leben » Ich habe mir dabei gedacht, dass man sich etwas dabei denken soll. « die Veduten von Giovanni Battista Piranesi, einem italienischen Kupferstecher des 18. Jahrhunderts. „Danach habe ich mit dem Schwimmtraining aufgehört und beschlossen, nur noch zu zeichnen. Ich bin dabei geblieben.“ Der Weg von Göttingen führte ihn aber nicht direkt zur Kunstakademie. Brandi absolvierte zunächst eine kaufmännische Ausbildung bei Kaufhof – zur Sicherheit, sollte ihn die künstlerische Muse später einmal verlassen. Im Jahr der Studentenproteste 1968 begann er dann an den Kölner Werkschulen, wo er seiner Leidenschaft folgte und sich in die Grafik vertiefte. Damals bereits zeichnete er mit Lupe, zur Verwunderung mancher. Ein Studienfreund habe zu ihm gesagt: „Uwe, du musst weiter weg gehen.“ Auch später habe er sich nicht verunsichern lassen, sei seinem Stil treu geblieben. Ein Redakteur des Magazins Spiegel habe nach mehreren gedruckten Titeln gesagt: „Wir können doch keine Lupe beilegen, malen Sie größer!“ Er habe geantwortet: „Dann ist es kein echter Brandi mehr.“ 1971 FOLGTE DIE ZWEITE GROSSE Lebensentscheidung. Brandi kaufte mit seiner Frau Mati ein Haus der Jahrhundertwende in Polch in der Eifel. Weg von Köln, weit entfernt von der Kunstszene konzentrierte sich Brandi ganz auf das Zeichnen. Hier wuchs sein Sohn Jesko auf. „Das Haus war wie eine Festung“, bemerkt der Künstler. Ein Foto als Beilage zu einem Kunstkatalog zeigt Brandi kurz nach dem Umzug auf dem Balkon: Groß, schlank, in Jeans und Wollpullover, hält er in der linken Hand einen Metallkäfig in die Höhe, darin eine selbst gebastelte Maschine. ,Radierer und Maschinenbauer‘ steht unter der Aufnahme. Brandis gezeichnete Fantasien aus den 1970er-Jahren füllen einen schmalen Katalog: Sie reichen von der Nullwegmaschine zur Pingelmaschine, haben Beine, Krallen, Greifer und werden von Zahnrädern angetrieben. Im Nachwort wird Brandi zum Sinn seiner Kreationen zitiert: „Ich habe mir dabei gedacht, dass man sich etwas dabei denken soll.“ Zum Nachdenken will Brandi mit all den Zeichnungen bis heute anregen. Manche entstehen nach jahrelangem Ringen, wie das Bild einer Blase, das unvollendet 15 Jahre an seiner Atelierwand hing. Polch hat der Künstler nach vierzig Jahren verlassen. Seine Frau starb 2014 wenige Wochen nach einer schweren Krankheit. Brandi zog in die Schweiz und fand in Myrtha, einer Freundin der Familie, eine neue Partnerin. Seine kurzen Haare und der Bart sind mittlerweile weiß. Eines treibt den Grafiker um: Was passiert später mit seinen Werken? „Fällt das alles in den Schredder?“, fragt sich Brandi. Eine bisherige Leerstelle, die auf Antwort drängt. Zwar war der Künstler stets gefragt, eine große Werkschau fehlt jedoch. SEINER FREUDE AM SCHAFFEN SEINER WELTEN tut das keinen Abbruch, die Augen versagen nicht ihren Dienst. Brandi arbeitet unverdrossen an seinem, wie er es nennt, „endgültigen Lebenswerk“. In einem ungewöhnlichen Format von zehn Zentimeter Höhe, jeder Bogen einen Meter lang. Aktuell sei er bei 19 Metern angelangt, 30 sollen es mal werden. Die Betrachter müssten es später wie einen Film ansehen. Was sie erblicken werden? Brandi verrät es nicht. Nur eines ist sicher: Es wird seine Welt zeigen – witzig, irritierend, nachdenklich stimmend. Der Künstler blickt zufrieden auf sein Schweizer Leben: „Im Tessin ist es traumhaft. Ich brauche gar nicht mehr zu sterben, ich bin jetzt schon im Paradies.“ ƒ 126 4 | <strong>2021</strong>
leben Zur Person Uwe Brandi studierte 1968 bis 1977 an den Kölner Werkschulen, seit 1971 als Meisterschüler von Professor Alfred Will. Ab 1972 hatte er zahlreiche Ausstellungen in Deutschland sowie im Ausland, darunter in New York und Krakau. Auch in Göttingen waren seine Werke zu sehen, letztmalig in der Torhaus Galerie 2015. Zwischen 1990 und 2002 gestaltete er Titelseiten des Magazins Spiegel. Mehrmals wurde Brandi bereits mit Preisen ausgezeichnet – wie zum Beispiel 1989 mit dem Albert-Haueisen-Preis. Heute lebt der 79-Jährige in Tegna in der Schweiz. www.uwebrandi.de 4 |<strong>2021</strong> 127