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MEDIAkompakt Ausgabe 32

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org

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02/ 2022 NOT AFRAID 9<br />

Bild: Unsplash/ Karsten Winegeart<br />

Kein Like<br />

für Tierleid<br />

Verkleidete Hunde. Katzen, die sich vor Gurken erschrecken. Urlaubsfotos mit Wildtieren. Social<br />

Media ist voll von Beiträgen mit tierischen Stars. Nur wenige wissen, dass hinter solchen Inhalten<br />

oft verschiedene Formen von Tierleid stecken.<br />

VON JOSEPHINE HENNEN<br />

Die getigerte Katze liegt schlafend auf<br />

dem Sofa. Eine Hand erscheint im<br />

Bild. Sie legt heimlich eine Gurke neben<br />

das ruhende Tier. Die Katze öffnet<br />

müde ein Auge, sieht das schlangenförmige<br />

Gemüse und springt panisch vom Sofa.<br />

Im Video ertönt lautes Gelächter. Ist das noch<br />

Spaß oder schon Tierleid?<br />

„Hier ist einfach Unwissenheit im Spiel. Ich<br />

mache mich über etwas lustig, was überhaupt<br />

nicht lustig sein sollte“, sagt Wiebke Plasse von<br />

der Welttierschutzgesellschaft e.V. Sie ist Leiterin<br />

der Kampagne „Stoppt Tierleid in den sozialen<br />

Netzwerken“. Es gibt verschiedene Formen von<br />

Tierquälerei. Die höchste Stufe ist das eindeutige<br />

Tierleid: Die Darstellung von grundlosem physischem<br />

oder psychischem Leiden von Tieren. Diese<br />

Inhalte verstoßen gegen das deutsche Tierschutzgesetz.<br />

Dazu zählen auch der unnötige<br />

Kontakt zu Wildtieren und die unkritische Darstellung<br />

von Qualzuchten.<br />

Eine Stufe darunter steht der Tierleid-Verdacht:<br />

Inhalte, die wie eindeutiges Tierleid wirken,<br />

aber ohne weiteren Kontext nicht klar einzuordnen<br />

sind. Ein Beispiel: Ein Wildtier wird mit<br />

der Flasche gefüttert und nimmt dann ein<br />

Schaumbad. „Man kann zwar erkennen, dass dieses<br />

Tier aufgepäppelt werden muss, aber es wird in<br />

eine vermenschlichende Rolle gebracht. Das ist<br />

schon grenzüberschreitend“, erklärt Plasse.<br />

Die unterste Stufe ist der respektlose Umgang<br />

mit Tieren. „Da steckt erstmal kein Tierleid dahinter.<br />

Das Tier hat keine Schmerzen, keinen nachhaltigen<br />

körperlichen Schaden“, sagt Plasse.<br />

„Aber es ist dem Tierschutz nicht förderlich, Tiere<br />

in einer nicht tiergerechten Form darzustellen.“<br />

Ab wann es sich um eine respektlose Darstellung<br />

handelt, liegt im Auge des Betrachters. Fest steht,<br />

es ist die Vorstufe zu Tierleid.<br />

Was harmlos anfängt, kann schnell eskalieren.<br />

Der Hashtag #AnimalCrush wurde erstmals<br />

2019 verwendet. Ein Mädchen filmte sich dabei,<br />

wie sie einen Käfer zertrat. Schnell entwickelte<br />

sich die Challenge weiter. „Es gab Tausend Schritte<br />

dazwischen, aber es mündete in dem Zertreten<br />

von Welpen, was einfach unfassbar war“, erinnert<br />

sich die Expertin. „Es war extrem verstörend, welche<br />

Richtung das annimmt. Und es hört dann natürlich<br />

nicht auf. Je größer eine Challenge wird,<br />

desto mehr Menschen machen mit und desto weniger<br />

beschäftigen sich damit, was da eigentlich<br />

gerade passiert.“<br />

Auch Videos von Tierrettungen sind beliebt.<br />

Hinter diesen Beiträgen steckt jedoch oft ein perfides<br />

Geschäftsmodell. Die Rettungen sind inszeniert.<br />

Tiere werden absichtlich in Gefahr gebracht<br />

und die Ersteller:innen verdienen durch bezahlte<br />

Werbung in den Videos viel Geld. „Es ist eine ganz<br />

miese Nummer, auf Kosten der Tiere um Klicks zu<br />

kämpfen“, empört sich Lea Schmitz, Pressesprecherin<br />

des Deutschen Tierschutzbund. Die Enttarnung<br />

dieser Fake Rescues ist langwierig. „Die Problematik<br />

ist, dass man nie an die Leute herankommt,<br />

die das Video produziert haben. Oft sitzen<br />

sie im Ausland“, klagt sie. „Es gibt keinerlei gesetzliche<br />

Grundlage, die die Darstellung von Tierleid<br />

in sozialen Netzwerken regelt“, kritisiert<br />

Wiebke Plasse. Dabei stehe das Thema auf einer<br />

Ebene mit Gewalt gegen Menschen oder Kinderpornografie,<br />

erklärt sie. Zahlreiche Studien haben<br />

ergeben, dass Tierquälerei die Vorstufe zu Gewalt<br />

an Menschen sein kann.<br />

„Mit der Gewalt gegen das Tier wird oft angefangen.<br />

Das kann sich schnell steigern, wenn die<br />

Befriedigung nicht mehr ausreicht“, ergänzt sie.<br />

Wenn Nutzer:innen regelmäßig mit Tierleid konfrontiert<br />

werden, tritt ein Gewöhnungseffekt auf.<br />

Die Schwelle zur Gewaltbereitschaft sinkt deutlich.<br />

„Der Blick für das Tier geht verloren. Es wird<br />

als Unterhaltungsobjekt wahrgenommen, was<br />

man nur für eigene Zwecke nutzt“, sagt Lea<br />

Schmitz.<br />

Wie können Nutzer:innen selbst aktiv gegen<br />

Tierleid in Social Media vorgehen? „Nicht alles<br />

ungefiltert gut finden. Sondern als User mit kritischem<br />

Blick fragen, was steckt vielleicht dahinter“,<br />

empfiehlt die Expertin. Fragwürdige Inhalte<br />

auf keinen Fall liken oder teilen. Kommentare<br />

sollten bedacht erstellt werden. „Es ist ein zweischneidiges<br />

Schwert“, räumt Schmitz ein. Kritische<br />

Kommentare und Dislikes können vom Algorithmus<br />

der Netzwerke als Interesse bewertet<br />

werden. Andererseits könnten sie andere Nutzer:innen<br />

auf Missstände aufmerksam machen.<br />

Der wichtigste Schritt: Beiträge melden. Von<br />

selbst werden die Netzwerke nicht aktiv.

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