir davor, CDs mit Kopierschutz zu kaufen<br />
(ARD Ratgeber Technik, 24.6.2002)<br />
• Die Musikindustrie läuft momentan Gefahr, das in Jahrzehnten aufgebaute<br />
Vertrauen in standardisierte Audio-CDs zu unterlaufen (c`t 7/2003)<br />
• Gehen ihre CDs auch so schnell kaputt? Kein Zufall. Neue CDs sind lange<br />
nicht mehr so haltbar wie die Scheiben, die vor 20 Jahren auf den Markt<br />
kamen (Musiker Magazin 1/2003)<br />
• Erstmals beschäftigte sich die Moderatorin eines namhaften Senders (Radio<br />
Hamburg) mit der Frage, wie man am besten die neue DVD von Robbie<br />
Williams knackt (MW 12.8.2002)<br />
• Was auf den ersten Blick nach einer legitimen Reaktion der Musikindustrie<br />
aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ziemlich fahrlässige<br />
16
Maßnahme hart am Rande der Legalität (Audio Februar 2002)<br />
• Die Umgehung des Kopierschutzes ist nicht einmal illegal, sondern vielmehr<br />
ein verbrieftes Recht (Spiegel 12.11.2001)<br />
• Anlässlich des Verbraucherschutztages starten Bündnis 90/Die Grünen und<br />
die Grüne Jugend heute eine E-Card-Aktion für den Schutz der Privatkopie<br />
von CDs „Burn Baby Burn!“ (Aufruf der Grünen im Internet 15.3.2004 – Die<br />
Aktion wurde nach heftigen Widerstand der Musikindustrie am 24.3.2004<br />
eingestellt)<br />
5.2. Digital Rights Management DRM (Krisenbewältigung<br />
die Zweite)<br />
Die nächstliegende Reaktion auf massenhaftes illegales Downloaden im Internet<br />
war die Einführung von DRM (Digital Rights Management), um zu verhindern,<br />
dass legal erworbene Downloads sofort über illegale Portale weiterverteilt<br />
werden.<br />
Nur: die illegalen Angebote im Internet haben sich durch DRM in keiner Weise<br />
beeinflussen lassen:<br />
• Die Musik war im Internet bereits überall illegal verfügbar<br />
• Es gab überall Quellen, um an ungeschützte Musikfiles zu kommen (CDs,<br />
Radio, Internet)<br />
• Die Mentalität, Musik umsonst ins Netz zu stellen, war durch DRM nicht zu<br />
bremsen<br />
• Die Mentalität, Musik illegal downzuloaden, war durch DRM nicht zu<br />
bremsen<br />
Durch DRM bekamen die legalen Angebote (neben der Tatsache, das man für<br />
diese bezahlen muss) noch einen weiteren Nachteil gegenüber dem illegalen<br />
Konkurrenzprodukt: da jeder Anbieter über ein eigenes DRM verfügte, waren<br />
die Musikfiles nicht interoperabel. Die Forderung nach Interoperabilität erhöhte<br />
den Druck auf die Industrie.<br />
► Die Industrie hat DRM dann ab 2007 wieder eingestellt, dieses Mal bei den<br />
Majors angeführt von EMI.<br />
Ein abschließender Kommentar von Bene Lux, Sprecherin der Grünen Jugend:<br />
• Kopierschutz und Überwachungsmechanismen wie das Digital Rights<br />
Management sollen die kulturelle Selbstbestimmung von Millionen von<br />
17
Jugendlichen verhindern (MW 17.5.2004)<br />
5.3. Spoofing (Krisenbewältigung die Dritte)<br />
Eine weitere Reaktion auf massenhaftes illegales Downloaden im Internet war<br />
die Einführung von Spoofing, um zu verhindern, dass sich attraktive Musikfiles<br />
ungestört illegal im Internet verbreiten können.<br />
Dazu Folgendes:<br />
• Die Industrie hat sich ab 2002 mehr oder weniger ausführlich mit Spoofing-<br />
Techniken befasst. Es gab mehrere lokale und internationale Provider.<br />
• Es hat sich herausgestellt, dass Spoofing-Maßnahmen sehr effizient sein<br />
können, um einen Musikfile vor illegaler Distribution zu schützen<br />
• Ferner gab es Vorschläge, Spoofing kreativ zu nutzen, z.B. durch<br />
Spoofen von verkürzten Musikdateien, die durch Promotion-Texte ergänzt<br />
wurden. Dieser Ansatz wurde im Sommer 2002 diskutiert, verschwand dann<br />
auf Anraten der Konzernzentralen wieder von der Bildfläche.<br />
• Die Industrie hat sich nicht zu einer langfristig angelegten, konsequenten<br />
Spoofing-Strategie entscheiden können<br />
• In Folge dessen wurde Spoofing auch gar nicht eingeführt, sondern es wurde<br />
ein bisschen ausprobiert.<br />
• Ab 2007/8 wurde Spoofing nach und nach eingestellt.<br />
5.4. Straf-Verfolgung illegaler Musikanbieter im Internet<br />
(Krisenbewältigung die Vierte)<br />
Die Musikwirtschaft hat die Erfahrung gemacht, dass gut gemeinte Appelle<br />
gegen Musikklau (z.B. Copy Kills Music) wenig nutzen.<br />
Frage an einen illegalen Downloader in der MW 2007: Beeinflussen dich die<br />
Kampagnen der Musikindustrie und der Politik gegen Raubkopierer in deinen<br />
Handlungen? Antwort: Gar nicht! (MW 21.9.2007)<br />
Bei der strafrechtlichen Verfolgung arbeitet die Branche seit 2003 mit<br />
ausgewählten Anwälten (Rasch) und mit ausgewählten Ermittlern (ProMedia)<br />
zusammen.<br />
18
Die IFPI berichtete u.a. von 400 Strafanträgen (2004), die sich steigerten bis zu<br />
25.000 Strafanzeigen/Abmahnungen (2007) und im März 2009 von insgesamt<br />
100.000 Verfahren. Bei etwa 10 Mill illegalen Downloadern ist immerhin jeder<br />
Hundertste belangt worden!<br />
Wie zu erwarten, gibt es heftige Kritik an der Verfolgung illegaler<br />
Musikanbieter. Einige Verlautbarungen dazu:<br />
• Massenhafte Klagen der Musikindustrie gegen Tauschbörsennutzer … lehnen<br />
wir ab, sie werden die Probleme der Musikindustrie nicht lösen (Christian<br />
Müller, Grüne Jugend, Mail an mich 17.3.2004)<br />
• Mit dem Klagen der Musikindustrie muss endlich Schluss sein! … Mit den<br />
Erlösen aus den CD-Verkäufen bezahlt die Musikindustrie die Klagen gegen<br />
unsere Kinder (Chaos Computer Club Online 6.4.2004)<br />
• Nicht blenden lassen sollte man sich hier von kurzfristigen Erfolgen, die<br />
jedoch in keinem Verhältnis stehen zu den langfristigen negativen Effekten…<br />
Nicht nur dass die Strafverfolgungsbehörden … instrumentalisiert werden…<br />
auch schadet dies einem kooperativen Klima nachhaltig. In der Folge haben<br />
bereits zahlreiche Strafverfolgungsbehörden die Grenze, ab der Strafverfahren<br />
auch tatsächlich eingeleitet werden, massiv erhöht (Christian Sommer,<br />
Vorstandsvorsitzender der GVU Gesellschaft zur Verfolgung von<br />
Urheberrechtsverletzungen)<br />
• Thorsten Wirth, Vorsitzender der Piratenpartei Hessen, sprach von einer<br />
Abmahnbranche und einer unverhältnismäßigen Kriminalisierung der<br />
Filesharer (MM 22.10.2009)<br />
• Eigentlich sind es nach Meinung von Frontal 21 nicht die Onlinepiraten,<br />
die auf der Anklagebank sitzen, sondern die Musikindustrie mit ihren als<br />
unverhältnismäßig empfundenen Maßnahmen (MM 28.8.2008)<br />
Ja, was soll die Musikbranche denn tun? Abwarten, bis sie nicht mehr existiert?<br />
Eine Alternative wäre das französische HADOPI-Modell:<br />
► HADOPI<br />
■ HADOPI = Haute Autorité Pour La Diffusion Des Oevres Et La Protection<br />
Des Droits)<br />
■ Vorschlag von Denis Olivennes 2007 (früherer Präsident von Fnac)<br />
■ Abgestuftes Modell des Vorgehens gegen Internet Musikdiebstahl (Three<br />
Strikes) von Mahnen bis zeitweise Sperren des Internet-Zuganges<br />
■ In Frankreich von Sarkozy unterstützt und auf den Weg gebracht<br />
■ In Deutschland vom Justizministerium (Brigitte Zypris) stets rundweg<br />
abgelehnt. Zitat: „Die Sperrung von Internetzugängen halte ich für eine völlig<br />
unzumutbare Sanktion.“<br />
19
■ Im neuen Koalitionsvertrag 2009 ebenfalls abgelehnt<br />
Also: Konsequent Strafverfolgen soll die Industrie nicht, Abmahnmodelle<br />
einsetzen darf sie auch nicht. Also was soll sie denn tun, um ihr Recht zu<br />
verteidigen?<br />
Eines kann sie wohl kaum, nämlich auf die Hilfe der Politik hoffen.<br />
Stefan Zarges vom Musikmarkt hat die Situation am 28.5.2009 zutreffend<br />
kommentiert:<br />
• In der Praxis blockiert und verschleppt das Justizministerium aber alle<br />
vorliegenden Lösungsansätze, das geltende Urheberrecht auch durchzusetzen.<br />
Das ist schon eine sehr beachtliche Tatsache und verdient, festgehalten zu<br />
werden!!!<br />
5.5. Zwischenfazit Krisenbewältigung<br />
► Angesichts der Zitate wird mit dem Abstand von einigen Jahren<br />
bewusst, mit welcher breiten, engagierten Front von Gegnern es<br />
die Musikindustrie bei der Verteidigung ihrer Marktposition zu tun hat.<br />
Die Front reicht offensichtlich<br />
- von Selbstbrennern bis zu illegalen Downloadern<br />
- von c`t, Audio, PC-Magazin, Musiker Magazin bis zum Verband der<br />
deutschen Internetwirtschaft eco<br />
- von Radio Hamburg, ARD bis zum Chaos Computer Club<br />
- von der Grünen Jugend, Rechts-Professoren der Uni Münster, der<br />
Piratenpartei bis zum Justizministerium<br />
► Der Musikindustrie hat die Phantasie gefehlt, sich vorzustellen, dass<br />
Millionen von Musiknutzern Musikdiebstahl ungestört millionenfach<br />
praktizieren<br />
► Der Musikindustrie hat weiterhin die Phantasie gefehlt, sich<br />
vorzustellen, dass Politik, Parteien, der Gesetzgeber, Justizminister und<br />
Medienjournalisten den millionenfachen Musikdiebstahl öffentlich<br />
dulden oder sogar verteidigen<br />
► Man muss konstatieren, dass das Urheberrecht offenbar kein Gesetz ist<br />
wie andere Gesetze, sondern eine merkwürdige Qualität hat: es gilt nur<br />
20
manchmal!? Zum Beispiel für gefälschte Turnschuhe, aber nicht für<br />
Musik!<br />
6. Was wäre zu tun?<br />
6.1. Aufklärung der Situation (Was wäre zu tun die Erste)<br />
Das Bild über die Situation der Branche in der Öffentlichkeit ist noch immer<br />
diffus. Dazu tragen die Gegner der Musikindustrie aus gutem Grund nach besten<br />
Kräften bei (siehe Thesen von Sebastian Haupt).<br />
Die 2007 vom Bundesverband Musikindustrie in Auftrag gegebene<br />
Grundlagenstudie (sog. GIM-Studie) hätte einen Beitrag zur Aufklärung leisten<br />
können und müssen.<br />
► 6 Punkte zur GIM-Studie 2007/8<br />
1. Die Studie war zunächst als Grundlagenstudie angelegt, was sehr vernünftig<br />
war<br />
2. Das beauftragte Institut (GIM in Heidelberg) war hinsichtlich der Erstellung<br />
einer strategischen Studie nicht vorbereitet<br />
3. Der Bundesverband Musikindustrie, der Chart- und Marketing-Ausschuss, der<br />
Vorstand haben sich um die Studie nicht weiter gekümmert<br />
4. Die Marktforscher, welche die Studie betreuten, wollten eine<br />
Zielgruppenstudie haben – das lag ihrem Ressort offenbar näher<br />
5. Nach 1 ½ Jahren herausgekommen ist folglich eine weitere<br />
Zielgruppenstudie, aber keine Strategiestudie<br />
6. Ein Jahr später ist die GIM-Studie in der Belanglosigkeit verschwunden<br />
Fazit: Eine Chance zur Aufklärung über die Situation der Branche wurde vertan.<br />
6.2. Auseinandersetzung mit der „Umsonst-Ist-die-Musik-<br />
Bewegung“ (Was wäre zu tun Die Zweite)<br />
Brenner und Musik-Downloader können nicht nur ungestört fortfahren, sich<br />
Musik umsonst zu besorgen – sie organisieren sich auch zunehmend:<br />
► Zunächst als Bewegung von Gleichgesinnten, vor allem in der neuen<br />
Netzkultur. Dafür haben wir einen passenden Namen: die Umsonst-ist-die-<br />
Musik-Bewegung nennen<br />
21
► Dann als eine politisch-soziale Kraft. Dafür haben wir gleichfalls einen<br />
passenden Namen: Musik-Sozialismus<br />
Musiksozialisten finden sich in den Medien und bei politischen Parteien im<br />
Dunstkreis der Grünen und der Linken. Auch ehemalige Chefs von Musik-<br />
Majors können dahin konvertieren wie Tim Renner mit seiner Vision der<br />
Demokratisierung der Musikwelt von unten. Seit 2009 hat sich sogar eine Partei<br />
der Musiksozialisten gegründet: Die Piratenpartei.<br />
Einige Manifestationen von Musik-Sozialismus:<br />
• Digitale Downloads lassen sich nicht mehr kontrollieren. Außerdem gibt es<br />
eine eindeutige For-Free-Mentalität im Netz, gegen die sind sie machtlos<br />
(Hartwig Schulte-Loh, Kulturspiegel Oktober 2008<br />
• Kurs für Musik-Hörer, die mp3-Stücke kostenlos und legal aus dem Internet<br />
aufnehmen, zurechtschneiden und verwalten möchten. Die dafür benötigte<br />
Freeware kann zum Abschluss des Kurses kopiert und mitgenommen werden<br />
(aus dem Programm der VHS Köln 2/2009)<br />
• So darf das Werk der Urheber für die private Verwendung frei kopiert werden.<br />
Diese auch als „fair use“ bezeichnete Begrenzung ist eine Ausprägung der<br />
Informationsfreiheit und somit ein Grundrecht (Chaos Computer Club Online<br />
6.4.2004)<br />
• Aber die Wahrheit ist, dass sich geistiges Eigentum mit Kontrolle nicht<br />
verträgt. Ich meine, Kunst, Musik und Wissen sind Anarchie, das ist gut für sie<br />
und das sollte auch so bleiben (Jim Griffin, MW 6.6.2003)<br />
• Das Internet ist zuallererst eine neue gesellschaftliche Art zu<br />
kommunizieren…Das, was wir dürfen und nicht dürfen, das werden wir neu<br />
verhandeln müssen. Genau wie es neu verhandelt worden ist, als der<br />
Buchdruck erfunden wurde (Hergen Wöbken, www.derwesten, 15.6.2009)<br />
• Wenn ich einem Freund einen Song kopiere, hat er ihn, und ich habe ihn auch.<br />
Das stärkt die Form des Teilens, und das ist zunächst erstmal etwas Gutes (Urs<br />
Gasser, Schweizer Urheberrechts-Professor, MW 24.4.2009)<br />
• Wir werden niemals für Musik bezahlen. Wenn wir ehrlich sind, haben wir<br />
auch nie für die reine Musik Geld ausgegeben, sondern nur für das<br />
Drumherum (Johnny Hausler, Gründer des Blogs Spreeblick, c/o Pop Report<br />
21.8.2009)<br />
• Digitale Daten, das ist ein Naturgesetz der modernen Medienökonomie,<br />
wollen frei durch die Netze fließen… Diesen Strom stoppen zu wollen, das<br />
wäre so sinnlos wie der Versuch, die Weltmeere trocken zu legen… Wenn ihr<br />
also das Gefühl habt, in einen Sog geraten zu sein, aus dem ihr nicht mehr<br />
heraus kommt – dann habt ihr völlig recht (Tobias Kniebe, Die Drumrum-<br />
Industrie, Feb 2003)<br />
• Es gibt kein geistiges Eigentum, es gibt nur digitale Nullen und Einsen. Und<br />
wenn ein Werk erst einmal digitalisiert ist, kann es jeder frei verteilen, das ist<br />
22
das Recht auf Privatkopie (Christian Hufgard, Piratenpartei, c/o Pop August<br />
2009)<br />
In der Auseinandersetzung mit der Umsonst-Ist-die-Musik-Bewegung hat die<br />
Industrie es also nicht nur mit Brennern und Filesharern zu tun, sondern mit<br />
Juraprofessoren und Medienjournalisten, Politikern und Ministern, mit der<br />
Netzkultur an sich und manchmal sogar mit Künstlern.<br />
Die Diskussion scheint sich sogar zu einer Grundsatzdiskussion über den Schutz<br />
geistigen Eigentums auszuweiten. Zum Beispiel sagt die EU-Kommissarin für<br />
IT & Medien Viviane Reding:<br />
• Entspricht unsere jetzige Rechtslage in Sachen geistiges Eigentum tatsächlich<br />
den Erwartungen der Internetgeneration? Haben wir uns diesen Sachverhalt<br />
schon einmal durch die Augen eines 16jährigen gestellt? Oder sie immer nur<br />
aus dem Blickwinkel eines Jura-Professors, der im Gutenberg-Zeitalter<br />
aufgewachsen ist? (zitiert MW Online 13.7.2009)<br />
Ähnlich ist die Position der Grünen, wie aus dem Statement von Malte Spitz<br />
hervorgeht:<br />
• Wir brauchen ein Urheberrecht, das dem digitalen Zeitalter und den heutigen<br />
Nutzungsverhalten… Rechnung trägt (Malte Spitz, Die Grünen, MW<br />
11.9.2009)<br />
Und natürlich die Position der Piratenpartei:<br />
• Das Urheberrechtsgesetz muss …insofern überarbeitet werden, dass der<br />
ursprüngliche Zweck wiederhergestellt ist, der ja in der Förderung von<br />
Innovation und Kultur besteht. Mittlerweile sind viele Aspekte insbesonders<br />
bei den Verwertungsrechten diesem Zweck entgegengesinnt (Boris Tourovski,<br />
Piratenpartei, MW 18.9.2009)<br />
Dabei war die Position der Bundesregierung einmal ganz anders, siehe den<br />
folgenden Ausschnitt aus der Antwort der Bundesregierung auf die große<br />
Anfrage zur Situation der Popmusik in Deutschland, Oktober 2001:<br />
• Es ist wichtig und vordringlich, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die<br />
Wahrung der Interessen der Rechteinhaber an den Musikproduktionen bei<br />
digitaler Vervielfältigung und Übertragung zu schaffen und zu sichern.<br />
Wie sieht der Lehrstuhl diese Auseinandersetzung?<br />
23
►Zunächst einmal ist das Urheberrecht existent und nicht On-Demand<br />
verhandelbar!<br />
►Auch wenn es nicht alle gern hören: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum,<br />
und digitale Güter sind genau so Güter wie physische Güter.<br />
• Was off-line verboten ist, ist auch on-line verboten (Justizministerin Brigitte<br />
Zypries Juli 2009)<br />
• Was Enteignung mit Demokratisierung zu tun hat, kann ich nicht<br />
nachvollziehen (Frank Dostal, Präsident des Deutschen Textdichterberbandes,<br />
c/0 Pop August 2009)<br />
• Diese Art der Enteignung ist nicht hinnehmbar (Georg Oeller,<br />
Vorstandsmitglied der GEMA, c/o Pop August 2009)<br />
►Es ist wichtig, immer auf die Nutznießer der kostenlosen Musikbeschaffung<br />
hinzuweisen: Telekommunikations-Firmen, Internet Service-Provider, iPod-<br />
Hersteller, Portalbetreiber wie YouTube, Softwarehersteller<br />
• Christian Engström (Spitzenkandidat der Piratenpartei in Schweden) war<br />
früher bei Schwedens Liberalen aktiv, dann verließ der die Politik und<br />
widmete sich seiner Datenfirma, mit der er viel Geld verdiente (Ein Pirat in<br />
Straßburg, KStA 11.6.2009)<br />
• Während die milliardenschwere Telekommunikationsindustrie massiv von der<br />
Nutzung illegaler Inhalte profitiert, verweigert sie beim Schutz geistigen<br />
Eigentums die Verantwortung (Offener Brief zum Tage des Geistigen<br />
Eigentums 25.4.2009)<br />
• Titelseite PC-Magazin 10/2005: Raubkopien eine Chance – Anonym aus dem<br />
Netz saugen – Gesaugte Daten polizeisicher verstecken und verschlüsseln!<br />
• Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco hat am 18. Juni 2009<br />
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries als Internet-Politikerin des Jahres<br />
ausgezeichnet (MW Apropos, 26.6.2009)<br />
►Es ist wichtig, auf die Folgen der kostenlosen Musikbeschaffung für neue<br />
Musik hinzuweisen:<br />
• Wenn die Urheberleistungen nicht mehr honoriert werden wie bisher, wird<br />
sich Komponieren nicht mehr lohnen (Frank Ramond, Textdichter, KStA<br />
24.7.2009)<br />
• Wenn für hochwertige Musik niemand mehr bezahlen will, dann wird es bald<br />
nur noch die mittelmäßige geben, die ihre Schöpfer umsonst hergeben, weil sie<br />
sie sonst nicht losbekommen würden (Tobias Künzel, Sänger der Prinzen,<br />
24
MW 11.9.2009)<br />
• Dieser Gestus, Musik soll für umsonst sein, wird am Ende bedeuten, dass man<br />
keine Künstler mehr hat, die von Musik leben können (Antje Vollmer, Die<br />
Grünen, Interview Deutschlandfunk 7.5.2004)<br />
• Wenn alle immer nur billige Eier kaufen, führt das zu Legebatterien (Mark<br />
Chung, all2gethernow Berlin September 2009)<br />
► Die Unterstützung für die Musikbranche wächst durch Branchen, die in die<br />
gleichen oder ähnliche Probleme laufen:<br />
• Da hat sich die schwarze Wolke der Krise über der Musikindustrie nur zuerst<br />
abgeregnet, andere Branchen folgen jetzt (Edo Reents, das Ende vom Lied,<br />
FAZ 21.9.2009)<br />
- Zeitungen brechen durch kostenlose Selbstversorgung im Internet Abos<br />
und Werbeeinnahmen weg<br />
- Buchverlage werden mit dem E-Book konfrontiert und mit Autoren, die<br />
ihre Werke durch ungefragtes Kopieren von Texten aus dem Internet<br />
aufpäppeln (Helene Hegemann)<br />
- Google scannt Millionen von Büchern<br />
• Der Buchbranche stehen die schlaflosen Nächte erst noch bevor! (Ein Hacker,<br />
Kulturspiegel Oktober 2008)<br />
Aber manche Journalisten kapieren es immer noch nicht:<br />
• Nie mehr Musik kaufen müssen! Mit dem neuen Audials One kommen Sie<br />
per Internet an die Hits. Legal und gratis!“ (Schlagzeile Computerbild Januar<br />
2010)<br />
Kein Kommentar!<br />
► Und dann noch eine sehr logische Selbstverständlichkeit: In jeder Branche ist<br />
es üblich, Diebe zu verfolgen und zu verklagen. Warum soll das für Musik<br />
nicht auch gelten?<br />
Zum Beispiel:<br />
• Manche Arbeitsrichter finden eine fristlose Kündigung gerechtfertigt, wenn<br />
eine Angestellte ein übrig gebliebenes Brötchen oder ein paar Maultaschen<br />
vernascht… Klassenjustiz – mal so, mal so (Manfred Gillig-Degrave MW<br />
23.10.2009)<br />
Und noch ein Schmankerl zum Schluss dieses Abschnitts:<br />
• Vote/Quote Mediabiz Musikwoche 1.10.2009: Welche Partei vertritt die<br />
Interessen der Musikbranche und der Kreativen am besten? No.1: Die<br />
Piratenpartei mit 20.3 % (MW Online 1.10.2009)<br />
6.3. Die richtige Sprache sprechen (Was wäre zu tun Die<br />
25
Dritte)<br />
Zum Zustand der Branche gehört es, dass sich im Laufe der Zeit Begriffe<br />
eingebürgert haben, die aus unserer Sicht missbraucht werden, um Tatbestände<br />
zu manipulieren oder zu verschleiern. Daher ist es an der Zeit, die richtige<br />
Sprache zu fordern.<br />
Vier zentrale Begriffe, die oftmals unkorrekt oder problematisch verwendet<br />
werden:<br />
► 1. Digital<br />
Wenn Digital gesagt wird, ist Digital Distribution oder manchmal auch Internet<br />
Promotion gemeint und nicht Digital als Produkteigenschaft. Bei CDs, DVDs<br />
und anderen physischen Datenträgern wird die Musik natürlich auch digital<br />
gespeichert, sogar in einer höheren Auflösung als in der digitalen Distribution.<br />
Wenn der Begriff „Digital“ Heute verwendet wird, so klingt oft so etwas mit wie<br />
ein Qualitätsmerkmal mit im Sinne von modern, zukunftsgerichtet, überlegen.<br />
Physische Produkte, die ja mit „digital“ nicht gemeint sind, erhalten somit ein<br />
Veralterungs-Image, das ihrer Marktbedeutung überhaupt nicht gerecht wird und<br />
hinsichtlich der technischen Qualität objektiv falsch ist.<br />
Darüber hinaus: die im Presswerk hergestellte CD ist das sicherste<br />
Speichermedium für Audio. Und das auf der CD verwendete Datenformat kann<br />
über viele Jahre als die sicherste Datenquelle zur Erzeugung weitere digitaler<br />
Formate (= Digital) angesehen werden!<br />
• Lassen Sie mich noch einmal versichern: An allem, was auf einer Compact<br />
Disc von PDO gespeichert ist, können sich ihre Kunden zeitlebens erfreuen!<br />
(Schreiben von Philips Du Pont Optical an EMI 7.7.1988)<br />
Und dann ist mit den Begriff Digital noch eine besondere Eigenschaft verknüpft,<br />
die Dieter Gorny entdeckt hat:<br />
• Wo digital ist, ist umsonst nicht weit! (Dieter Gorny, MW Online 19.3.2009)<br />
► 2. Musiktauschbörsen<br />
26
Wenn jemand etwas tauscht, dann bekommt er etwas und gibt dafür etwas<br />
anderes her. Im klassischen Märchen bei Hans im Glück sieht das so aus: Der<br />
Hans gibt ein Schwein her und erhält dafür eine Gans (nun gut, das war kein<br />
„guter“ Tausch). Tauschen ist im Grunde ein gerechter Vorgang, solange man<br />
den Tauschpartner nicht über den Tisch zieht, und der Begriff ist daher nicht<br />
negativ besetzt.<br />
In sogenannten Musiktauschbörsen wird jedoch nichts getauscht, denn<br />
derjenige, der einen Musikfile zur Verfügung stellt, kann den gleichen File nach<br />
dem „Tauschvorgang“ genau so nutzen wie vorher. Es handelt sich also gar<br />
nicht um eine Tauschbörse, sondern um eine Kopierbörse – ein völlig anderer<br />
Vorgang.<br />
Aber auch diese Bezeichnung ist noch falsch, weil eine Börse ja ein offizieller,<br />
legaler Handelsplatz für Aktien oder Waren ist. Eine sogenannte<br />
Musiktauschbörse ist jedoch weder eine offizielle noch ein legale Veranstaltung,<br />
sondern schlicht eine illegale Kopierplattform.<br />
Wenn obendrein noch ein Produkt kopiert wird, welches dem Kopierenden gar<br />
nicht gehört, so handelt es sich um eine illegale Handlung, die korrekt mit<br />
Diebstahl und Hehlerei zu bezeichnen ist. Durch den Gebrauch des Begriffs<br />
„Tauschbörse“ soll also der kriminelle Tatbestand des Diebstahls verschleiert<br />
werden. Daher sollte die Industrie darauf drängen, den Begriff<br />
Musiktauschbörse zu entlarven und seinen Gebrauch zu verhindern.<br />
► 3. File Sharing<br />
Sharing bedeutet Teilen oder teilhaben lassen. Wenn jemand etwas teilt, dann<br />
bekommt der eine Beteiligte einen Teil und ein Teil verbleibt bei dem<br />
Teilenden. Idealerweise bekommen beide einen gleich großen Teil. In jedem<br />
Fall hat der Teilende nach dem Teilungsvorgang weniger verfügbar als vorher.<br />
Teilen ist im Grunde ein sozialer Vorgang und der Begriff ist daher positiv<br />
besetzt.<br />
Beim sogenannten File Sharing wird jedoch gar nicht geteilt, denn derjenige, der<br />
einen Musikfile „shared“, kann nach dem „Teilungsvorgang“ den Musikfile<br />
genau so uneingeschränkt nutzen wie vorher, und auch der Abnehmer kann mit<br />
dem geklonten Musikfile machen, was er will.<br />
Es handelt sich also gar nicht um einen Teilungsvorgang, sondern um einen<br />
Kopiervorgang – ein völlig anderes Konzept. Wenn dazu noch ein Produkt<br />
27
„geteilt“ wird, welches dem Teilenden gar nicht gehört, so handelt es sich um<br />
eine illegale Handlung, die korrekt mit Diebstahl oder Hehlerei zu bezeichnen<br />
ist. Durch den Gebrauch des positiv besetzten Begriffs „Sharing“ soll also der<br />
kriminelle Tatbestand des Diebstahls verschleiert werden. Daher sollte die<br />
Industrie darauf drängen, den Begriff Filesharing zu entlarven und seinen<br />
Gebrauch zu verhindern.<br />
► 4. Piraterie (Piracy)<br />
Bereits seit Jahrzehnten wird von der IFPI Musikdiebstahl als Piraterie<br />
(international: Piracy) bezeichnet.<br />
Ein Pirat ist ein Seeräuber. Piraten genießen traditionell in weiten Teilen der<br />
Bevölkerung jedoch einen guten Ruf, weil die klassischen Piraten (wie<br />
Störtebecker) Volkshelden waren, die bei den Reichen Beute machten und<br />
davon den Armen abgaben. In diesem Begriff schwingt viel Sozialromantik mit.<br />
Selbst den Piraten an der Küste Somalias wird teilweise noch eine soziale<br />
Gesinnungen nachgesagt, indem sie ihre Lösegelder mit den Armen des Landes<br />
teilen.<br />
Piraten genießen insbesonders bei Kindern und Jugendlichen großes Ansehen,<br />
was leicht zu erkennen ist an den vielen schwarzen Piratenflaggen in unseren<br />
Vorgärten und an den zahlreichen Piratenkostümen im Karneval. Kinder und<br />
Jugendliche verbinden mit Piraten Abenteuer, Robin-Hood und ein bisschen<br />
Bürger-Schreck. Insgesamt ist der Begriff Pirat/Piraterie eher positiv besetzt.<br />
Dieses interessante Image hat sich auch die Piratenpartei zunutze gemacht und<br />
damit immerhin aus dem Stand über 2 % der Stimmen bei der letzten<br />
Bundestagswahl eingefahren. Sie wäre wohl kaum auf die Idee gekommen, als<br />
Diebstahl-Partei zur Wahl anzutreten!<br />
Sogenannte Musikpiraten haben jedoch weder eine soziale Ader noch sind sie<br />
Sozial-Romantiker noch geben sie Armen irgend etwas von dem beim Musik-<br />
Klau eingesparten Geld ab. Sie sind ganz schlicht Musikdiebe und Musikhehler,<br />
die sich Musik, die ihnen nicht gehört, ohne Bezahlen aneignen, vielleicht noch<br />
weiterverhökern und das eingesparte Geld ganz egoistisch für sich selbst<br />
ausgeben.<br />
Durch den Gebrauch des positiv besetzten Begriffs „Piraten“ wird der kriminelle<br />
Tatbestand des Diebstahls verschleiert. Daher sollte die Industrie darauf<br />
drängen, den Begriff „Piraterie“ und auch den entsprechenden englischen<br />
Terminus „Piracy“ nicht mehr zu verwenden, sondern durch den korrekten<br />
Begriff „Musikdiebstahl“ bzw. „Musikdieb“ zu ersetzen.<br />
28
6.4. Die richtigen Prioritäten setzen oder<br />
„Digital In All We Do“ (Was wäre zu tun Die Vierte)<br />
Hinweis: es muss innerhalb der EMI Digital Academy erlaubt sein, auch mit<br />
Begriffen wie „Digital“ kritisch umzugehen! Das zeichnet die wissenschaftliche<br />
Denkweise aus!<br />
► „Digital“ genießt eine ungemeine Bevorteilung innerhalb der<br />
Musikindustrie, wobei unklar ist, was damit überhaupt gemeint ist und wie<br />
sich diese Bevorteilung begründet<br />
• Digital nimmt 90 % der Aufmerksamkeit in Anspruch. Jedoch machen<br />
Digital distribuierte Musikprodukte (= Digital) bislang nur 10 % des<br />
Umsatzes aus!<br />
* Welche Industrie kann es sich leisten, auf die Aufmerksamkeit von 90<br />
% ihrer Umsätz zu verzichten?<br />
• Die maßgeblichen Umsatzbringer („Physical“) werden inzwischen vermehrt<br />
stiefmütterlich, manchmal auch diskriminierend behandelt<br />
* Die Verpackung von CDs ist oft lieblos und möglichst billig<br />
* Marketing-Aktionen werden zunehmend als Preisaktionen gefahren<br />
Zur Bevorteilung von Digital eine Verlautbarung betreffend EMI Music, zitiert<br />
nach MW Online 8.2.2010:<br />
• EMI Music soll demnach den derzeit rund 25-prozentigen Umsatzanteil des<br />
Digitalgeschäfts binnen fünf Jahren auf 75 % verdreifachen.<br />
Liebe EMI, möchte man sagen, das geht ganz einfach: den physischen Umsatz<br />
dritteln. Der US-amerikanische Markt ist auf dem besten Weg!<br />
Unterstützung dazu kommt von – na – Tim Renner, der gesagt hat:<br />
• Ich hoffe, der Tonträger stirbt bald. An sich bin ich ja Nostalgiker, aber als<br />
Geschäftsmann könnte ich gleich Morgen darauf verzichten (Tim Renner,<br />
Brand Eins, 7. Sept 2000)<br />
► Die Fokussierung auf Digital verhindert übrigens eine Diskussion über<br />
die technische Qualität der Musik:<br />
• Digital distribuierte Musik ist im technischen Sinn qualitativ schlechter als<br />
Musik auf CDs oder DVDs<br />
• Technische Upgrades unserer Musikprodukte sind von der Agenda<br />
29
verschwunden. Mehrkanalton und hochauflösende Musik spielen derzeit<br />
keine Rolle<br />
* Die technischen Formate für Mehrkanalton und HD gehören inzwischen<br />
zu den Formaten von Gestern (DVD-A, SACD)<br />
* Ein zukunftsfähiges Format für Mehrkanalton bzw. für hochauflösende<br />
Musik ist derzeit nicht in Sicht. Die Nachfrage findet kein Angebot.<br />
• Die MP3-Generation hat sich offensichtlich mit einer geringen technischen<br />
Musikqualität abgefunden. Die Industrie hat dazu einen Beitrag<br />
geleistet! Ein Konsument äußert sich dazu wie folgt:<br />
• Die angeblichen Soundeinbußen von MP3 habe ich bisher noch nie<br />
wahrgenommen (Konsument, MW 21.9.2007)<br />
* Die Entwicklung der Unterhaltungselektronik zeigt jedoch, dass es für<br />
HD einen Bedarf gibt: Beispiel hochauflösendes Fernsehen HDTV,<br />
derzeit hochaktuell!<br />
• So wie es aussieht, muss Mehrkanalton und hochauflösenden Musik wohl<br />
zukünftig digital distribuiert werden, da die physischen Formate abhanden<br />
gekommen sind. Das Thema gehört auf die Tagesordnung!<br />
► Letzter Punkt zu Digital in All We Do: Die zunehmende Reduzierung der<br />
Musikprodukte auf digitale Distribution verändert drastisch die Bedeutung<br />
von Musik als Inhalt! Es deutet sich ein neues Grundverständnis für Musik<br />
an:<br />
• Digital distribuierte Musik ist im Kern kein eigenes Produkt, sondern<br />
ähnlich wie Benzin das Mittel, andere Produkte (z.B. iPods) anzutreiben.<br />
• Damit wird Musik als Produkt gestaltlos und teilweise auch austauschbar.<br />
• Den Hauptnutzen daraus ziehen Apple & Co., die mit Hilfe von Musik-<br />
Benzin ihre jeweils neuen Produkte an den Mann/die Frau bringen<br />
• Der Musikindustrie fehlt dann jedoch eine Strategie, ihr digitales Produkt<br />
eigenständig zu vermarkten und ihm ein Gesicht zu geben!<br />
6.5. Über den Sinn von Promotion (Was wäre zu tun Die<br />
Fünfte)<br />
Einige kritische Gedanken über Sinn und Unsinn von Promotion:<br />
Die traditionelle Sichtweise:<br />
► Promotion entsteht durch den Einsatz von Musikprodukten in Medien und<br />
hilft sowohl der Industrie (unbezahlte Werbung) als auch dem Medium<br />
30
(attraktive, kostengünstige Programmbeiträge)<br />
Diese Sichtweise wird mehr und mehr obskur, weil Medien vorwiegend bereits<br />
bekannte Künstler/Titel zeigen, aber wenig neue Künstler und neue Titel.<br />
Zwei Beispiele:<br />
• Wenn 4 Titel aus einem Erfolgsalbum zur gleichen Zeit in den TOP 100<br />
Airplay sind, hat das nichts mit Promotion zu tun, sondern mit<br />
Musikvermarktung<br />
• Wenn MySpace tausende von Videos aus dem Katalogbereich kostenlos<br />
verbreitet, hat das nichts mit Promotion zu tun, sondern mit<br />
Musikvermarktung<br />
Die Musikindustrie fordert schon lange eine Einschränkung des Sendeprivilegs<br />
für das Radio. Das Thema war bereits 1999 sehr aktuell:<br />
Das Sendeprivileg des Radios ist ein Anachronismus und nicht mehr länger<br />
gerechtfertigt (8 Thesen von Wolf-D. Gramatke, Chairman & CEO Universal<br />
Holding, MW Popkomm Spezial 23.8.1999)<br />
Es hat sich seitdem jedoch nichts geändert!<br />
► Vom Radio zum Streaming im Internet (Spotify, Last.fm, YouTube)<br />
• Das sind aus unserer Sicht keine Promotion-Plattformen, wie sie vorgeben,<br />
sondern Vermarktungsplattformen von Musik<br />
• Sie versuchen, die Rechteinhaber auszumanövrieren, und weisen auf den<br />
angeblichen hohen Promotion-Wert hin<br />
• Durch ihre Umsonst-Angebote fördern sie die Umsonst-Mentalität im<br />
Internet<br />
• Damit kannibalisieren sie bezahlte Downloads<br />
• Damit versperren sie den Weg zu kommerziellen Streaming-Angeboten<br />
• Wenn sie kein Geschäftsmodell mit substantiellen Einnahmen schaffen,<br />
gehören sie nach den Regeln des Marktes nicht hierher!<br />
• Wegen fehlender Zahlungsbereitschaft der Klientel deutet sich an, dass es<br />
sich nicht um ein tragbares Zukunftsmodell handelt<br />
Die Kritik an diesen Plattformen wird geteilt. Drei Aussagen dazu:<br />
• Viele Geschäftsmodelle funktionieren hingegen mit Inhalten, über deren<br />
Rechte die Betreiber nicht verfügen; meist gehen solche parasitären<br />
31
Modelle -YouTube gehört dazu – auf Kosten und zu Lasten der Schöpfer<br />
von Entertainmentinhalten (Manfred Gillig-Degrave, Zehn Thesen, MW<br />
10.7.2009)<br />
• Es verwundert nicht, dass Plattformen wie Facebook, MySpace oder<br />
YouTube gemeinhin als gigantische Geldverbrennungsanlagen gelten… In<br />
den nächsten 18 bis 24 Monaten wird den allermeisten Social-Networking-<br />
Plattformen das Geld ausgehen, sofern bis dahin keine erfolgreichen<br />
Monetarisierungsmechanismen in Kraft getreten sind (Yousef Hammoudah,<br />
MW 5.6.2009)<br />
• Überraschender ist, dass Kreise der Tonträgerindustrie digitale<br />
Internetpiraterie seit einigen Jahren als Promotion und Marketing ansehen,<br />
ohne die wirtschaftlichen Hintergründe der Provider zu durchdringen<br />
(Jens Schippmann, MW 29.5.2009)<br />
► Darf man einmal die Grundsatzfrage stellen, was promotet wird und wer<br />
etwas davon hat?<br />
• Zahlreiche Promotion-Maßnahmen fördern inzwischen eher das Live-<br />
Geschäft, Merchandise-Umsätze oder Licensing Geschäfte als<br />
Musikverkäufe<br />
Von Marketing und Promotion der Musikindustrie profitieren also auch<br />
andere, nämlich:<br />
• Konzertveranstalter<br />
• Merchandise-Verkäufer<br />
• Künstler/Manager (Licensing, Ticketverkäufe)<br />
Warum beteiligen sie sich dann nicht? Es kann nicht angehen, dass die<br />
Musikindustrie mit viel Aufwand daran arbeitet, den Wert von Musikwerken<br />
und Künstlern zu erhöhen, aber andere im wesentlichen davon profitieren.<br />
Aufwachen! Das ist doch noch das alte Geschäftsmodell der 90er Jahre,<br />
als Tonträger-Umsätze noch den Markt dominierten. Inzwischen<br />
dominiert jedoch das Live-Geschäft den Markt!<br />
► Und noch eine Bemerkung zu Publishing: Bitte korrigiert mich, wenn<br />
unser Lehrstuhl falsch liegt:<br />
• Record Companies machen die Arbeit und tätigen das Investment,<br />
Publishing kassiert.<br />
• Die Industrie wird geschrumpft, Publishing geschont (weil ja profitabel).<br />
Zitat aus Musikwoche Online 4.2.2010:<br />
32
Während EMI Publishing kerngesund sein soll, droht EMI Music das<br />
vorgegebene Verhältnis zwischen Einnahmen und Schulden wohl zu verfehlen!<br />
► Abschliessend noch zum Verhältnis Promotion und Marketing<br />
• Die Trennung von Marketing als bezahlte Werbung und Promotion als<br />
unbezahlte Werbung) wird zunehmend artifiziell<br />
• Der TV-Auftritt erzeugt schnell 20k Nebenkosten, d.h. die Promo-Kosten<br />
spielen in der gleichen Liga wie die Werbekosten.<br />
► Fazit: Es ist an der Zeit für eine Grundsatzdiskussion über den Wert von<br />
Promotion!<br />
- Nicht jede Promotion hilft, manche schadet auch!<br />
- Dass Promotion nichts kostet, stimmte schon früher nicht!<br />
- Nicht in allem, was als Promotion daherkommt, ist auch Promotion drin!<br />
- Wer von Promotion profitiert, soll sich auch daran beteiligen!<br />
7. Den Musikmarkt gemeinsam gestalten: Die<br />
Musikindustrie im Miteinander<br />
Wie es die Musikindustrie bei der Gestaltung des Marktes miteinander hält, lässt<br />
sich am besten an Beispielen verdeutlichen.<br />
Es gibt dazu viele gute und einige weniger gute Beispiele.<br />
6 Gute Beispiele: Die Musikindustrie im Miteinander<br />
► 1. Beispiel: GfK Consumer Panel (Einführung 1976)<br />
• Ab 1976 Aufbau eines Panels für Musikkäufer durch GfK, mit Unterstützung<br />
aller Majors<br />
• Weiterentwicklung mit GfK durch den Mafo-Kreis (Marktforscher der<br />
Majors) in engem Kontakt mit GfK<br />
• Einbindung der GfK in wichtige Projekte: Custeranalyse (1986), Preisstudie<br />
(1992), Sleeper-Studie (1995), Brenner-Studie (ab 2001), Kopierschutz-Studie<br />
(2002-2005), GIM-Studie (2008)<br />
• Übernahme der Marktprognose durch GfK ab 2006<br />
33
► 2. Beispiel: die Media Control Charts (Einführung 1977)<br />
• Ab 1976 Aufbau eines Chart Handels Panels gemeinsam mit Media Control<br />
• Ab 1977 TOP 50 Charts im Auftrag des Bundesverbandes der<br />
Phonographischen Wirtschaft<br />
• Weiterentwicklung der Charts (TOP 75, TOP 100) gemeinsam mit Media<br />
Control durch den Chart- und Marketing-Ausschuss und durch die<br />
Prüfungsbeauftragten<br />
• Wichtige Umstellungen der Charts: Einbeziehen von Musik-DVDs (2002),<br />
Zusammenführung mit Downloads (2004 Singles, 2009 Alben), Freitag ist<br />
Musiktag (2005), Sondertrend (2005), Wertecharts (2007), Newcomer- und<br />
Comedy-Charts (2008)<br />
► 3. Beispiel: Die Popkomm (Einführung 1989)<br />
• Start der Popkomm 1989 durch Dieter Gorny in Düssdeldorf mit<br />
Unterstützung von EMI<br />
• Ab 1990 Weiterentwicklung in Köln mit Unterstützung aller Majors<br />
• 2003 Verkauf an die Messe Berlin und Weiterführung in Berlin<br />
► 4. Beispiel: Phononet (Gründung 1991)<br />
• Gründung 1991 als Tochter des Bunsdesverbandes der Phonographischen<br />
Wirtschaft in Hamburg<br />
• Finanziert durch eine Stille Gesellschaft unter Beteiligung der Majors und<br />
einiger kleinerer Firmen<br />
• Steuerung durch den Phononet Beirat (Majors und Edel)<br />
• Lange erfolgreiche Führung des Beirates durch Karl Generotzky (BMG, 1992-<br />
2003) und derzeit durch Andres Klöpfel (Warner, ab 2005)<br />
• Sehr erfolgreiche Geschäftsführung durch Dietmar Schlumbohm<br />
• Elektronischer Bestelldatenaustausch (ab 1991)<br />
• Katalogdatenbank und Soundserver (1999)<br />
• Musiksuchmaschine Musicline (2001)<br />
• Musik Promotion Network (2003)<br />
• Weltweit einzigartiger zentraler Dienstleister der Musikindustrie<br />
► 5. Beispiel: Der Echo (Einführung 1992)<br />
34
• Einführung 1992 durch die Deutsche Phono-Akademie (hatte die Freude, bei<br />
der ersten Echo-Verleihung in der Kölner Flora dabei zu sein)<br />
• Initiiert vom Koordinierungsausschuss (Vorstand) und umgesetzt vom<br />
ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Gerd Gebhardt<br />
• Unterstützt und begleitet vom Chart- und Marketing-Ausschuss<br />
► 6. Beispiel: VIVA Fernsehen (Gründung 1993)<br />
• Gründung 1993 als Video-Verwertungs-Anstalt von Jörg A. Hoppe, der Dieter<br />
Gorny als GF anheuerte<br />
• Aufgebaut als Konkurrenz zu MTV, um lokalen Künstlern im Musikfernsehen<br />
eine Plattform zu geben<br />
• Beteiligung der drei Majors Sony, Polygram und EMI mit jeweils 19.8 %<br />
(1994) weitere 19.8 % bei Frank Otto und 1 % bei Viva Medien GmbH<br />
• Börsengang 2000 und Verkauf an Viacom 2004<br />
Zugegeben: alle aufgeführten Beispiele sind schon etwas älter – aber sie leben<br />
fast alle noch!<br />
Leider auch zwei weniger gute Beispiele: Die Musikindustrie im<br />
Gegeneinander<br />
► 1. Beispiel: Phonoline (2001-2004)<br />
Die Phonoline-Story:<br />
• 1997: MOD als Vorläufer und Pilotprojekt der Deutschen Telekom in<br />
Zusammenarbeit mit der IFPI. Zitat Musikwoche 22.11.1999: „Während sich<br />
Sony und BMG bislang gar nicht an dem Projekt beteiligten, hielten sich<br />
Warner, EMI und Universal oft zurück“. Das Projekt wird mangels Repertoire<br />
und Interesse der Musikindustrie zum 1.7.2003 beendet.<br />
• Frühjahr 2001: Auf Initiative von EMI diskutieren die deutschen<br />
Musikmajors ein gemeinsames lokales Download-Projekt.<br />
• August 2001: es kommt Bewegung in das Projekt, nämlich ein erster Pitch für<br />
den DSP. Das Projekt erhält den Arbeitstitel Phonoline (I) und wird bei<br />
Phononet aufgehängt.<br />
• Herbst 2001: Universal beteiligt sich nicht mehr wesentlich an der<br />
Weiterentwicklung von Phonoline, die Gründe sind unklar.<br />
• Februar 2002: Der Vertrag Phononet-OD2 als DSP für Phonoline I wird<br />
unterzeichnet<br />
35
• Mai 2002: Universal kündigt überraschend den Launch einer eigenen<br />
Download-Plattform zur Popkomm 2002 an<br />
• August 2002: Universal launcht die eigene Plattform Popfile, als technischer<br />
Dienstleister fungiert T-Com<br />
• September 2002: Universal kündigt überraschenderweise an, Popfile zu einer<br />
gemeinsamen Branchenlösung weiter entwickeln zu wollen. Daraufhin<br />
kündigt Phononet den DSP-Vertrag mit OD2<br />
• Mai 2003: Neuer Pitch der DSPs für Phonoline (jetzt II). 4 der 5 Majors<br />
votieren für DWS bzw. 24/7, T-Com wird jedoch ausgewählt, weil Universal<br />
keinen anderen DSP akzeptiert. Der Grund dafür wird nie erklärt.<br />
• Mai 2003: Der Launch von Phonoline II wird sehr spät auf Spätsommer 2003<br />
terminiert, verschiebt sich jedoch laufend.<br />
• September 2003: der letzte Termin, um wichtige Download-Partner für<br />
Phonoline (T-Online, Mediamarkt, AOL) zu halten, wird von T-Com nicht<br />
Eingehalten. Der Launch verschiebt sich auf Oktober, November, dann auf<br />
Januar 2004<br />
• 1.12.2003: Der Vertrag zwischen Phononet und T-Com wird unterzeichnet<br />
• Dezember 2003: EMI teilt Phonoline mit, nicht mehr an einen Erfolg zu<br />
glauben, und will zunächst nur Testprodukte zur Verfügung stellen<br />
• 18.3.2004: Mit einem Dreiviertel Jahr Verspätung wird Phonoline zur Cebit<br />
Hannover 2004 gelauncht. Es gelingt Phonoline nicht mehr, neben CTS<br />
Eventim (und Popfile) weitere substantielle Handelspartner zu akquirieren<br />
• August 2004: T-Com erklärt, sich aus Phonoline zurückziehen zu wollen<br />
• September 2004: der Vertrag zwischen T-Com und Phononet wird<br />
aufgehoben. Die Phonoline-Plattform wird Ende 2004 geschlossen. T-Com<br />
zahlt eine hohe Vertragsstrafe<br />
Die beteiligten Industriepartner konnten sich über die Kompensation freuen.<br />
Viel schwerer wiegt, dass eine strategische Option für die Industrie verspielt<br />
wurde.<br />
Als Steve Jobbs April 2003 mit iTunes das erste große internationale Download-<br />
Projekt startet, sind übrigens alle internationalen Konzernzentralen mit dabei!<br />
► 2. Beispiel: Die Chart-Diskussion 2009<br />
Als Einführung in das Thema der permanenten Chart-Kritik:<br />
Das No-2-Chart-Syndrom:<br />
• Wenn ein Titel auf Platz 2 steht und Platz 1 nicht schafft, gibt es folgende<br />
Erklärungs-Optionen, warum Platz 1 nicht geschafft wurde:<br />
- die Musik ist nicht gut genug (damit beleidigt man Künstler und Manager)<br />
- Marketing/Promotion sind nicht gut genug (damit beleidigt man die Record<br />
36
Company)<br />
- die Charts sind falsch (damit beleidigt man außer Media Control niemanden)<br />
� alle geben den Charts die Schuld<br />
• Wenn ein Titel es auf Platz 1 schafft, gibt es folgende Erklärungs-Optionen:<br />
- die Musik ist gut (damit lobt man Künstler und Manager)<br />
- Marketing/Promotion sind gut (damit lobt man die Record Company)<br />
- die Chartsregeln sind gut (damit beleidigt man Künstler und Record<br />
Company)<br />
� keiner nennt die Chartsregeln richtig<br />
• Fazit: in der Außenwahrnehmung können die Charts nicht stimmen, weil<br />
alle permanent auf Fehler schimpfen, jedoch niemand sich dafür einsetzt!<br />
Die Chart-Diskussion hat 2009 eine einmalige Qualität erhalten durch den Casus<br />
Mario Barth. Sie kennen alle den Fall und die Tricksereien, um die Chart-<br />
Regeln auszuhebeln.<br />
Nachdem es mit der Chart-Qualifikation von Mario Barth nicht geklappt hat,<br />
wird aus München eine generelle Neugestaltung der Charts nachgelegt:<br />
• Die Charts kann keiner mehr verstehen. Ich fordere eine Entrümpelung und<br />
Neugestaltung. Sonst muss man sich die Sinnfrage stellen (Edgar Berger,<br />
CEO Sony, Spiegel Oktober 2009)<br />
Die Generalkritik von Sony ist inzwischen Gegenstand einer Grundsatz-<br />
Diskussion zu den Charts. Zentrale Forderungen dabei sind:<br />
• Abschaffung der Wertecharts<br />
• Abschaffung der Händler-Gewichtung<br />
• Abschaffung des Chart- und Marketing-Ausschusses<br />
• Beendigung der Chart-Zuständigkeit des Bundesverbandes Musikindustrie<br />
• Auslagerung der Charts an einen externen Dienstleister<br />
• Bestimmen der Charts-Regeln durch Externe<br />
Also vollständiger Rückzug der Musikindustrie aus einem der wichtigsten<br />
Gestaltungsbereiche im Musikgeschäft. Alles nur, weil Mario Barth nicht N.1<br />
geworden ist. Kein Kommentar!<br />
Passend dazu die Dauerkritik aus Berlin:<br />
• Die Charts haben ausgedient… Sie und die damit einhergehende Politik der<br />
Veröffentlichungsverschleppung sind eher zur Belastung denn zum Mittel zur<br />
Absatzförderung geworden. Die Charts wirken sich sowohl inhaltlich als auch<br />
37
wirtschaftlich negativ aus (Tim Renner, Motorblog April 2009)<br />
► Fazit im Miteinander der Industrie:<br />
• Die Solidarität der Branche hat durch die Krise spürbar abgenommen<br />
• Das Interesse an gemeinsamen Strategien und Projekten ist spürbar gesunken<br />
• Die kurzfristige Denkweise der Konzernzentralen beginnt sich auf die lokalen<br />
Chef-Etagen auszuweiten<br />
8. Die strategischen Optionen der Musikindustrie<br />
5 Grund-Strategien: Ein Schnelldurchlauf!<br />
► 1. Strategie: Verteidigung der traditionellen Position<br />
• Die 1. Hauptstrategie der Branche gegen die Krise, wird erst seit<br />
wenigen Jahren nach und nach aufgegeben<br />
• Ein „Weiter so“ mit abgebrochenen Versuchen (Kopierschutz, DRM, Copy<br />
Kills Music etc.)<br />
► 2. Strategie: Anpassung durch Restrukturierung<br />
• Die 2. Hauptstrategie der Branche gegen die Krise<br />
• gemeinhin als Verkleinerung der Organisation<br />
• Auch als Variante der Übernahme von Konkurrenten<br />
• Time Warner to acquire control of EMI Music (New York Times 24.1.1999)<br />
► 3. Strategie: Anpassung des Geschäftsmodells an das veränderte Umfeld<br />
• Wird immer wieder von verschiedenen Seiten gefordert, ohne zu sagen, wo<br />
das Geld herkommen soll:<br />
• Das die Musikbranche nicht will, dass irgendwas in den P2P-Netzen<br />
veröffentlicht wird, spiegelt ein veraltetes Geschäftskonzept wieder (Interview<br />
Bernhard Smolarz, Piratenpartei, MM 12.11.2009)<br />
• Für Anbieter, die im Spiel bleiben wollen, gibt es keine Alternative, als im<br />
Kontakt mit den Kunden zu bleiben. Experimente sind gefragt, neue Erlös-<br />
und Geschäftsmodelle werden sich entwickeln (Hergen Wöbken, Online<br />
15.4.2009)<br />
• Wir können die Anarchie da draußen beenden – oder sie zu Geld machen (Jim<br />
38
Griffin, MM 6.6.2003)<br />
• Finanzierung aus Werbung als Alternative (Spotify-Modell)? Wegen der<br />
begrenzten Werbeeinnahmen wirtschaftlich am Rande des Abgrunds<br />
• Führende Mitarbeiter von Majorlabels erklären, dass Spotify schon bald<br />
„erledigt“ sein könnte, wenn das Unternehmen nicht mehr zahlende Kunden<br />
findet (MW 16.10.2009)<br />
• Kostenlose Streamingangebote bringen die Musikbranche unterm Strich nicht<br />
voran (Edgar Bronfman, Warner-Chef Januar 2010 lt. MW 11.2.2010)<br />
• Streaming Flatrates als Alternative (Napster-Modell)? Die<br />
Zahlungsbereitschaft ist bislang sehr limitiert, ein Nischenmarkt?<br />
• Premium subscriptions, such as Napster in Germany, have largely failed to<br />
appeal to European consumers (Mark Mulligan, Forrester, MM 12.9.2008)<br />
• Comes With Music (Nokia) als Alternative? Sehr geringe Zahl an<br />
Abonnenten<br />
• Insgesamt scheint das Angebot von Nokia Comes With Music auf dem<br />
europäischen Markt weniger erfolgreich zu sein… So wurden im Juli 2009 in<br />
Deutschland 2.673 User verbucht (Renzo Wellinger, Startschwierigkeiten,<br />
MM 19.11.2009)<br />
Fazit:<br />
• Niemand weiß genau, welches Modell im Onlinebusiness künftig wirklich<br />
funktionieren kann (Mark Mulligan, Forrester, Midem 2010, MW 29.1.2010)<br />
� Die Musikindustrie muss sich wohl oder übel entscheiden:<br />
■ entweder den geraden Weg zu gehen: das Geschäftsmodell heißt weiterhin:<br />
Wer Musik haben will, muss dafür zahlen.<br />
■ oder den winkeligen Weg zu gehen: das Geschäftsmodell wird geändert und<br />
lautet jetzt: Musik gibt es umsonst, wir besorgen uns das Geld woanders.<br />
- Das ist das Modell, welches die Musiksozialisten immer wieder fordern<br />
- Aber Keiner weiß genau, welches Modell überhaupt Geld erwirtschaftet<br />
- Und es bleibt das Risiko, dass diese Modelle die bezahlten Downloads<br />
zusätzlich noch kannibalisieren!<br />
► 4. Strategie: Neue Geschäftsfelder und Diversifizierung<br />
• Die neuen Geschäftsfelder sind i.d.R. nicht neu, sondern meistens ist da<br />
schon jemand<br />
• An die Adresse aller Plattenfirmen sagte Ossy Hoppe (GF Konzertagentur<br />
Wizard Promotion): Schuster, bleib bei deinen Leisten… Würden<br />
Plattenfirmen künftig auch als Veranstalter aktiv werden, so mache man den<br />
Bock zum Gärtner (Ossi Hoppe Popkomm Oktober 2008, MW Online<br />
9.10.2008)<br />
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• Das von Musiklabels als Ausweg propagierte 360° Vermarktungsmodell<br />
erweist sich als Irrweg (Marek Lieberberg, Konzertveranstalter, Süddeutsche<br />
Online 30.3.2009)<br />
• Die Musikindustrie muss es schon mindestens so gut machen wie<br />
diejenigen, die bereits vorher da waren.<br />
• Nicht jedes neue Geschäftfeld wächst auch (Live Music verliert 2008/9<br />
jeweils etwa 7 % Umsatz)<br />
• Es muss nicht unbedingt 360 Grad sein, manchmal mögen 180 Grad oder<br />
240 Grad sogar besser sein<br />
► 5. Strategie: Die Kultur-Flatrate - Öffentlich-rechtliche Alimentierung<br />
• Bislang eher eine unausgegorene Idee als ein Geschäftsmodell<br />
• Von den Mediensozialisten als Königsweg proklamiert, ohne sich mit den<br />
Details auseinanderzusetzen (Grüne prüfen die Rechtmäßigkeit!?)<br />
• Problematik hat die IFPI inzwischen gut thematisiert!<br />
* Verteilerschlüssel<br />
* Organisation und Administration<br />
* Bestehende legale, bewährte Download-Modelle werden vernichtet<br />
* Was ist mit denjenigen, die keine Downloads wollen und trotzdem<br />
zahlen?<br />
* Wer investiert dann noch in neue Künstler?<br />
* Enteignung der bisherigen Rechteinhaber. Was passiert mit deren<br />
Investments?<br />
* Wie will man Kreative dann noch motivieren<br />
• Einmal am Lehrstuhl durchgerechnet:<br />
• Auf der Basis des Medienbudgets der GfK unter bestimmten Annahmen<br />
belaufen sich die monatlichen Kosten auf etwa 20 € pro Internet User<br />
und auf insgesamt etwa 11 Mrd € pro Jahr<br />
• Daher auch von den meisten Repräsentanten der Branche abgelehnt:<br />
• Die Einführung einer Flatrate wäre die Kapitulation vor der Komplexität des<br />
Urheberrechts in der digitalen Welt. (Stefan Michalk, MW Online 25.1.2010)<br />
• Lasst euch nicht von der Abgabe übers Ohr hauen!“ (Mark Mulligan,<br />
Forrester, MW 29.1.2020)<br />
• Bislang ist die Kulturflatrate nichts als ein Ballon, gefüllt mit heißer Luft<br />
(Frank Briegmann, MW 31.7.2009)<br />
9. Die „Plattenfirma“ der Zukunft – Ein Entwurf<br />
• Es wird sie zukünftig noch geben, die Musikindustrie, weil Musik zu den<br />
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attraktivsten Inhalten der Unterhaltung zählt<br />
• Die Tonträgerindustrie ist noch tot, arbeitet aber an ihrer Wiederauferstehung<br />
(Boris Fust, Intro Dez 2009)<br />
• Um im Wettbewerb gegenüber Dritten (vor allem auch Künstlern) zu<br />
bestehen, muss die Industrie ihre historisch eher eindimensionale Strategie<br />
ändern in eine mehrdimensionale Strategie<br />
- Dafür haben wir einen passenden Namen: Portfolio-Strategie<br />
► Die Portfolio-Strategie:<br />
- Das Angebot der Musikfirma enthält ein breites Leistungsspektrum (=<br />
Portfolio) für den Künstler, alles aus einer Hand<br />
- Der Künstler kann sich selbst Leistungspakete zusammenstellen und buchen<br />
- Die Musikfirma: Vom Operierenden Unternehmen zum Koordinierenden<br />
Unternehmen: Vom Selbermachen zum Machen lassen!<br />
- Vom „Alles unter einem Dach“ zum Netzwerk externer Partner<br />
- Daraus ergeben sich Wettbewerbsvorteile durch Bündelung von Know How<br />
und durch Kompetenzbreite<br />
- Daraus ergeben sich Kostenvorteile durch geringe Fixkosten und große<br />
Auftragsmengen<br />
• Das Portfolio im Schnelldurchlauf (21 Felder plus weitere; wären zu<br />
handelbaren Paketen zusammen zu fassen)<br />
- Vertrieb (physisch, digital)<br />
- Trade Marketing<br />
- Digital Sales Promotion<br />
- Returns Management<br />
- Manufacturing<br />
- Disposition<br />
- Distribution<br />
- Marketing<br />
- Digital Marketing<br />
- Website Management<br />
- Market Research<br />
- CRM<br />
- International Exploitation<br />
- Finance incl. Royalty & Copyright Administration<br />
- Publishing<br />
- Sync, Licensing<br />
- Merchandising<br />
- A&R-Beratung bis Künstleragentur<br />
- Chart-Beratung<br />
- Creative (Produktgestaltung, Artwork)<br />
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- Konzertagentur<br />
Der Sinn des Portfolio-Ansatzes:<br />
• Wenn man die Komplexität des Musikgeschäfts als Künstler selber managen<br />
will, ist das schwer. Wir sehen unsere Aufgabe darin, dem Künstler den<br />
Freiraum für seine Kreativität zu verschaffen, während wir uns um den Rest<br />
kümmern… Je komplexer das Geschäft wird, desto interessanter wird unsere<br />
Dienstleistung (Frank Briegmann Interview MW 31.7.2009)<br />
Die Voraussetzungen<br />
- Know How in der Firma bündeln (sonst kreiert man Konkurrenten)<br />
- Fördern von Netzwerkern (zu Künstlern, Medien, Agenturen, Handel,<br />
Politik…)<br />
- Breites Kompetenzspektrum, um den wichtigen Bedürfnissen der „Kunden“<br />
gerecht zu werden<br />
• Antje Lange von Century Media: Für jeden Bereich des Business braucht man<br />
einen Experten. 360 Grad bedeutet ein Netzwerk mit kompetenten Partnern<br />
(Antje Lange Popkomm 2008)<br />
- Internationales Denken (die Partner denken auch international)<br />
- Last but not least: Generalisten als Manager, die das alles noch steuern<br />
können<br />
10. Schluss-Fazit<br />
Wie sehen wir die Zukunft der Musikindustrie?<br />
► Die Zukunftsaussichten sind viel besser als derzeit von den meisten erwartet -<br />
wenn<br />
* Unternehmensführer und Manager am Start sind, die Musik und<br />
Popkultur leben<br />
* Wenn man diesen Unternehmensführern und ihrem Management die<br />
Freiheit lässt, zusammen mit ihren Künstlern und Partnern vor Ort<br />
(= Local) dasjenige zu tun, was die Märkte erfordern<br />
* Wenn man den Musikunternehmen die Zeit gibt, nachhaltige<br />
Unternehmenspolitik in die Wirklichkeit umzusetzen. Das rechnet sich<br />
nicht immer innerhalb eines Geschäftsjahres, aber es rechnet sich!<br />
Das Schluß-Zitat: nicht von Tim Renner, sondern noch einmal Frank Briegmann<br />
im Interview der MW 31.7.2009)<br />
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• „Erst kommt die Musik – dann kommt alles andere!“<br />
Bitte vergesst es nicht!<br />
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