Ausgabe 07/2023
Das Magazin für Herisau und Umgebung. Erscheinungsdatum: Juli 2023
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24 · Herisauer Persönlichkeiten <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
«LASSET UNS GUTES TUN<br />
UND NICHT MÜDE WERDEN»<br />
Neuerungen in der Textilindustrie, die erste Krankenstation in Herisau, eine Bank, die Wiederbelebung<br />
des Heinrichsbads, das erste Monatsblatt für die Familie in der deutschsprachigen<br />
Schweiz: Jakob und Elise Steiger-Meyers Lebenswerk ist imposant.<br />
In den Jahrbüchern 1933 erschienen auf 65 Seiten<br />
die «Gedenkblätter an Jakob Steiger-Meyer»<br />
zu seinem 100. Geburtstag, zusammengestellt<br />
und verfasst von seinen Söhnen Jakob<br />
Steiger, Eugen Steiger-Sigg, Ernst Steiger-Züst<br />
sowie «unter stiller Mitwirkung der übrigen<br />
Geschwister». Betitelt mit «Lasset uns Gutes<br />
tun und nicht müde werden» veröffentlichte<br />
der Illustrierte Hausfreund im Januar 1906<br />
den Nekrolog von Elise Steiger-Meyer, geschrieben<br />
von Tochter Lily Zellweger-Steiger.<br />
Bezugnehmend auf diese Schriften versuchen<br />
wir, Ihnen einen Einblick ins Schaffen des Ehepaars<br />
Steiger-Meyer zu vermitteln. Einmal<br />
mehr mit der Einschränkung, dass es nicht<br />
möglich ist, mit diesen wenigen Zeilen dem<br />
Lebenswerk und den Persönlichkeiten des<br />
Ehepaars gerecht zu werden.<br />
Jakob Steiger, geboren am 9. November<br />
1833, stammte aus bäuerlichen Kreisen. Als er<br />
drei Jahre alt war, übernahmen seine Eltern in<br />
Zürich Stadelhofen die Wirtschaft «Sternen»<br />
unmittelbar am See. Hier wuchs er mit zwei<br />
Schwestern auf, besuchte die «schon damals<br />
ausgezeichneten Stadtschulen und hatte das<br />
Glück, an der Industrieschule von tüchtigen<br />
Lehrern unterrichtet worden zu sein». Dank<br />
eines elterlichen Freundes erhielt er 1851 einen<br />
Lehrvertrag für eine kaufmännische Ausbildung<br />
im Weisswarenfabrikations- und Exporthaus<br />
J. Bischoff & Co. in Teufen. «Das war<br />
der Beginn von Steigers enger Verbindung<br />
mit der appenzellischen Industrie, der er<br />
während 40 Jahren treu bleiben sollte.» Vorerst<br />
aber wirkte er von 1855 bis 1857 als Prokurist<br />
in der Londoner Filiale seiner Lehrfirma.<br />
1858 gründete er in St. Gallen eine eigene Stickereiexportfirma.<br />
Nach der Heirat mit Elise<br />
Meyer verlegte er diese 1860 auf Wunsch seines<br />
Schwiegervaters nach Herisau.<br />
Elise Meyer, geboren am 16. Juni 1828, war<br />
die älteste Tochter von Emanuel Meyer und Elise<br />
Meyer, Tochter des Landesstatthalters und<br />
Textilkaufmanns Johannes Wetter. Das Verhältnis<br />
zwischen Schwiegersohn und Schweigervater<br />
wird als «für die Öffentlichkeit von<br />
Einfluss» beschrieben und «kaum ein Tag verging,<br />
wo sich die beiden nicht sahen und mancher<br />
kluge Rat des älteren machte die Durchführung<br />
von Plänen möglich». Oberstleutnant<br />
Emanuel Meyer-Wetter besass eine Appretur<br />
und Indiennedruckerei und war «anerkannter<br />
Organisator und Führer der appenzellischen<br />
Land- und Forstwirtschaft», einige Zeit war<br />
er auch Mitglied des Herisauer Gemeinderats<br />
und der Ausserrhoder Regierung. Elise Steiger-<br />
Meyers Mutter wird als «weltabgewandt und<br />
in sich gekehrt» beschrieben, «ohne lebhaftes<br />
Interesse für das Leben um sie her, verbrachte<br />
sie am liebsten ihre Tage in stiller Arbeit<br />
und in Betrachtung des göttlichen Wortes».<br />
Ihre Tochter «war vielmehr ihrem Vater ähnlich,<br />
lebhaft, aufgeweckt, immer voller Pläne<br />
und Ideen». Mit dem Konfirmandenunterricht<br />
vertiefte sie sich in das Wesen und Leben der<br />
christlichen Lehre und des Evangeliums. Nach<br />
ihrer Schulzeit verbrachte sie ein Jahr in einem<br />
Mädchenpensionat in Lausanne. Zurück in<br />
Herisau gründete sie eine Sonntagsschule<br />
und «richtete für die Kinder, die sich ohne Aufsicht<br />
wild herumtrieben, eine Strickschule ein<br />
und besuchte Kranke». Daneben lebte sie eher<br />
zurückgezogen vom gesellschaftlichen Leben.<br />
Dies löste die Befürchtung aus, sie würde nie<br />
einen Mann finden, «was damals in ihren Kreisen<br />
als einziges Lebensziel eines wohlhabenden<br />
Mädchens galt». In St. Gallen aber hatte<br />
Jakob Meyer über Bekannte von Elise gehört.<br />
Er reiste nach Herisau und bat um ihre Hand,<br />
ohne sie zu kennen. Elise willigte ein. Ihren<br />
Briefen ist zu entnehmen, dass sie bald sehr<br />
glücklich war «und dieses Glück viele Jahre<br />
ungetrübt blieb».<br />
Aktiv für eine erstarkte Industrie<br />
Jakob Meyers Geschäft florierte, was ihn dazu<br />
veranlasste, ein eigenes Heim und Geschäftshaus<br />
an der Emdwiese (heute Poststrasse) zu<br />
bauen. Das Haus «Friedeck» hätte seinen Namen<br />
indes nur sonntags verdient; «werktags<br />
war es eine ‹Sturmeck›». Es herrschte Hochbetrieb<br />
und Überstunden bis tief in die Nacht<br />
seien für Steiger die Regel gewesen. Dieser<br />
hatte «von jeher den Wunsch, mit seinem eigenen<br />
Geschäft und seiner reichen Tätigkeit<br />
dem allgemeinen Wohl zu dienen. Er wollte<br />
die festgesessene Industrie wieder flott machen,<br />
Verbesserungen in der Fabrikation einführen,<br />
mehr Arbeitsgelegenheiten schaffen,<br />
zu besseren Löhnen, um der ausländischen<br />
Konkurrenz die Spitze zu bieten». Die appenzellische<br />
Weberei befand sich damals in der<br />
Krise. 1862 wurde daher eine Industriekommission<br />
ins Leben gerufen, welche sich mit<br />
«der Einführung neuer Industrien im Lande»<br />
beschäftigen sollte. Jakob Steiger übernahm<br />
das Präsidium. Bereits ein Jahr später konnte<br />
er etwa von der Einführung von Stick- und<br />
Verwebkursen in Herisau und Trogen berichten.<br />
Ebenfalls bemühte sich Steiger um die<br />
Einführung der Seidenhandweberei. Ab 1864<br />
entspannte sich die Lage. Steiger richtete<br />
sein Augenmerk fortan auf die «Hebung der<br />
bestehenden Industrien, die Einführung verbesserter<br />
Arbeitsmethoden, Verbesserungen<br />
an den Webstühlen, Erziehung von geschultem<br />
Personal und von tüchtigen Zeichnern<br />
für Weberei und Stickerei (…) und die Einführung<br />
gewerblicher Fortbildungskurse», welche<br />
er in den Anfängen aus eigener Tasche<br />
finanzierte. Steiger führte zudem, «sein wohl<br />
grösster Verdienst um die appenzellische<br />
Handweberei», die Eisengarnweberei aus<br />
Wuppertal ein und entdeckte das Ätzverfahren<br />
bei Textilien. Die Chronisten sind sich<br />
einig: «Dank der von Steiger initiierten Sanierung<br />
der Ausrüstindustrie rückte Herisau<br />
zum Zentrum der Textilveredlung auf.»<br />
Spital, Bank, Illustrierte, Kurhaus, Bahn<br />
Steiger machte sich nicht nur regional einen<br />
Namen. So delegierte ihn der Bundesrat als<br />
«Jurymitglied für die gesamte Textilindustrie<br />
(ausgenommen Seide)» an die Weltausstellungen<br />
nach Wien (1873) und nach Paris (1878).<br />
Ebenfalls wurde sein Urteil in handelspolitischen<br />
und Zoll-Fragen eingeholt. So verhandelte<br />
Steiger im Auftrag des Bunderates mit<br />
Frankreich, mit den USA und mit dem Deutschen<br />
Reich. Zudem engagierte er sich für<br />
einen besseren Zusammenschluss unter den<br />
verschiedenen Industrien. «Er war ein Förderer<br />
des Schweizerischen Handels- und Industrieverein»,<br />
gründete 1879 die Sektion Herisau und<br />
präsidierte diese bis zu seinem Austritt 1890.<br />
Steigers Engagement reichte aber weit<br />
über die Textilindustrie hinaus. Anfangs<br />
der 1860er-Jahre etwa hatte er die Idee, in<br />
Herisau ein Krankenhaus zu gründen. «Die<br />
Hauptarbeit fiel dabei seiner Frau zu.» An<br />
der Schmiedgasse richtete sie eine erste bescheidene<br />
Krankenstation ein und übernahm<br />
die Oberaufsicht. Später «ging daraus das<br />
hinterländische Krankenhaus hervor». 1866<br />
gründete er gemeinsam mit Freunden wie<br />
Bankier Ulrich Zellweger aus Trogen, seinem<br />
Schwiegervater und dem Direktor der Bank in<br />
Winterthur die Bank für Ausserrhoden, welche<br />
schnell florierte. Später ging sie an den<br />
Schweizerischen Bankverein über, der sie als<br />
Filiale weiterführte. Ende der 1860er-Jahre<br />
entschloss sich Jakob Steiger zur Herausgabe<br />
eines illustrierten Monatsblattes, besonders<br />
für Arbeiterkreise. Dies mit dem Ansinnen,<br />
dem Volke «statt der vielen Schundliteratur<br />
guten Lesestoff zu bieten». Da er keinen passenden<br />
Redaktor fand, übernahm auch diese<br />
Arbeit seine Frau. «Mit Herzklopfen ging sie