Gesund & Leben 2021/12
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PNEUMOKOKKEN<br />
Fallzahli<br />
PNEUMOKOKKEN,<br />
Es beginnt mit einem leichten Husten.<br />
Nach ein paar Tagen kann sich<br />
daraus eine Bronchitis entwickeln<br />
– und im schlimmsten Fall eine<br />
Lungenentzündung. Die Ursache<br />
für die schwere Atemwegs-Erkrankung, die tödlich<br />
verlaufen kann, ist häufig eine Infektion mit<br />
Pneumokokken. Diese Bakterien besiedeln wie<br />
Covid-19 den Nasen-Rachen-Raum, stehen in<br />
der derzeitigen Pandemie aber abseits des medialen<br />
Blitzlichts. Zu Unrecht. 2019 erkrankten in<br />
Österreich 7 von 100.000 Menschen daran. 2020<br />
waren es nur 4 von 100.000 – infolge der Corona-<br />
Schutzmaßnahmen. Dennoch sind auch vergangenes<br />
Jahr 19 Menschen infolge einer Pneumo-<br />
700i<br />
600i<br />
500i<br />
400i<br />
300i<br />
200i<br />
100i<br />
0i<br />
DIE UNBEKANNTE<br />
GEFAHR<br />
Impfungen schützen. Nicht<br />
nur vor Covid-19, sondern auch<br />
vor einer Erkrankung durch<br />
Pneumokokken: gefährliche<br />
Bakterien, die oftmals eine<br />
lebensbedrohende Lungen- oder<br />
Gehirnhautentzündung auslösen können.<br />
325i<br />
ANGEZEIGTE FÄLLE VON PNEUMOKOKKEN<br />
IN ÖSTERREICH VON 2010 BIS 2020<br />
349i<br />
304i<br />
358i<br />
324i<br />
423i<br />
2010 2011 20<strong>12</strong> 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020<br />
439<br />
545<br />
611 615<br />
355i<br />
QUELLE: AGES<br />
„PNEUMOKOKKEN SIND SCHON<br />
FÜR EIN DRITTEL ALLER<br />
LUNGENENTZÜNDUNGEN<br />
VERANTWORTLICH. DIESE TRETEN<br />
OFT IN KOMBINATION MIT EINER<br />
GRIPPE-INFEKTION AUF,<br />
WAS SEHR GEFÄHRLICH IST.“<br />
FOTO: ISTOCK_ MI-VIRI; BKA_TATIC<br />
kokken-Infektion verstorben.<br />
Immer mehr Ärztinnen und Ärzte empfehlen<br />
daher eine Impfung gegen diese weitgehend<br />
unbekannte Gefahr: für Kinder, Menschen mit<br />
einem erhöhten Risiko sowie ab 60 Jahren. Diesen<br />
Ratschlag gab auch ein deutscher Hausarzt<br />
seiner prominentesten Patientin: keiner Geringeren<br />
als Angela Merkel. Die deutsche Politikerin<br />
ist ihm gefolgt – sie ließ sich öffentlichkeitswirksam<br />
gegen Pneumokokken impfen.<br />
PNEUMOKOKKEN UND<br />
LUNGENENTZÜNDUNG<br />
Um die stille Gefahr, die von Pneumokokken<br />
ausgeht, weiß auch der Wiener Infektiologe<br />
Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Facharzt für<br />
spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin<br />
sowie Hygiene und Mikrobiologie und Experte<br />
im Nationalen Impfgremium (NIG): „Diese Bakterien<br />
können verschiedene klinische Erkrankungen<br />
hervorrufen, bei Kindern zum Beispiel<br />
eine Mittelohr- oder Nasennebenhöhlen-Entzündung.<br />
Und bei Erwachsenen eine Gehirnhautentzündung,<br />
eine Blutvergiftung oder eine<br />
Lungenentzündung. Wobei Pneumonien bei<br />
Letzteren die häufigste Folge sind. Hierzulande<br />
sind Pneumokokken schon für ein Drittel aller<br />
Lungenentzündungen verantwortlich. Diese treten<br />
oft in Kombination mit einer Grippe-Infektion<br />
auf, was sehr gefährlich ist.“<br />
IN ÖSTERREICH NUR 15 PROZENT<br />
GEGEN PNEUMOKOKKEN GEIMPFT<br />
Dennoch sind bislang nur rund 15 Prozent<br />
aller Österreicherinnen und Österreicher gegen<br />
Pneumokokken geimpft. Sie werden, so wie<br />
Covid-19, leicht von Mensch zu Mensch übertragen:<br />
durch Tröpfchen, Schmierinfektionen<br />
oder Aerosole. Die beste Prävention ist auch hier<br />
die Impfung, vor allem für Personen mit einem<br />
erhöhten Risiko. Dazu zählen Kinder, Menschen<br />
über 60 sowie jene mit Vorerkrankungen: Diabetes,<br />
Krebs und der<br />
chronisch fortschreitenden<br />
Lungenerkrankung<br />
COPD, aber auch<br />
Immunsupprimierte,<br />
Raucherinnen und<br />
Raucher, Alkoholikerinnen<br />
und Alkoholiker<br />
sowie jene, die in<br />
einer Pflegeeinrichtung<br />
leben und dadurch viel<br />
Kontakt mit Menschen<br />
haben.<br />
Kollaritsch: „In<br />
höheren <strong>Leben</strong>sjahren<br />
sind die Organe oft vorgeschädigt.<br />
Dazu kommt ein gealtertes Immunsystem.<br />
Der Körper kann eine Pneumokokken-<br />
Infektion nicht mehr optimal bekämpfen. Daher<br />
empfehlen wir vom NIG gefährdeten Gruppen<br />
klar die Impfung. Sie senkt das Risiko einer<br />
schweren Erkrankung infolge einer Infektion<br />
deutlich.“ Für Kinder bis zwei ist die dreiteilige<br />
Impfung im kostenfreien Impfprogramm enthalten.<br />
Erwachsene bekommen eine zweiteilige<br />
Impfung, Kostenpunkt rund 100 Euro.<br />
Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch,<br />
Facharzt für spezifische Prophylaxe<br />
und Tropenmedizin sowie Hygiene<br />
und Mikrobiologie, gerichtlich beeideter<br />
und zertifizierter Sachverständiger<br />
und Experte im Nationalen<br />
Impfgremium (NIG), Wien<br />
NEUE IMPFSTOFFE IN VORBEREITUNG<br />
Weil es bei Pneumokokken sogar noch mehr<br />
Serotypen (= Untergruppen) als bei der bekannt<br />
mutationsfreudigen Influenza gibt, sind für 2022<br />
Konjugat-Impfstoffe mit einem breiteren Spektrum<br />
im Zulassungsverfahren. „Dabei wird das<br />
Antigen, das aus Teilen der Bakterienhülle des<br />
Krankheitserregers besteht, den Polysacchariden,<br />
an ein Eiweiß-Protein gebunden. Dies<br />
erzeugt eine stärkere und länger anhaltende<br />
Immun-Antwort“, erklärt Kollaritsch. Und: „Die<br />
neuen Pneumokokken-Impfungen decken nun<br />
15 Serotypen ab statt wie bislang nur 13. Bald<br />
kommt eine auf den Markt, die sogar 20 abdeckt<br />
– ein sehr breiter Schutz. Damit wird eine Erkrankung<br />
aufgrund dieser Bakterien zu über 65<br />
Prozent verhindert.“ Für Menschen ab 60 oder<br />
mit einem erhöhten Risiko bestehe das ideale<br />
Präventions-Package für diesen Winter aus einer<br />
Covid-19-, Grippe- und einer Pneumokokken-<br />
Impfung.<br />
Im Unterschied zu Corona gibt es bei einer<br />
Erkrankung infolge einer Pneumokokken-Infektion<br />
eine erprobte Therapie: durch spezifische<br />
Antibiotika. Kollaritsch zieht die Impfung dennoch<br />
eindeutig vor: „Diese Medikamente müssen<br />
rechtzeitig eingenommen werden, was in<br />
der Realität oft nicht der Fall ist. Denn wer geht<br />
schon mit einem leichten Husten – oft das erste<br />
Symptom einer Infektion – sofort zum Arzt?!“<br />
<br />
KARIN LEHNER n<br />
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GESUND & LEBEN <strong>12</strong>/21<br />
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