50 Jahre Landkreis Schwäbisch Hall 2023
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Seite 10<br />
Für die Belange der kleineren<br />
Städte und Gemeinden<br />
im <strong>Landkreis</strong><br />
setzt sich der Gemeindetag<br />
Baden-<br />
Württemberg<br />
als einer der drei kommunalen<br />
Spitzenverbände im<br />
Land ein. Der Kreisverband<br />
<strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong><br />
bündelt vor Ort die Interessen<br />
aus dem <strong>Landkreis</strong>.<br />
Interview<br />
Volker Schneider (78), 36<br />
<strong>Jahre</strong> lang Bürgermeister<br />
von Michelbach/Bilz, hatte den<br />
Vorsitz des Kreisverbands über<br />
30 <strong>Jahre</strong> inne, Kurt Wackler (65),<br />
langjähriger Bürgermeister von<br />
Satteldorf, zwölf <strong>Jahre</strong>, und der<br />
amtierende Bürgermeister von<br />
Mainhardt, Damian Komor (39),<br />
steht dem Kreisverband seit Juli<br />
2021 vor.<br />
Gemeinden, Städte und<br />
<strong>Landkreis</strong>e<br />
In Baden-Württemberg gibt es drei<br />
kommunale Spitzenverbände: den<br />
Städtetag, den Gemeindetag und den<br />
<strong>Landkreis</strong>tag. Mit 1063 Mitgliedsstädten<br />
und -gemeinden, die insgesamt<br />
mehr als sieben Millionen Einwohner<br />
oder 67 Prozent der Landeseinwohner<br />
ausmachen, ist der Gemeindetag der<br />
größte der drei Verbände. „Unsere<br />
kleinste Mitgliedsgemeinde hat weniger<br />
als 100 Einwohner, die größte Mitgliedsstadt<br />
über 85 000 Einwohner“,<br />
schreibt der Gemeindetag auf seiner<br />
Website. Auch kommunale Verbände<br />
und Unternehmen sind Mitglieder des<br />
Gemeindetags.<br />
noa<br />
Gruppenbild vor dem Interviewtermin (von links): Volker Schneider, Damian Komor und Kurt Wackler vor<br />
der großen <strong>Landkreis</strong>karte im Sitzungssaal des <strong>Hall</strong>er Landratsamts.<br />
Foto: Ufuk Arslan<br />
„Ein Miteinander<br />
auf Augenhöhe“<br />
Kommunen Zwei ehemalige und der amtierende Vorsitzende des<br />
Kreisverbands des Gemeindetags erläutern im Interview die<br />
Aufgaben des Gremiums. Von Norbert Acker<br />
In der Außenwirkung<br />
merkt<br />
man heute kaum<br />
mehr etwas von der<br />
Kreisreform.<br />
Volker Schneider<br />
Bürgermeister a.D. Michelbach<br />
Auch nach <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n wird von einzelnen<br />
Mitbürgerinnen und Mitbürgern<br />
und in manchen Bereichen immer<br />
noch zwischen den Altkreisen<br />
<strong>Hall</strong> und Crailsheim unterschieden.<br />
Warum ist das so?<br />
Kurt Wackler: Ich sehe das historisch<br />
bedingt. Da muss man weit<br />
zurückgehen, fast bis Napoleon.<br />
Mit Gründung des Königreichs<br />
Württemberg Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
wurden die Oberämter<br />
geschaffen, <strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong>,<br />
Crailsheim und Gaildorf sowie<br />
Gerabronn. Diese hatten Bestand<br />
bis vor dem Zweiten Weltkrieg als<br />
die Kreise gebildet wurden. Es ist<br />
in den Köpfen der Menschen, zumindest<br />
im Sprachgebrauch, dass<br />
die Orientierung zum jeweiligen<br />
alten Oberamtszentrum hin ausgerichtet<br />
war und in vielen Bereichen<br />
auch heute noch ist. Diese<br />
Ausrichtung erfolgte durch die<br />
weiterführenden Schulen, die<br />
Fachärzte oder die Krankenhäuser.<br />
Auch wurde in der Oberamtsstadt<br />
eingekauft. Ich sehe diesen<br />
Sprachgebrauch aber nicht als<br />
Nachteil, er ist eine Reminiszenz<br />
an die Historie.<br />
Volker Schneider: In der Außenwirkung<br />
merkt man heute kaum<br />
mehr etwas von der Kreisreform.<br />
Die wenigstens Kreisbewohner<br />
kennen noch die Zeit der alten<br />
<strong>Landkreis</strong>e. Und wenn mancher<br />
meint, die Reform kritisieren zu<br />
müssen, denke ich, dass es eher<br />
Kritik an der Gemeindereform<br />
von 1972 und mancherorts ihrer<br />
Folgen herrührt, und nicht von<br />
der Zusammenlegung der <strong>Landkreis</strong>e.<br />
Die Verwaltung hatte dies<br />
gut vorbereitet und mit der Außenstelle<br />
in Crailsheim die Interessen<br />
der Kreisbewohner berücksichtigt.<br />
Damian Komor: Ich glaube auch<br />
nicht, dass das heute noch ein<br />
Thema ist. Es kommt aus bestimmten<br />
Bereichen, wo man mit<br />
der Bezeichnung der Altkreise<br />
eher die Raumschaften<br />
meint. Die Unterscheidung zwischen<br />
den Altkreisen bezeichnet<br />
eher die Raumschaften. Man hat<br />
eben immer die Konzentration<br />
um die größeren Zentren, wie bei<br />
<strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong> und Crailsheim.<br />
Diese Raumschaften bilden sich<br />
durch Schulen, ÖPNV, Einkaufsstruktur<br />
und alles, was wir benötigen.<br />
Ich denke, auf den <strong>Landkreis</strong><br />
bezogen merkt man diese<br />
Unterscheidungen nicht.<br />
Gibt es diese Unterschiede nicht<br />
noch bei den Dienstbesprechungen<br />
der Bürgermeister der Gemeinden?<br />
Damian Komor: Vom Gemeindetag<br />
aus nicht. Es gibt eine Kreisverbandsversammlung<br />
und da kommen<br />
alle Bürgermeisterinnen und<br />
Bürgermeister des <strong>Landkreis</strong>es<br />
zusammen. Es gibt zwar noch im<br />
<strong>Landkreis</strong> die Sprengel-Sitzungen,<br />
aufgeteilt in die Raumschaft<br />
Crailsheim und <strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong>,<br />
aber das hängt eher damit zusammen,<br />
dass man im Kollegenkreis<br />
Themen aus der Raumschaft berät<br />
und sich auf kollegialer Ebene<br />
austauscht. Aber die wichtigen<br />
Themen werden auf Kreisebene<br />
im Verband diskutiert.<br />
Volker Schneider: Die Sprengel<br />
sind eben für die Kollegen, der<br />
Kreisverband ist die Interessenvertretung,<br />
die Beratung dient<br />
auch der Vorbereitung der Beschlussfassung<br />
im Landesvorstand.<br />
Kurt Wackler: Die Sprengel waren<br />
und sind losgelöst von der Arbeit<br />
des Kreisverbands. Diese stellen<br />
eher eine Arbeitsebene der jeweiligen<br />
Raumschaft dar.<br />
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit<br />
der <strong>Landkreis</strong>verwaltung mit<br />
den Kommunen vor Ort?<br />
Volker Schneider: Ich habe mit drei<br />
Landräten zusammengearbeitet,<br />
sowohl als Bürgermeister als auch<br />
als Kreisvorsitzender des Gemeindetags.<br />
Ich kann durchweg<br />
nur Positives sagen, es war immer<br />
Die Diskussion<br />
ist verebbt und<br />
auf Landesebene<br />
nicht weiterverfolgt<br />
worden.<br />
Kurt Wackler<br />
Bürgermeister a.D. Satteldorf<br />
ein Miteinander auf Augenhöhe.<br />
Kurt Wackler: Das kann ich nur unterstreichen,<br />
auch wenn ich nicht<br />
auf drei Landräte zurückblicken<br />
kann, bei mir waren es nur zwei.<br />
Die Zusammenarbeit war ohne<br />
Einschränkungen immer sehr positiv,<br />
pragmatisch und ergebnisorientiert.<br />
Ich denke da nur an die<br />
Bewältigung der Flüchtlingskrise<br />
2015/2016 und die Corona-Pandemie,<br />
bei der es einen regelmäßig<br />
tagenden Koordinierungsstab<br />
gab, an dem auch immer der Vorsitzende<br />
des Kreisverbands des<br />
Gemeindetags dabei war. Mit<br />
Pragmatismus wurde und wird<br />
der Breitbandausbau gemeinsam<br />
Manches kann<br />
man interkommunal<br />
regeln,<br />
manches aber nur auf<br />
<strong>Landkreis</strong>ebene.<br />
Damian Komor<br />
Bürgermeister Mainhardt<br />
verfolgt. Wir haben nach enger<br />
Abstimmung den Zweckverband<br />
Breitband unter Beteiligung aller<br />
Städte und Gemeinden gemeinsam<br />
mit dem <strong>Landkreis</strong> gegründet.<br />
Der Kreisverband war und ist<br />
maßgebend bei der Ausarbeitung<br />
der Satzung und der Regularien<br />
dabei. Dieser zukunftsweisende<br />
Schritt war Dank der gegenseitigen<br />
Offenheit und Verlässlichkeit<br />
möglich.<br />
Damian Komor: Auch ich kann das<br />
nur bestätigen. Es ist immer eine<br />
sachliche Zusammenarbeit auf<br />
Augenhöhe. Man tauscht sich aus<br />
und schaut gemeinsam, was<br />
machbar ist und wie man das Beste<br />
für den <strong>Landkreis</strong> und die Kommunen<br />
erreichen kann.<br />
Volker Schneider: Ich erinnere<br />
mich noch daran, wie es damals<br />
1988 darum ging, alle Kommunen<br />
mit Faxgeräten auszustatten. Das<br />
Thema Kommunikation war immer<br />
wichtig.<br />
Würden Sie sich mehr oder weniger<br />
Kompetenzen für die <strong>Landkreis</strong>e beziehungsweise<br />
die Kommunen wünschen?<br />
Damian Komor: Ich glaube, hier<br />
geht es nicht um ein Mehr oder<br />
Weniger. In Zukunft werden wir<br />
gewisse Felder gemeinsam stärker<br />
bespielen müssen. Das Thema<br />
Breitband ist hier ein gutes<br />
Beispiel. Wenn man mal ganz genau<br />
hinschaut, ist das weder eine<br />
klassische Aufgabe des <strong>Landkreis</strong>es,<br />
noch der Städte und Gemeinden.<br />
Wenn wir uns damals nicht<br />
zusammengeschlossen und den<br />
gemeinsamen Weg eingeschlagen<br />
hätten, diesen Zweckverband zu<br />
gründen, würden wir heute vor<br />
Ort nicht so weit sein, wie wir es<br />
sind. Und das war nur möglich,<br />
weil wir einen gemeinsamen Nenner<br />
hatten und haben. Ganz aktuell<br />
haben wir uns gemeinsam auf<br />
den Weg gemacht und das Thema<br />
Energiemanagement für die<br />
Städte und Gemeinden im Energiezentrum<br />
gebündelt. Es geht um<br />
Vorgaben, die wir von EU, Bund<br />
und Land vorgelegt bekommen,<br />
und die wir als kleine Städte und<br />
Gemeinden schlichtweg alleine<br />
nicht mehr hinkriegen. Der <strong>Landkreis</strong><br />
spielt für uns aber immer<br />
eine ganz zentrale Rolle. Manches<br />
kann man interkommunal regeln,<br />
manches aber nur auf <strong>Landkreis</strong>ebene.<br />
Neben der finanziellen<br />
Ausstattung der Städte und Gemeinden<br />
wird auch das Thema<br />
Personal unsere größte Herausforderung<br />
in der Zukunft.<br />
Kurt Wackler: Es gab nach dem Regierungswechsel<br />
in Baden-Württemberg<br />
2011 beginnende Gespräche<br />
mit den kommunalen Spitzenverbänden,<br />
welche Aufgaben auf<br />
eine neue Ebene verlagert werden<br />
könnten und welche Aufgabenübertragungen<br />
auf die kommunale<br />
Ebene erwogen werden könnten,<br />
um diese mehr zu stärken.<br />
Das Thema Bürgernähe stand für<br />
den Kreisverband dabei weit<br />
oben, wir haben entsprechende<br />
Vorschläge erarbeitet, beispielweise<br />
zum Straßenverkehrsrecht:<br />
Muss immer eine Verkehrsschau<br />
mit zig Personen anrücken, um<br />
ein Gesperrt- oder Halteverbot-<br />
Schild aufzustellen? Leider ist die<br />
Diskussion verebbt und auf Landesebene<br />
nicht weiterverfolgt<br />
worden. Wir sprechen immer von<br />
Entbürokratisierung, da gäbe es<br />
viele Dinge, die man im Sinne der<br />
Bürgernähe vor Ort sachgerecht<br />
ohne mehr oder minder große<br />
Gremien erledigen könnte.<br />
Volker Schneider: Ich denke an die<br />
leidige Veränderung im Grundbuch-<br />
und Notariatswesen oder<br />
auch an die unverständliche Zentralisierung<br />
der Gutacherausschüsse,<br />
es wird vieles komplizierter<br />
gemacht. Bisher waren es<br />
von Leuten, die sich vor Ort ausgekannt<br />
haben, und jetzt wird es<br />
überregional entschieden. Das ist<br />
ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand.<br />
Die Diskussion um die<br />
Grundsteuer vertieft das noch<br />
einmal.<br />
Warum braucht es eigentlich den<br />
Gemeindetag und dessen Kreisverband?<br />
Volker Schneider: Unser Gespräch<br />
zeigt es doch, der Gemeindetag<br />
wird gebraucht. Er ist die Interessenvertretung<br />
der Kommunen.<br />
Gerade wir Vertreter aus dem<br />
ländlichen Raum haben darauf zu<br />
achten, dass unsere Raumschaft<br />
gegenüber den Ballungsgebieten<br />
„nicht unter die Räder“ kommt.<br />
Kurt Wackler: Wir bündeln die<br />
kommunalen Interessen vor Ort<br />
und vertreten diese gegenüber<br />
der Politik, und durch das kommunale<br />
Netzwerk mit dem entsprechenden<br />
Gewicht gegenüber<br />
Land und Bund. Was macht es für<br />
einen Eindruck, wenn eine einzelne<br />
Gemeinde eine Eingabe beim<br />
Staatsministerium macht? Das<br />
wird zur Kenntnis genommen,<br />
freundlich beantwortet und dann<br />
... Anders ist es, wenn die drei<br />
kommunalen Spitzenverbände,<br />
also Städte-, Gemeinde- und<br />
<strong>Landkreis</strong>tag, auch gemeinsam,<br />
die Interessen bündeln und formulieren.<br />
Das hat eine deutlich<br />
stärkere Wahrnehmung wie Einzelvorstöße.<br />
Volker Schneider: Und das geht in<br />
beide Richtungen, nach oben wie<br />
nach unten im Interesse der Bürgerschaft.<br />
Wenn alle gemeinsam<br />
zusammenstehen, dann findet das<br />
ein ganz anderes Echo.<br />
Damian Komor: Die kommunalen<br />
Spitzenverbände werden ja auch<br />
bei der Gesetzgebung immer wieder<br />
eingebunden. Wenn Veränderungen<br />
anstehen, sind die Verbände<br />
sehr nah dran an der Politik<br />
und können schnell reagieren. Sie<br />
werden oft auch zu bestimmten<br />
Themen angefragt. Für uns kleinere<br />
Städte und Gemeinden ist<br />
der Gemeindetag ein sehr wichtiger<br />
Partner. Wenn ein neues<br />
Thema im Rathaus aufschlägt,<br />
kann man sich immer vertrauensvoll<br />
an den Verband wenden und<br />
nachfragen. Es gibt zum Beispiel<br />
rechtlich geprüfte Mustersatzungen<br />
und Handlungsempfehlungen,<br />
so muss nicht jedes Rathaus<br />
das Rad neu erfinden. Im operativen<br />
Geschäft ist der Verband ein<br />
ganz wichtiger Partner.<br />
Abschließend: Was wünschen Sie<br />
dem <strong>Landkreis</strong> <strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong> zu<br />
seinem runden Jubiläum und für die<br />
Zukunft?<br />
Kurt Wackler: Ich wünsche ihm<br />
eine weiterhin so positive Gesamtentwicklung<br />
und dass es gelingt,<br />
den weiteren Strukturwandel,<br />
die Anpassungsprozesse der<br />
Wirtschaft und bespielweise die<br />
Mobilitätswende gemeinsam zu<br />
meistern. Der große Wunsch ist,<br />
dass die Herausforderungen, die<br />
noch gar nicht absehbar sind, von<br />
Kommunen und <strong>Landkreis</strong> gemeinsam<br />
auf Augenhöhe angegangen<br />
werden und das partnerschaftliche<br />
Verhältnis – auch bei<br />
mal enger werdenden Finanzen –<br />
weiterbesteht.<br />
Volker Schneider: Das kann ich nur<br />
unterschreiben. Die Zusammenarbeit<br />
zwischen der Kreisverwaltung<br />
und den Kommunen war immer<br />
vertrauensvoll und gut, ich<br />
wünsche dem <strong>Landkreis</strong>, den<br />
Städten und Gemeinden, dass<br />
dies so bleibt.<br />
Damian Komor: Ich auch! Und ich<br />
wünsche dem <strong>Landkreis</strong>, dass er<br />
weiterhin der schönste bleibt, wie<br />
es unser Landrat Gerhard Bauer<br />
gerne unterstreicht.<br />
Kommunalpolitische<br />
Kompetenz<br />
Volker Schneider war von 1972 bis<br />
2008 Bürgermeister der Gemeinde<br />
Michelbach/Bilz.<br />
Kurt Wackler hat von 1998 bis 2022<br />
auf dem Stuhl des Bürgermeisters im<br />
Rathaus Satteldorf gesessen.<br />
Damian Komor ist seit 2010 Bürgermeister<br />
der Gemeinde Mainhardt. noa