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MEDIAkompakt Ausgabe 32

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org

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02/ 2022 NOT AFRAID 3<br />

Summertime sadness<br />

Steigende Temperaturen und hellere Abendstunden: Die Vorfreude<br />

auf den Sommer wächst. Doch für einige Menschen steht der<br />

Sonnenschein im starken Kontrast zu ihrer eigenen Stimmung.<br />

VON SINA MAJER<br />

Bild: Adobe Stock/nanihta<br />

Mit dem Ende des Winters fiebert<br />

der Großteil der Menschen mit<br />

freudiger Erwartung dem Sommer<br />

entgegen. Der Grund: Vielen<br />

schlägt die dunkle Jahreszeit aufs<br />

Gemüt. Der Begriff der Winterdepression wird im<br />

Alltag dabei gerne salopp verwendet. Doch so<br />

leicht wie sich dieser Ausdruck im Sprachgebrauch<br />

etabliert hat, kann man bei einer getrübten<br />

Stimmung noch lange nicht von einer depressiven<br />

Erkrankung sprechen. Allerdings können<br />

gewisse Phasen im Jahr depressive Verstimmungen<br />

begünstigen oder verstärken.<br />

Der medizinische Fachausdruck der Winterdepression<br />

ist die sogenannte saisonal abhängige<br />

Depression. Im Gegensatz zu klassischen, unipolaren<br />

Depressionen treten die Symptome nur in<br />

bestimmten Phasen des<br />

Jahres immer wiederkehrend<br />

auf. Meistens im<br />

Herbst oder Winter. Als<br />

Auslöser würden viele<br />

Experten den Botenstoff<br />

Melatonin verantwortlich<br />

machen, erklärt<br />

Christine Rummel-Kluge.<br />

Sie ist geschäftsführende<br />

Oberärztin am Universitätsklinikum in Leipzig. Er<br />

beeinflusst im Körper unseren Schlaf-Wachrhythmus.<br />

Durch die geringe Lichtintensität<br />

während der Wintermonate ist die<br />

Melatonin-Ausschüttung im Körper besonders<br />

hoch. Als Folge fühlen wir uns müde und haben<br />

ein vermehrtes Schlafbedürfnis.<br />

Gibt es eine Sommerdepression?<br />

Eine zum Winter analoge Sommerdepression gibt<br />

es wie in einigen Artikeln im Netz beschrieben<br />

jedoch nicht. Rummel-Kluge betont: „Der Begriff<br />

Sommerdepression ist vor allem ein gemachter<br />

Begriff der Medien“. Häufig wird der Ausdruck mit<br />

der Freizügigkeit im Sommer und dem damit einhergehenden<br />

Selbstzweifel einiger junger Frauen<br />

erwähnt. Der verstärkte Fokus auf die Körperwahrnehmung<br />

kann den Unmut zum eigenen<br />

Körper zwar begünstigen, Depression sei aber<br />

etwas anderes als Unzufriedenheit oder schlechte<br />

Laune, hebt die Oberärztin hervor. „Der Begriff in<br />

einem solch irrtümlich verwendeten Zusammenhang<br />

wird Menschen mit echter Depression nicht<br />

gerecht“, bekräftigt sie.<br />

Bei einer saisonal abhängigen Depression treten<br />

atypische Symptome in Erscheinung. Dazu<br />

zählen unter anderem vermehrter Appetit und<br />

Schlaf, anstatt Appetitverlust und Schlafstörungen.<br />

Letztere begleiten häufig eine unipolare<br />

„Der Begriff Sommerdepression<br />

ist vor<br />

allem ein gemachter<br />

Begriff der Medien.“<br />

Depression , zu deren Kernsymptomen eine niedergeschlagene<br />

Stimmung und Antriebs-, und<br />

Freudlosigkeit gehören. Fachexperten hätten<br />

Menschen untersucht, die im Sommer unter einer<br />

wiederholten depressiven Episode litten,<br />

beschreibt Rummel-Kluge. Der Großteil der<br />

Betroffenen hätte Symptome einer unipolaren<br />

Depression gezeigt. Das Ergebnis bestätigt: Sommermonate<br />

sind selten der Auslöser für depressive<br />

Erkrankungen . In den meisten Fällen verstärken<br />

sie jedoch eine bereits vorhandene.<br />

Einfluss auf Stimmung und Selbstwert<br />

Die Oberärztin rät Betroffenen im Sommer aus<br />

diesem Grund von einer Urlaubsreise ab. Die<br />

sichtbare Lebensfreude des Umfelds rückt die persönliche<br />

konträre Stimmung nur in den Fokus der<br />

eigenen Wahrnehmung.<br />

Schuldgefühle kommen<br />

hinzu. „Einem an Depression<br />

erkrankten<br />

Menschen fällt dann<br />

auf: Ich bin im Urlaub,<br />

die Sonne scheint, es<br />

müsste mir doch eigentlich<br />

gut gehen“,<br />

beschreibt sie.<br />

Für viele Menschen war der Corona-Sommer<br />

und der Umgang mit der plötzlichen Einsamkeit<br />

eine Herausforderung. Für Menschen mit depressiven<br />

Erkrankungen glich er vage formuliert einer<br />

Erleichterung. Die eigene Situation sei jetzt nicht<br />

mehr so stark aufgefallen. Man hätte sich nun in<br />

einem breiten Strom bewegt, wo man vorher immer<br />

nur gegen ihn geschwommen sei, veranschaulicht<br />

Babette Glöckner die Gefühlslage der<br />

Betroffenen. Die Pastorin ist seit 13 Jahren Leiterin<br />

der telefonischen Seelsorge in Hamburg.<br />

Menschen mit Depression zieht die vermehrte<br />

soziale Aktivität in den Sommermonaten häufig<br />

noch stärker in die eigene, sogenannte Tunnelexistenz.<br />

Wichtig ist aber, sich entgegen dem Gefühl<br />

nicht weiter in den eigenen vier Wänden zurückzuziehen.<br />

Der Rückzug verhindert das Erleben positiver<br />

Erfahrungen, die für den Wiederaufbau des Selbstwertgefühls<br />

dringend notwendig sind. Für Mitmenschen<br />

rät Glöckner an dieser Stelle: „Zuhören.<br />

Der Person achtsames und wertschätzendes<br />

Interesse entgegenbringen. Ihr vermitteln ‚Du bist<br />

wichtig in dem Moment‘.“<br />

Summertime Sadness – ein Titel mit zwei Deutungen.<br />

Dabei gilt: Mit einem größeren<br />

öffentlichen Bewusstsein für psychische Erkrankungen<br />

nimmt man Betroffenen ein Stück Last<br />

von ihren Schultern.

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