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Gesund & Leben 2021/12

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SCHICKSAL<br />

Aus Trauer wächst<br />

KRAFT<br />

Als die geliebte Oma von Sarah Hölzl starb, drohte die 29-Jährige<br />

in ihrer Trauer zu ertrinken. Heute weiß sie: Wer trauern kann,<br />

hat große Liebe erfahren.<br />

FOTOS: SARAH HÖLZL<br />

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VON KREBS-<br />

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Am 19. Dezember 2018 um<br />

13.45 Uhr klingelt das Handy<br />

von Sarah Hölzl. Die Mama ist<br />

dran: Oma Lola gehe es nicht<br />

gut. Sarah ist gerade in der<br />

Apotheke, um gemeinsam mit<br />

ihrem Bruder Medikamente für Lola abzuholen.<br />

Mit rasender Geschwindigkeit geht’s ins Krankenhaus,<br />

„vom Auto bis ins Krankenzimmer<br />

bin ich gerannt, als ginge es um mein eigenes<br />

<strong>Leben</strong>“, erinnert sich die Salzburgerin heute.<br />

Um das Bett von Lola wimmelt es von Ärzten<br />

und Krankenschwestern, sie und ihre Familie<br />

müssen am Gang warten. Als der erste Arzt<br />

Entwarnung gibt – „Sie müsste über den Berg<br />

sein!“ –, zweifelt Sarah daran. Intuitiv weiß sie:<br />

Nein, Lola ist nicht über den Berg, die Kraft, der<br />

Überlebenswille haben diesmal nicht gereicht.<br />

Zu eng ist Sarahs Verbindung zu Lola, zu sehr<br />

verbunden sind die Seelen der damals 26-Jährigen<br />

und der 77-jährigen ehemaligen Krankenschwester.<br />

Um 15 Uhr soll die bedrückende<br />

Ahnung Gewissheit werden: Lola ist gestorben.<br />

Und Sarah muss nicht nur von ihrer Oma<br />

Abschied nehmen, sondern von „meiner guten<br />

Freundin, tollen Wegbegleiterin, Vertrauten und<br />

einem meiner größten Vorbilder“.<br />

MUTMACHERIN<br />

Lola ist das philippinische Wort für Großmutter.<br />

Eigentlich heißt Lola ja Linda, aber für die<br />

gesamte Familie war sie immer die „Lola“.<br />

Lola war waschechte Filipina, wie Sarah uns<br />

mit einem Strahlen und Glitzern in den Augen<br />

erzählt, die sie wahrscheinlich von ihrer Oma<br />

geerbt hat: „Lola war alles, was man sich an<br />

liebevollen Attributen wünschen kann: Sie<br />

war empathisch, eine wahre Mutmacherin<br />

und hatte unendlich viel Liebe zu schenken.“<br />

Gemeinsam tauschten die beiden Geheimnisse<br />

aus, sprachen über Selbstzweifel und Herzschmerz,<br />

sangen bei Disney-Songs lauthals mit<br />

und teilten ihre Liebe für köstliches Essen. „Sie<br />

unterstützte mich mit vielen tollen Ratschlägen<br />

und <strong>Leben</strong>sweisheiten. Bis zu ihrem Tod.“<br />

DIAGNOSE: LEUKÄMIE<br />

Die letzte Reise (Sarah spricht oft von „Reisen“,<br />

wenn sie über ihre Oma erzählt) begann<br />

für Lola rückblickend am 19. Dezember 2016:<br />

Exakt zwei Jahre vor ihrem Sterbetag wurde bei<br />

ihr nach Blutarmut im Rahmen einer Blutuntersuchung<br />

Leukämie festgestellt. „Wir waren<br />

am Boden zerstört.“ Die Ärzte gaben ihr noch<br />

sechs Monate, „aber eine Diagnose ist keine<br />

Prognose“, betont Sarah. Vielleicht war es auch<br />

damals die intensive unsichtbare Verbindung<br />

zur Oma, die in der gesamten Familie die Überzeugung<br />

aufkommen ließ: Unsere Lola wird<br />

wieder gesund, noch ist es nicht so weit! Und<br />

tatsächlich: Nach oraler Chemotherapie, Injektionen<br />

und der Unterstützung durch alternativmedizinische<br />

sowie TCM-Behandlungen wurde<br />

Lola wieder gesund. Die Message von Sarah an<br />

Patienten und deren Angehörige: „Gebt nie auf,<br />

lasst eine ärztliche Diagnose eure Hoffnung niemals<br />

im Keim ersticken!“<br />

SEELE UND KÖRPER TRAUERN<br />

14 Monate war Lola krebsfrei, „14 Monate, für<br />

die wir alle sehr, sehr dankbar sind.“ Dann der<br />

Schock: Der Krebs war zurück, im Endstadium.<br />

Nach drei Monaten erlag Lola ihrer Krankheit.<br />

„Wir haben uns alle um ihr Bett versammelt.<br />

Obwohl sich ihr Körper kalt anfühlte, war ihre<br />

Aura angenehm warm.“ Ihr Herz habe sich<br />

angefühlt, als sei es in tausend Stücke zersprungen,<br />

beschreibt Sarah ihre Trauer. Bei der Vorbereitung<br />

auf unser Gespräch habe sie einige Tränen<br />

vergossen, erzählt sie, zur Sicherheit liegt<br />

beim Interview eine Packung Taschentücher<br />

in Griffweite. Sie wird sie nur einmal brauchen<br />

– und wäre es öfter gewesen, wär’s auch nicht<br />

nur in Ordnung, sondern sogar seelenheilend<br />

gewesen, weiß Sarah heute: „Nach dem Tod von<br />

Lola habe ich erst lernen müssen, meine Trauer<br />

und meine Gefühle in all ihren Facetten zuzulassen“,<br />

erzählt sie tapfer. „Anfangs habe ich mich<br />

mit Händen und Füßen dagegen gewehrt – und<br />

zwar in Form von Schokolade, mit der ich meine<br />

Trauer kompensieren wollte.“ Sechs Kilo in<br />

sechs Wochen habe sie zugenommen, „ein Hilfeschrei.“<br />

Zur Trauer kam Überforderung: Wie mit<br />

der neuen Situation umgehen? Wie wieder ins<br />

<strong>Leben</strong> eintauchen, wenn man seinen <strong>Leben</strong>smenschen<br />

verloren hat? „Ich war gewohnt, dass<br />

es im <strong>Leben</strong> für alles eine Lösung gibt.“<br />

GLÜCK NEU DEFINIERT<br />

Zwanghaft versuchte Sarah, mittels positiver<br />

Einstellung zu einem Ende der Trauer zu finden.<br />

Zwecklos. „Man kann selbst mit der positivsten<br />

Einstellungskraft Trauer nicht wegdenken.“<br />

Dass es darum gar nicht geht, habe sie mittlerweile<br />

gelernt: „Viel wichtiger ist es, Gedanken zu<br />

finden, die uns dabei helfen, vor allem in dieser<br />

Zeit uns selbst ein guter und fürsorglicher<br />

Freund zu sein.“ Auch ihr Körper zeigte, dass er<br />

trauerte: Nach Lolas Tod hatte Sarah ständig mit<br />

Bronchitis zu kämpfen. Ein wichtiger Schritt<br />

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