12.09.2023 Aufrufe

wein.plus Magazin

wein.plus magazin September 2023

wein.plus magazin
September 2023

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

„Es geht um den täglichen<br />

psychischen Druck in<br />

unserem Beruf“<br />

INTERVIEW: YVONNE HEISTERMANN,<br />

PRÄSIDENTIN DER DEUTSCHEN SOMMELIER-UNION<br />

Yvonne Heistermann ist vor kurzem zur Präsidentin der Sommelier-Union<br />

Deutschland gewählt worden. Sie ist die erste Frau in diesem Amt seit der<br />

Gründung 1976. Vorausgegangen war der Rücktritt ihres Vorgängers Peer Holm<br />

aufgrund eines „MeToo“-Vorfalls. Uwe Kauss hat sie getroffen.<br />

FOTOS: UWE KAUSS, SOMMELIER-UNION DEUTSCHLAND<br />

Wie ist in der Sommelier-Union<br />

Deutschland aktuell das Verhältnis<br />

zwischen Männern und Frauen?<br />

Yvonne Heistermann: Etwa 60<br />

Prozent sind Männer, rund 40<br />

Prozent sind Frauen.<br />

Die Wahl des Vorstands stand<br />

unter einem schwierigen<br />

Vorzeichen. Dein Vorgänger<br />

Peer Holm musste aufgrund<br />

eines „MeToo“-Vorfalls<br />

zurücktreten. Mit welchen<br />

Erwartungen bist du gestartet?<br />

Yvonne Heistermann: Ich bin<br />

angetreten, weil ich die Sommelier-<br />

Union gemeinsam mit unserem<br />

Vorstandsteam erfolgreich in die<br />

Zukunft führen möchte. Dabei wirken<br />

die Vorkommnisse der Vergangenheit<br />

natürlich auch in meine heutige<br />

Arbeit ein. Zum Beispiel werden wir<br />

für unsere Mitglieder mehr regionale<br />

Veranstaltungen organisieren, um<br />

uns und unsere Kolleg*innen weiter<br />

zu sensibilisieren. Wir haben etwa in<br />

Köln zu einer Awareness-Schulung<br />

eingeladen, bei der es um Respekt und<br />

jegliche Formen der Diskriminierung<br />

ging. Es wird weitere Seminare geben.<br />

Abseits davon werden wir nach<br />

vorne schauen und uns weiterhin auf<br />

unsere Arbeit konzentrieren.<br />

Als Peer Holm zurückgetreten<br />

ist, gab es von der Sommelier-<br />

Union ein Statement, man<br />

wolle den Vorgang intensiv<br />

aufarbeiten. Wie hat diese<br />

Aufarbeitung ausgesehen?<br />

Yvonne Heistermann: Wir haben ein<br />

Vertrauensteam gegründet, einen<br />

Ethikkodex verabschiedet, die Leitung<br />

des Sommelier College mit unserer<br />

wunderbaren Kollegin Stefanie Hehn<br />

MS besetzt und eine erste Awareness<br />

Schulung organisiert. Weiter sind wir<br />

in den intensiven Dialog mit unseren<br />

Mitgliedern gegangen – während<br />

regionaler Meetings, auf unserer<br />

Mitgliederversammlung und in vielen<br />

persönlichen Gesprächen.<br />

In den vergangenen Monaten<br />

blieb der Eindruck, der Vorgang<br />

hätte nie stattgefunden.<br />

Yvonne Heistermann: Es ist eine<br />

Menge im Hintergrund passiert.<br />

Schon allein die Tatsache, dass nun<br />

seit Gründung der Sommelier-Union<br />

die erste Präsidentin gewählt wurde,<br />

spricht Bände.<br />

Billy Wagner von Nobelhart<br />

& Schmutzig hat kürzlich das<br />

Thema Belästigung in der<br />

gehobenen Gastronomie erneut<br />

in die Diskussion gebracht. Ist der<br />

Vorgang in der Sommelier-Union<br />

ein Einzelfall? Oder wird nur zu<br />

wenig darüber gesprochen?<br />

Yvonne Heistermann: Jeder Fall der<br />

Belästigung ist ein Fall zu viel, ist ein<br />

Opfer zu viel. Völlig unabhängig davon,<br />

in welcher Branche es passiert. In der<br />

Vergangenheit wurde wahrscheinlich<br />

viel zu wenig auf dieses Thema<br />

geachtet. Betroffene haben sich oft<br />

nicht getraut, sich zu äußern, weil<br />

sie in einem Abhängigkeitsverhältnis<br />

stehen. Mir geht es darum, unsere<br />

Mitglieder dafür zu sensibilisieren,<br />

die Augen im eigenen Umfeld<br />

offen zu halten und füreinander<br />

einzustehen. Wichtig ist mir auch,<br />

dass wir eine Brücke zwischen<br />

den Generationen schlagen. In<br />

Stresssituationen kann in der Küche,<br />

im Service oder auch im Büro ein<br />

rauer Ton herrschen. Da muss man<br />

versuchen, im täglichen Miteinander<br />

am Umgang zu arbeiten. Es geht um<br />

Respekt und Rücksichtnahme.<br />

Ist es möglich, dass aufgrund<br />

solcher Vorfälle Mitglieder<br />

aus der Sommelier Union<br />

ausgeschlossen werden?<br />

Yvonne Heistermann: Wenn es<br />

um ein erwiesenes Vergehen eines<br />

Mitglieds geht, wie eine sexuelle<br />

Belästigung, werden wir auch<br />

in Zukunft nicht davor zurückschrecken,<br />

ein Mitglied auszuschließen.<br />

In unserer Satzung steht<br />

dazu Folgendes: Ein Mitglied kann<br />

durch Beschluss des Vorstands<br />

mit Zweidrittel-Mehrheit der<br />

anwesenden und stimmberechtigten<br />

Vorstandsmitglieder von<br />

der Mitgliederliste gestrichen<br />

werden, wenn es gegen die Ziele<br />

und Interessen des Vereins schwer<br />

verstoßen hat.<br />

„Die Jobbörse im<br />

Newsletter ist so<br />

lang wie noch nie“<br />

Die Vorwürfe und<br />

Missbrauchsfälle sind ja<br />

nur ein Teil der Probleme.<br />

Restaurants stecken in der<br />

Krise, Weinhandlungen geben<br />

auf, Weingüter können die<br />

Kostensteigerungen nicht<br />

auffangen. Wie erlebst<br />

du diese Probleme?<br />

Yvonne Heistermann: Wir müssen<br />

uns davon lösen, die Gastronomie<br />

zu verteufeln. Zunächst möchte<br />

ich eine Lanze für unsere Branche<br />

brechen. In der Gastronomie finden<br />

ganz viele Menschen ihre Erfüllung.<br />

Es gibt kaum eine Branche, die so<br />

viel Abwechslung, Chancen und<br />

Aufstiegsmöglichkeiten bietet.<br />

Doch natürlich haben wir auch mit<br />

Herausforderungen zu kämpfen.<br />

Der Personalmangel lässt sich nicht<br />

wegdiskutieren. Viele fragen sich: In<br />

welche Branchen sind die Menschen<br />

nach der Pandemie abgewandert?<br />

Einzelhandel? Logistik? Die Jobbörse<br />

in unserem Newsletter ist so lang<br />

wie noch nie. Auch an den Schulen<br />

kommen ständig Anfragen rein.<br />

Aussicht auf Besserung<br />

besteht derzeit nicht.<br />

Yvonne Heistermann: Ich bin ein<br />

positiver Mensch und versuche die<br />

Situation als Chance zu betrachten.<br />

Die Gehälter in der Gastronomie<br />

werden besser. Die Arbeitszeiten<br />

werden flexibler. Die Arbeit in<br />

den Restaurants wird von Dritten<br />

immer mehr geschätzt. Kurzum:<br />

Die Rahmenbedingungen verändern<br />

sich, die Branche wird für viele noch<br />

attraktiver werden.<br />

Die Krise als Chance?<br />

Yvonne Heistermann: Ich denke,<br />

dass jetzt die Chance besteht, die<br />

Berufsbilder in der Gastronomie zu<br />

stärken und mehr Wertschätzung<br />

gegenüber den Mitarbeitern und<br />

Mitarbeiterinnen einzubringen. In<br />

vielen Hotels erleben wir derzeit,<br />

dass Urlaubszeiten eingehalten und<br />

94 <strong>wein</strong>.<strong>plus</strong>:magazin<br />

<strong>wein</strong>.<strong>plus</strong>:magazin 95

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!