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MANUFAKTUREN<br />
Man guckt ins Schaufenster<br />
und unwillkürlich<br />
kommt<br />
Nostalgie-Feeling<br />
auf. Wo hat man so<br />
eine pittoreske Kulisse schon mal<br />
gesehen. Die grauen Zellen stöbern<br />
in den Schubladen mit alten Filmen.<br />
Bei Charles Dickens vielleicht?<br />
Hinter der bodentiefen Scheibe im<br />
Gründerzeitgebäude öffnet sich<br />
nämlich eine filmreife Werkstatt,<br />
die Wände bis zur hohen Decke mit<br />
Leisten bestückt. Hunderte sind es,<br />
säuberlich in Regale sortiert. Andere<br />
hängen in langen Trauben am Band.<br />
Mit Blick zur Straße hockt ein junger<br />
Mann mit Nickelbrille und klopft<br />
konzentriert mit dem Hammer auf<br />
ein schmales Stück Papier. Was<br />
mag darunter sein? Tritt man ein,<br />
erschnuppert die Nase Leder und<br />
Bienenwachs. Der junge Mann stellt<br />
sich gleich vor: Vincent Klemann,<br />
Sohn von Benjamin. Zwischen seinen<br />
Knien klemmt ein Schuh, oder<br />
besser das, was er werden soll. Klemann<br />
Junior bearbeitet gerade die<br />
Sohle. Welcome to Klemann Shoes.<br />
Nein, wir sind nicht in London.<br />
Wir sind Downtown Hamburg in der<br />
Poolstrasse 9. Der englische Touch<br />
darf sein. Nicht nur der Maßschuhe<br />
wegen, die man ja gerne mit britischer<br />
Gentleman Attitüde verbindet.<br />
Benjamin Klemann arbeitete<br />
<strong>FineTobacco</strong>[+] 01·2023<br />
jahrelang bei John Lobb in London,<br />
Hoflieferant des Königshauses. Die<br />
eigene Werkstatt gründete er 1986.<br />
Sie hat sich zum Familienunternehmen<br />
entwickelt. Seine Frau Magrit<br />
ist mit im Geschäft sowie die Söhne<br />
Lennert und Vincent. Seit 15 Jahren<br />
arbeiten sie in diesem bildschönen<br />
Betrieb: Werkstatt zur Linken,<br />
Ladengeschäft zur Rechten. Diese<br />
Tür öffnet sich nur nach Verabredung.<br />
Das Fenster ist dezent verhängt.<br />
Welcher Gentleman möchte<br />
sich schon bei Maßnehmen oder<br />
Anprobe auf seine Strumpfsocken<br />
gucken lassen? Im Laden glänzen<br />
Schaustücke vor sich hin: Oxfords,<br />
Cambridges, Budapester, Loafers<br />
und mehr. In unterschiedlichen Ledern<br />
und Farbtönen. Jedes Paar ein<br />
Prachtstück. Zum Glück, so muss<br />
man sagen, sind sie nicht zu verkaufen.<br />
Modelle eben. Denn an Ort und<br />
Stelle spontan eine Wahl zu treffen,<br />
wäre schier unmöglich. Die Maßanfertigung<br />
kostet je nach Leder<br />
ab etwa 2900 Euro plus einmaliger<br />
Fertigung des Leistenpaars. Geduld<br />
ist für die ganze Prozedur gefragt.<br />
Vom Fußabdruck zum Erstellen des<br />
Leistens über Anproben bis zum finalen<br />
Reinschlüpfen dauert das Manufakturieren<br />
in etwa 500 einzelnen<br />
Schritten mindestens sechs Monate.<br />
Am Anfang steht die Beratung,<br />
erklärt Benjamin Klemann - graugelockt,<br />
die lange schwarze Schuhmacherschütze<br />
um den Leib verknotet<br />
und gern zum Lachen bereit. Beim<br />
Erstgespräch muss sich der Kunde<br />
viele Fragen stellen. Wofür sollen<br />
die Schuhe sein? Eher zu besonderen<br />
Anlässen oder zum täglichen