50 Jahre Landkreis Schwäbisch Hall 2023
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FICHTENBERG<br />
Seite 22<br />
Zwischen Idylle und Hi-Tech-Moderne<br />
Wandlungsfähig Bahn und Straße haben der Rottal-Gemeinde Fichtenberg ihr heutiges Gesicht verliehen. Auch ihre räumlichen Grenzen<br />
hat sie erreicht. Für anstehende Aufgaben müssen neue Wege beschritten werden. Von Richard Färber<br />
Der Verkehr hat diese Gemeinde<br />
geformt und ihre<br />
Gestalt verliehen. Zwei<br />
große infrastrukturelle<br />
Zäsuren hat Fichtenberg im Verlauf<br />
seiner Geschichte erlebt, und<br />
jedes Mal begann damit ein Erneuerungsprozess.<br />
Der erste und<br />
wohl auch gravierendste Einschnitt<br />
war der Bau der Murrbahn<br />
durch den Bezirk Gaildorf zwischen<br />
1875 und 1880. Er ging mit<br />
dem Bau von Viadukten und Brücken<br />
und von Kappelisberg- und<br />
Schanztunnel einher, es wurden<br />
Dämme errichtet und Einschnitte<br />
ins Gelände gegraben, neue<br />
Wege verlegt und Gebäude errichtet,<br />
Bäche umgeleitet und die<br />
Rot teilweise in ein neues Bett gedrängt.<br />
„Es gewinnt die ganze Gegend<br />
(…)“ schrieb seinerzeit der<br />
Kocherbote, die heutige Rundschau,<br />
„ein ganz fremdartiges Ansehen“.<br />
Bahn und drei Bahnübergänge<br />
Die „Wohlthaten des großen Verkehrs“,<br />
denen Stadt und Bezirk<br />
Gaildorf mit dem Bau der Murrbahn<br />
„theilhaftig werden“ konnten,<br />
wurden zumal in der zweiten<br />
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts<br />
zur Last. Die L 1066 entwickelte<br />
sich zu einer der wichtigsten<br />
Verkehrsadern durch die Region,<br />
und Fichtenberg, wo sie alleine<br />
drei Mal die Bahn kreuzte,<br />
litt unter Staus, Ausweichverkehr,<br />
Lärm und Schmutz. Bis zum Jahr<br />
2010: Dann konnte nach mehr als<br />
dreißig <strong>Jahre</strong>n der Planung und<br />
gut fünf <strong>Jahre</strong>n Bauzeit die neue<br />
L 1066 eingeweiht werden. Sie<br />
führt zwischen dem Hauptort und<br />
der Mühläckersiedlung hindurch,<br />
Haupt- und Bahnhofstraße sind<br />
nun ruhige Wohnstraßen, und die<br />
Lkw, die sich aufgrund veralteter<br />
GPS-Daten in die Fichtenberger<br />
Fichtenberg<br />
Kontakt<br />
Bürgermeisteramt Fichtenberg<br />
Rathausstraße 13<br />
74427 Fichtenberg<br />
Tel. 07971 9555-0<br />
fichtenberg@fichtenberg.de<br />
Fichtenberger Verkehrsgeschichte: Zwischen 2006 und 2011 wurde die neue L 1066 gebaut. Dazu gehört auch die Brücke zur L 10<strong>50</strong> in Richtung Oberrot. Auf dem Bild ist einer der<br />
drei Bahnübergänge zu sehen, die nach dem Bau der Umgehungsstraße geschlossen wurden. Auch der Bahnübergang in der Rathausstraße konnte abgebaut werden. Foto: Archiv<br />
Wohnsiedlungen verirren, werden<br />
auch immer weniger.<br />
Nolens volens ist Fichtenberg<br />
auch an seine Grenzen gestoßen.<br />
Die Gemeinde ist umgeben von<br />
Landschaftsschutzgebieten und<br />
dem Naturpark, ihre Wachstumsmöglichkeiten<br />
sind erschöpft, die<br />
letzten Baugebietsreserven dürften<br />
auch aufgrund der allgemeinen<br />
wirtschaftlichen Entwicklungen<br />
in absehbarer Zeit nicht mehr<br />
auf die Agenda rutschen.<br />
Auch die Gewerbeflächen sind<br />
im Prinzip ausgereizt, Erweiterungen<br />
kaum noch möglich. Der<br />
weltweit aktive Fahrwerkspezialist<br />
KW Automotive, der in den<br />
Hirschäckern eine beispiellose<br />
Entwicklung genommen hat und<br />
Herausforderungen immer auch<br />
als Chance begreift, kompensiert<br />
diesen Mangel durch räumliche<br />
Konzentration.<br />
Die letzten Jahrzehnte des<br />
Wandels und des Wachstums<br />
wurden maßgeblich von Roland<br />
Miola geprägt, der 1990 erstmals<br />
zum Fichtenberger Bürgermeister<br />
gewählt wurde. Für eine fünfte<br />
Amtszeit trat er nicht mehr an.<br />
Nun sitzt Ralf Glenk am Ruder<br />
wesentlichen Beitrag in der Kinder- und Jugendbetreuung<br />
leisten. Starke Firmen und mittelständische<br />
Unternehmen haben in Fichtenberg<br />
eine Heimat gefunden und bieten solide Waren<br />
und Dienstleistungen an, die im <strong>Landkreis</strong> sowie<br />
darüber hinaus große Strahlkraft besitzen und der<br />
Kreisgemeinschaft durch Ihre Wertschöpfung eine<br />
wertvolle Stütze bieten.<br />
Die Gemeinde Fichtenberg gratuliert dem <strong>Landkreis</strong><br />
<strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong> recht herzlich zum <strong>50</strong>-jährigen<br />
Jubiläum und dankt für die zurückliegende<br />
und künftige vertrauensvolle Zusammenarbeit.<br />
Ralf Glenk<br />
Bürgermeister<br />
der seit Langem schuldenfreien<br />
und wohl geordneten Gemeinde<br />
und beschäftigt sich mit alten<br />
Problemen, die immer wieder neu<br />
gedacht werden müssen.<br />
Wir wollen das<br />
nicht einem<br />
Bauträger überlassen,<br />
sondern nach Bedarf<br />
und Bedürfnis planen.<br />
Ralf Glenk<br />
Bürgermeister von Fichtenberg<br />
Kompetenzteam einberufen<br />
Sie sind nicht hausgemacht. Ein<br />
Stichwort lautet „demografischer<br />
Wandel“, die „Entjüngung“ der<br />
Gesellschaft. In Fichtenberg gibt<br />
es, abgesehen von den mobilen<br />
Diensten, keine Senioreneinrichtungen<br />
mehr, kein Pflegeheim,<br />
keine Angebote für betreutes<br />
Wohnen. „Wir haben das Problem“,<br />
sagt Glenk, „dass viele ältere<br />
Menschen wegziehen oder<br />
sterben. Große Anwesen werden<br />
frei und verkaufen sich nicht.“<br />
Glenk hat dieses Thema auch<br />
schon in seinem Wahlkampf vorgebracht<br />
und will es jetzt angehen.<br />
Er hat auf Grundlage des von<br />
Miola initiierten Konzepts „Fichtenberg<br />
2040“ ein Kompetenzteam<br />
zusammengestellt, das sich<br />
mit einem möglichen Mehrgenerationenprojekt<br />
in einem noch<br />
unbebauten Teil der Mühläckersiedlung<br />
befasst. „Das sind Fichtenberger,<br />
die sich auskennen“,<br />
sagt Glenk, Leute aus der Branche<br />
und natürlich auch Gemeinderäte.<br />
„Wir wollen die Bauplätze<br />
nicht einfach einem Bauträger<br />
überlassen, sondern nach Bedarf<br />
und Bedürfnissen planen.“<br />
Ein weiteres gewichtiges Thema,<br />
das die Gemeinde nachhaltig<br />
Leben unterm Viechberg<br />
beschäftigen wird, ist ihre Versorgung<br />
mit Energie und Wärme.<br />
Der Klimawandel, der russische<br />
Überfall auf die Ukraine, fatale<br />
Abhängigkeiten definieren den<br />
Handlungsbedarf. Es geht um<br />
Transformation: weg von den fossilen<br />
Energieträgern.<br />
Neue Wege in der Versorgung<br />
Eine Lösung wäre der Bau eines<br />
Blockheizkraftwerkes, um die gemeindeeigenen<br />
Gebäude – Schule,<br />
Kindergarten, Rathaus, Feuerwehrmagazin,<br />
Gemeindehalle –<br />
günstig mit Wärme und Energie<br />
zu versorgen. Ein großer Kostenpunkt<br />
werden dabei auch energetische<br />
Sanierungsmaßnahmen<br />
sein. „Wir müssen eine zukunftsfähige<br />
Verknüpfung schaffen“,<br />
sagt Glenk. Was Energieträger anbelangt,<br />
ist man offen: Photovoltaik,<br />
Wärmepumpe, Holz aus dem<br />
Gemeindewald: alles ist denkbar<br />
und wird geprüft.<br />
Schnittpunkte Rad- und Wanderwege, Wald und Natur und der<br />
Diebach-Stausee sorgen in Fichtenberg für Freizeitqualitäten.<br />
Grußwort<br />
Herzlich willkommen<br />
in Fichtenberg<br />
Malerisch am südöstlichen Rand des <strong>Landkreis</strong>es<br />
gelegen, empfängt die Gemeinde Fichtenberg die<br />
Besucher mit reich bewaldeter hügeliger Landschaft,<br />
in der es Vielfältigstes zu entdecken gibt.<br />
Im Rahmen der Kreisreform 1973 wurde<br />
Fichtenberg vom damaligen Oberamt Backnang<br />
dem <strong>Landkreis</strong> <strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong> zugeschlagen.<br />
Seinerzeit wurde den Weilern Plapphof, Rupphof<br />
und Retzenhof die Entscheidung überlassen, ob<br />
sie beim Oberamt Backnang verbleiben oder zu<br />
Fichtenberg gehören möchten. Die Entscheidung<br />
fiel damals zugunsten von Fichtenberg und somit<br />
reicht die Gemarkung Fichtenbergs und auch<br />
die des <strong>Landkreis</strong>es <strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong> über die<br />
topographische Grenze „Schanze“ seit <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
Richtung Fornsbach.<br />
Lebens- und liebenswert wird Fichtenberg vor<br />
allem durch seine zahlreichen Vereine, Kirchen<br />
und Institutionen, die nicht nur durch eigene<br />
Veranstaltungen und Feste im Bewusstsein – auch<br />
über die Kreisgrenzen hinaus – im kollektiven<br />
Gedächtnis verankert sind, sondern einen<br />
Basisdaten<br />
Einwohnerzahl: 2.993<br />
Fläche: 2.418 ha<br />
Teilorte: Mittelrot, Michelbächle,<br />
Erlenhof, Langert, Hornberg, Plapphof,<br />
Erlenbach, Gehrhof, Buschhof, Diebach,<br />
Kleehaus, Reutehaus, Kronmühle,<br />
Rauhenzainbach, Dappach, Retzenhof,<br />
Rupphof, Hornberger Reute, Waldeck,<br />
Stöckenhofer Sägmühle, Heumade,<br />
Wörbelhöfle, Dornwiesenhof<br />
Bürgermeister: Ralf Glenk (55)<br />
Partnerstadt: Proszowice/Polen<br />
3 Sehenswürdigkeiten: Diebachstausee,<br />
Mittelroter St.-Georgs-Kirche,<br />
Röterturm<br />
3 größte Vereine: SK Fichtenberg e.V.,<br />
ca. 1000 Mitglieder; Musikverein<br />
Fichtenberg e.V., 420 Mitglieder;<br />
Gesangverein Fichtenberg e.V.,<br />
165 Mitglieder<br />
3 größte Unternehmen: KW automotive<br />
GmbH, 330 Mitarbeiter,<br />
Standort Fichtenberg; HS Formtechnik,<br />
80 Mitarbeiter, Standort Fichtenberg;<br />
Hammer Abbundtechnik, 60 Mitarbeiter,<br />
Standort Fichtenberg<br />
Fichtenberg. Im Jahr 816 wird die<br />
Gemeinde Fichtenberg erstmals<br />
urkundlich erwähnt. Heute leben<br />
rund 2990 Einwohner in der Gemeinde<br />
im äußersten Südwesten<br />
des <strong>Landkreis</strong>es <strong>Schwäbisch</strong> <strong>Hall</strong><br />
im Naturpark <strong>Schwäbisch</strong>-Fränkischer<br />
Wald. Fichtenberg grenzt<br />
im Westen an die Stadt Murrhardt<br />
im Rems-Murr-Kreis, im Süden<br />
an Gschwend im Ostalbkreis.<br />
Über den mittlerweile gemeindeeigenen<br />
Bahnhof ist Fichtenberg<br />
im Stundentakt an die Murrbahn<br />
angebunden, die zwischen Stuttgart<br />
und Nürnberg verkehrt.<br />
Heimat seltener Arten<br />
Die Gemarkung der Gemeinde<br />
mit insgesamt 24 Dörfern, Weilern<br />
und Wohnplätzen umfasst<br />
insgesamt 2418 Hektar. Optisch<br />
prägend wirkt der Viechberg,<br />
dem die Gemeinde auch ihren ursprünglichen<br />
Namen zu verdanken<br />
hat. Er gehört zu den sechs<br />
bewaldeten Keuperhöhen im Gemeindegebiet.<br />
Die Rotzuflüsse<br />
Diebach, Dappach, Rauhenzainbach,<br />
Glattenzainbach sind Heimat<br />
selten gewordener Arten wie<br />
Strömer und Bachkrebs.<br />
Im Diebachtal findet sich der<br />
Diebach-Stausee mit Liegewiesen,<br />
Umkleidekabinen, Duschen<br />
und Gaststätte, Spielplatz, BMX-<br />
Strecke und Wassertretbecken.<br />
Der See ist längst kein Geheimtipp<br />
mehr: In der Badesaison<br />
reicht das Einzugsgebiet bis nach<br />
Stuttgart und Ludwigsburg.<br />
Eigentlich ein Regenrückhaltebecken, hat sich der Diebach-Stausee<br />
zu einem ausgesprochen beliebten Badesee entwickelt. Foto: Archiv<br />
Fichtenberg liegt am Fern-<br />
Wanderweg „Main-Neckar-<br />
Rhein“. Auf dem Gemeindegebiet<br />
sind sechs weitere Entdeckertouren<br />
sowie eine Wanderroute für<br />
E-Rollifahrer ausgewiesen. Radtouristen<br />
auf dem Kocher-Jagst-<br />
Radweg können eine Nebenstrecke<br />
durchs Rottal wählen, die zur<br />
knapp 87 Kilometer langen Limpurg-Tour<br />
gehört. Auch der<br />
Stromberg-Murr-Radweg, der<br />
Karlsruhe und Gaildorf verbindet,<br />
führt durch Fichtenberg.<br />
Themenwege zur Geschichte<br />
Die Gemeinde lässt sich auch hervorragend<br />
über eigens angelegte<br />
Themenwege erkunden. Der vier<br />
Kilometer lange Kulturhistorische<br />
Erlebnispfad bietet Kindern<br />
und Erwachsenen Spiel, Spaß und<br />
geschichtliche Hintergründe.<br />
„Der Weg“ verbindet die Fichtenberger<br />
und die Mittelroter Kirche;<br />
„Fichtenberg rundherum“ ist ein<br />
Rundweg um den Hauptort und<br />
Umgebung, mit Hinweistafeln zur<br />
Geschichte und Entwicklung der<br />
Gemeinde. Innerorts führt ein<br />
Häuserweg mit dem Titel „Auf<br />
den Spuren des traditionellen<br />
Handwerks“ an 27 ehemaligen<br />
Handwerkerhäusern vorbei und<br />
informiert über Handwerks- und<br />
Hausgeschichte.<br />
Zu den Sehenswürdigkeiten<br />
zählen auch der sagenumwobene<br />
Rötertum auf dem Turmberg und<br />
die St. Georgskirche in Mittelrot<br />
mit ihrem Altarflügel aus dem<br />
<strong>Jahre</strong> 1499.<br />
swp/rif