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277.TIROL - November 2022

277.TIROL, Ausgabe 8, November 2022

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88 tirol.bunt und vielfältig<br />

tirol.bunt und vielfältig<br />

89<br />

‚‚© Privat<br />

„Ich kenne Esther Fritsch<br />

bereits seit den 80er Jahren.<br />

Erstmals getroffen haben wir<br />

uns beim Bau der Synagoge<br />

in Innsbruck. Sie ist eine<br />

Macherin, weiß, was sie will.<br />

Danach haben wir noch bei<br />

der Errichtung der Jüdischen<br />

Gedenkstätte in Seefeld<br />

zusammengearbeitet. Ich<br />

schätze ihr Engagement und<br />

ihr Wissen. Sie ist eine wirklich<br />

starke Persönlichkeit.“<br />

- Michael Prachensky,<br />

Architekt und Künstler<br />

‚‚<br />

„2007 lernte ich Esther Fritsch<br />

zum ersten Mal persönlich<br />

kennen, diese Begegnung ist<br />

mir in besonders schöner<br />

Erinnerung. Ich recherchierte<br />

damals gerade für mein<br />

Buch ‚Graubart Boulevard‘ und<br />

Esther Fritsch lud mich ein in<br />

die Räumlichkeiten der Kultusgemeinde<br />

in der Sillgasse. Wir<br />

unterhielten uns in entspannter<br />

Atmosphäre lange über<br />

die Familie Graubart – und<br />

für die vielen Hinweise und<br />

Ratschläge, die Esther Fritsch<br />

mir gab, bin ich ihr noch heute<br />

dankbar.“<br />

- Christoph W. Bauer,<br />

Schriftsteller<br />

© Fotowerk Aichnerr<br />

Unmittelbar vor dem Eingang zur Synagoge<br />

wird auf Esther Fritsch verwiesen.<br />

(© GemNova)<br />

Mit zehn Jahren, 1948, emigrierten Sie<br />

schließlich nach Israel. Haben Sie dort<br />

Ihre „Heimat“ gefunden?<br />

(Sehr emotional) Aber natürlich. Ich bin<br />

Israelin, in erster Linie bin ich Israelin.<br />

Israel war und ist das Land, in dem<br />

wir leben wollten. Ich habe dort meinen<br />

zweijährigen Militärdienst geleistet, mich<br />

engagiert, im Kibbuz gearbeitet, bin zu<br />

den hohen Feiertagen in die Synagoge<br />

gegangen. Nach der Matura wollte ich<br />

unbedingt Medizin studieren, erhielt aber<br />

keinen Studienplatz in Jerusalem. Stattdessen<br />

gab es die Möglichkeit, in London,<br />

Zürich oder Wien zu studieren.<br />

Warum dann ausgerechnet Wien?<br />

Weil in Wien schon zwei Kollegen aus Israel<br />

waren. Es gab dort eine kleine israelische<br />

Studentengemeinschaft, auch eine<br />

jüdische Gemeinde, dort hab ich mich<br />

dann gleich recht wohl gefühlt. Und ich<br />

konnte Medizin studieren. Wobei für mich<br />

eines ganz klar war: Nach dem Studium<br />

gehe ich wieder zurück nach Israel.<br />

Doch es kam alles ganz anders. Aus<br />

Jerusalem wurde Innsbruck.<br />

Beim Studium hab ich meinen jetzigen<br />

Mann Peter kennengelernt, einen Goj,<br />

also einen Nichtjuden. Deswegen bin ich<br />

in Wien hängen geblieben. Gemeinsam<br />

haben wir dann auch in den USA, an der<br />

Universität Yale studiert. Das war für mein<br />

Selbstbewusstsein sehr wichtig. Ende<br />

der siebziger Jahre bin ich dann meinem<br />

Mann nach Innsbruck gefolgt, der hier an<br />

die Uni-Klinik gerufen wurde. Für mich war<br />

das ein Kulturschock. Was sollte ich ausgerechnet<br />

in Tirol? Hier gab es nur eine<br />

sehr kleine jüdische Gemeinde, vielleicht<br />

70 Personen, die meisten schon recht<br />

betagt. In der Zollerstraße 1 gab es ein<br />

kleines, bescheidenes Zimmer, das war<br />

unser Betraum. Dort hab ich auch noch<br />

die alte Frau Schindler getroffen. Es war<br />

entwürdigend, eigentlich eine Zumutung.<br />

1987 wurden Sie zur Präsidentin der<br />

Israelitischen Kultusgemeinde gewählt.<br />

Noch immer ohne Synagoge.<br />

Ich wollte das ja überhaupt nicht. Ich<br />

hatte einen herausfordernden Job als<br />

Ärztin an der Klinik, zwei kleine Kinder,<br />

einen Mann, also genug zu tun. Aber<br />

ich erzähle Ihnen die Geschichte dazu.<br />

Schon einige Jahre vorher bin ich zu Jom<br />

Kippur in die Zollerstraße 1 gegangen,<br />

um das Kaddish, das Totengebet für<br />

meinen ermordeten Vater zu sprechen.<br />

Der damalige Präsident Ernst Beschinsky,<br />

über den es ja einiges zu erzählen<br />

gibt, war anwesend, ich bat ihn um ein<br />

Gebetbuch. Als er sah, dass ich die<br />

hebräischsprachigen Seiten aufschlug,<br />

machte er große Augen. Da wusste ich,<br />

ui, jetzt hab ich einen Fehler gemacht.<br />

Warum das?<br />

Weil er mich dann gleich für verschiedene<br />

Tätigkeiten in der jüdischen Gemeinde<br />

heranzog. Für den Religions- oder Hebräischunterricht<br />

zum Beispiel. Wenig später<br />

wurde ich zur Vizepräsidentin gewählt,<br />

nach dem Tod von Ernst Beschinsky zur<br />

Präsidentin. So bin ich da hineingeschlittert.<br />

Im Unterschied zu Bischof Paulus<br />

Rusch, dem antisemitische Töne fürwahr<br />

nicht fremd waren, war Reinhold<br />

Stecher ein großer Förderer, ein Brückenbauer<br />

hin zur jüdischen Religion.<br />

Als ich Bischof Stecher erstmals kennenlernte,<br />

war er sehr krank, war bei uns in<br />

der Klinik. Später hat er seine Fühler in<br />

unsere Richtung ausgestreckt, hat mich<br />

zu einem Gespräch eingeladen. Er wollte<br />

ganz bewusst eine Verbindung zwischen<br />

der jüdischen und christlichen Religion<br />

schaffen. Er war eine starke Persönlichkeit<br />

mit Weitblick, mit offenem Herzen.<br />

Es ist kein Zufall, dass ein Bild von ihm<br />

bei uns in der Kultusgemeinde hängt.<br />

Außerdem wurde er als erster deutschsprachiger<br />

Bischof von Oberrabbiner Lau<br />

in Israel empfangen und ausgezeichnet.<br />

Gut, da hatte auch ich ein wenig meine<br />

Hände im Spiel.<br />

Stecher hat ja auch den Bau der Synagoge<br />

maßgeblich unterstützt.<br />

Ja, er hat uns in vielerlei Hinsicht geholfen.<br />

Er war es auch, der dem unsäglichen<br />

Kult um Anderl von Rinn ein unmissverständliches<br />

Ende setzte. Doch zurück zur<br />

Synagoge. Die alte Synagoge stand in der<br />

Sillgasse, wurde aber in der Reichskristallnacht<br />

im <strong>November</strong> 1938 zerstört. Stattdessen<br />

gab es hier einen Parkplatz und<br />

einen Gedenkstein, der an die alte Synagoge<br />

erinnern sollte. Als der Architekt<br />

Prachensky den Auftrag erhielt, an dieser<br />

Stelle ein neues Haus zu bauen, rief er<br />

mich an und fragte, wo ich denn gerne<br />

den Gendenkstein hätte. Meine selbstbewusste<br />

Antwort:<br />

„Was heißt<br />

Gedenkstein, ich<br />

will hier eine neue<br />

Synagoge.“<br />

Diese Ihre Antwort ist ja mittlerweile<br />

legendär.<br />

Das weiß ich nicht. Vor allem auch dank<br />

Stecher gab es zu dieser Zeit ein offeneres<br />

Klima. Nach vielen Gesprächen<br />

unterstützten auch der damalige Landeshauptmann<br />

Partl und der damalige<br />

Bürgermeister Niescher den Bau einer<br />

Synagoge. Zur Grundsteinlegung 1991<br />

wurden dann jene Jüdinnen und Juden<br />

eingeladen, die während der NS-Zeit aus<br />

Tirol flüchten konnten. Aus Israel reisten<br />

30 Personen an. Sie alle unterzeichneten<br />

ein Dokument, welches in den Grundstein<br />

eingemauert wurde. Das war nicht nur für<br />

mich ein sehr bewegender Moment.<br />

Ein in Polen aufgenommenes Foto von<br />

Chana Weinberg-Winawer, der Mutter<br />

von Esther Fritsch. „Ohne meine Mutter<br />

hätte ich den Holocaust nicht überlebt.“<br />

(© Privat)<br />

© Privat<br />

‚‚<br />

„Esther Fritsch hat der jüdischen<br />

Gemeinde in Tirol und<br />

Vorarlberg ein Gesicht gegeben.<br />

Ihrer Energie und ihrem<br />

politischen Geschick ist zu<br />

verdanken, dass in Innsbruck<br />

– wieder – eine Synagoge<br />

steht. Sie hat erreicht, dass die<br />

Landespolitik das Judentum<br />

nicht bloß als eine Angelegenheit<br />

der Vergangenheit,<br />

sondern auch der Gegenwart<br />

und der Zukunft wahrnimmt,<br />

wahrnehmen muss. Als Ho -<br />

locaust-Überlebende, in Israel<br />

sozialisiert und in Österreich<br />

als Ärztin beruflich erfolgreich,<br />

repräsentiert sie jüdische Tradition<br />

– und jüdische Zukunft.“<br />

- Anton Pelinka,<br />

Politikwissenschafter

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