altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Juli/August 2022
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Das</strong> islamische Neujahr – heuer am 29. <strong>Juli</strong><br />
Ohne Party, ohne Böller<br />
schongau / Penzberg | Während<br />
der gregorianische Kalender<br />
seit 1582 <strong>für</strong> die offizielle<br />
christliche Zeitrechnung<br />
steht und sich auch weltweit<br />
durchgesetzt hat, schlägt die<br />
„Stunde null“ im Islam seit<br />
622 Jahre nach Christus. Und<br />
weil der islamische Kalender<br />
ein reiner Mondkalender ist,<br />
der nur 354 Tage im Jahr zählt<br />
(im Schaltjahr 355), gilt <strong>für</strong><br />
Muslime heuer nicht das Jahr<br />
<strong>2022</strong>, sondern das Jahr 1443.<br />
Und dieses Jahr endet wiederum<br />
am 29. <strong>Juli</strong> mit Sonnenuntergang<br />
um Punkt 21 Uhr. Insofern könnten<br />
Muslime quasi zweimal im<br />
Jahr Silvester feiern. Machen sie<br />
aber nicht, weil <strong>für</strong> sie der Ende<br />
<strong>Juli</strong> bevorstehende Jahreswechsel<br />
kein Tag <strong>für</strong> großartige Partys<br />
mit Feuerwerk und Sekt ist, sondern<br />
vielmehr ein Augenblick der<br />
Andacht, Stille und Erinnerung.<br />
Laut Überlieferung musste Prophet<br />
Mohammed im Jahr 622 nach<br />
Christus Mekka verlassen, weil die<br />
Menschen in der saudi-arabischen<br />
Stadt seine Botschaft ablehnten<br />
und offene Feindseligkeit zeigten.<br />
So machte sich der Prophet mit einigen<br />
Getreuen auf einen 450 Kilometer<br />
langen Weg nach Yathrib,<br />
dem heutigen Medina. Darum<br />
sprechen Muslime im Rahmen ihrer<br />
Zeitrechnung auch von einem<br />
„Kalender der Auswanderung“.<br />
Diese Reise je<strong>den</strong>falls, die sogenannte<br />
„Hidschra“, war beschwerlich.<br />
Verfolger waren Mohammed<br />
und seiner kleinen Gruppe auf <strong>den</strong><br />
Fersen. Einmal mussten sie Unterschlupf<br />
in einer Höhle suchen.<br />
Und wur<strong>den</strong> nur deshalb nicht<br />
entdeckt, weil der Legende zufolge<br />
eine Spinne ein dichtes Netz<br />
36 | <strong>altlandkreis</strong><br />
Gönül Yerli ist seit 17 Jahren Vize-Direktorin<br />
der islamischen Gemeinde in Penzberg.<br />
vor <strong>den</strong> Höhleneingang sponn,<br />
die Verfolger so achtlos daran vorüberzogen.<br />
Dieser Spinne wird<br />
noch heute in einer Sure des Korans<br />
gedacht. Nach seiner Ankunft<br />
in Medina war Mohammed dann<br />
nicht nur Prophet, sondern gleichzeitig<br />
auch politischer Führer und<br />
Schiedsrichter bei gesellschaftspolitischen<br />
Schwierigkeiten. Im Zuge<br />
dessen brachte er die Religion des<br />
Islams mit, und führt das Rechtssystem<br />
des Korans ein. Früher<br />
wählten Muslime diese Geburtsstunde<br />
des Islams als Kerndatum<br />
ihrer Geschichte – also nicht <strong>den</strong><br />
Geburtstag des Propheten, sondern<br />
seine erste Zeit in Medina<br />
gilt als Jahr eins. Acht Jahre später<br />
eroberte Mohammed Mekka,<br />
„säuberte“ das dortige Heiligtum,<br />
die Kaaba, und machte die Stadt<br />
zu einem bedeuten<strong>den</strong> Pilgerziel<br />
des Islams.<br />
„Haben doch schon<br />
silvester gefeiert“<br />
Für Muslime, auch die hier leben<strong>den</strong>,<br />
ist „ihr“ Jahreswechsel also<br />
kein Grund, rauschende Partys zu<br />
feiern. Es geht ihnen schlichtweg<br />
um Rückbesinnung und Buße.<br />
In welcher Form, ist eine<br />
rein persönliche Entscheidung.<br />
„<strong>Das</strong> hängt immer<br />
davon ab, wie die Religion<br />
in der Familie gelebt wird“,<br />
sagt Hava Sirin, Vorsitzende<br />
des Türkischen Elternvereins<br />
Schongau-Peiting und Umgebung<br />
e. V. „In manchen<br />
Moscheen mag es eine Andacht<br />
oder Predigt des Imams<br />
geben, aber im privaten Bereich<br />
gibt es kein Fest oder<br />
ähnliches.“ Auch in der staatlichen<br />
Moschee in der Augsburger<br />
Straße in Schongau wer<strong>den</strong> am<br />
29. <strong>Juli</strong> keine Sektkorken knallen.<br />
Halit Köklü, erste Vorsitzende der<br />
türkisch-islamischen Gemeinde,<br />
bestätigt das: „Unser Vorbeter erzählt<br />
an diesem Tag die Geschichte<br />
von Mohammed und seiner<br />
Auswanderung, aber großartig<br />
gefeiert wird nicht.“ Der „höchste<br />
Feiertag“ im Islam ist nämlich das<br />
Opferfest, heuer vom 9. bis 13. <strong>Juli</strong>,<br />
welches entgegen des islamischen<br />
Neujahrs sehr wohl groß gefeiert<br />
wird. An diesen Tagen wird dem<br />
Propheten Abraham gedacht, der<br />
bereit war, seinen Sohn Ismael Allah<br />
zu opfern. Und auch am Ende<br />
des Fastenmonats Ramadan, heuer<br />
vom 1. April bis 1. Mai gewesen,<br />
begehen die Muslime eine größere<br />
Feierlichkeit – das Fest des Fastenbrechens.<br />
Der Jahreswechsel<br />
nach dem islamischen Mondkalender<br />
ist mit Opferfest und Fest<br />
des Fastenbrechens in keinster<br />
Weise zu vergleichen.<br />
In der Moschee in Penzberg kommen<br />
am islamischen Neujahrstag<br />
immerhin rund 100 Gläubige<br />
zusammen und lauschen <strong>den</strong><br />
Worten des dortigen Imams. „Es<br />
ist so ähnlich, als würde bei <strong>den</strong>