Das Stadtgespräch Ausgabe Dezember 2023 auf Mein Rheda-Wiedenbrück
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Z<br />
Zumuten oder<br />
zutrauen<br />
(sto) Natürlich war früher nicht alles besser.<br />
Wenn ich nur an den Zahnarzt denke, dann bin<br />
ich sowas von froh, dass ich heute nicht in den<br />
Zahnarztstuhl meiner Kindheit muss. Aber es<br />
gibt schon einiges, was früher vielleicht besser,<br />
zumindest unkomplizierter, irgendwie normaler<br />
war als heute. Ich denke da zum Beispiel an die<br />
heutigen Elterntaxis, mit denen der Nachwuchs<br />
am besten gleich direkt vor das Klassenzimmer<br />
gebracht werden soll. Ich kann mich an genau<br />
eine elterliche Begleitung von der Fontainestraße<br />
bis zur Wenneber-Schule erinnern, nämlich<br />
am ersten Schultag der Grundschule. Danach<br />
war der Schulweg mein Problem, und das zu<br />
Fuß natürlich. <strong>Das</strong> kannte ich aber auch schon,<br />
denn zum Kindergarten an der Wilhelmstraße<br />
war ich ja auch zu Fuß gel<strong>auf</strong>en. Im ersten Jahr<br />
alleine, danach mit meinem Kumpel Uli, der<br />
über uns wohnte. Später zogen wir dann in die<br />
Eichendorffstraße um. Von unserem Garten aus<br />
konnten wir den Bau des Einstein-Gymnasiums<br />
verfolgen. Da mein Bruder und ich schon das<br />
Alter für die weiterführende Schule erreicht<br />
hatten, war der Weg zum Ratsgymnasium in<br />
<strong>Wiedenbrück</strong> damals unser Problem, das wir<br />
per Fahrrad lösten. Für den Regen gab es Ölzeug,<br />
also die Regenjacken, die in etwa so atmungsaktiv<br />
waren wir eine Thermoskanne. Für<br />
den Winter gab es Mütze und Schal. Bei Schnee<br />
mussten wir halt früher los. Aber wir hatten eine<br />
Top Kondition, die 30 Kilometer Radtour nach<br />
8 Rollschuhfahrt <strong>auf</strong> der<br />
Fontainestraße neben dem<br />
Bertelsmannparkplatz<br />
Stromberg den Knapp hoch – schieben tun nur<br />
Weicheier – und anschließend über Oelde nach<br />
<strong>Rheda</strong> waren kein Problem. Auch Rollschuh-Touren<br />
mit den Vorläufern der Disco-Roller haben<br />
wir gerne unternommen. Da durfte kein Steinchen<br />
unter die dünnen Räder kommen, ansonsten<br />
legte man sich <strong>auf</strong> den nicht vorhandenen<br />
Bart. Hauptsache die Lederhose – im Sommer<br />
kurz, im Winter lang – hielt es aus.<br />
4 Auswendig<br />
gelernter Text<br />
für den Puppendoktor<br />
im<br />
Kindergarten<br />
Risikominimierung mit Gefahren<br />
Für uns selbstverständlich sind wir auch alleine<br />
durch den Hambusch getigert oder haben uns<br />
»einen Nassen« an der Ems abgeholt. Schließlich<br />
musste getestet werden, wie hoch das Wasser an<br />
den Gummistiefeln steigen konnte. Heute habe<br />
ich das Gefühl, dass man den Kindern die Anstrengung<br />
und auch ein wie auch immer geartetes<br />
Risiko nicht zumuten möchte. <strong>Das</strong> ist natürlich<br />
aus elterlicher Sicht verständlich, führt aber<br />
gleichzeitig dazu, dass wir Kindern nicht mehr<br />
allzu viel zutrauen. Ich denke, dass ich mich heute<br />
gut orientieren kann, liegt nicht allein daran,<br />
dass es früher keine Navis gab, schon gar keine<br />
<strong>auf</strong> dem Handy, sondern daran, dass wir uns als<br />
Kinder natürlich im Hambusch oder im Stadtholz<br />
verl<strong>auf</strong>en haben und zusehen mussten, wie<br />
wir wieder zurückfinden konnten. Den Ärger zu<br />
Hause <strong>auf</strong>grund von Verspätung musste man<br />
dann eben aushalten lernen. <strong>Das</strong>s ich mich lange<br />
Jahre beim Judo in der Halle der Ernst-Barlach-Realschule<br />
gequält habe, hat zur Kondition<br />
und auch zum gesunden Selbstbewusstsein als<br />
Erwachsener beigetragen. Und das, obwohl oder<br />
weil sich Erfolg bei Sportarten wie dem Judo erst<br />
mit Zeit einstellt. Erfolgreiche Erziehung ist ja<br />
auch eher eine Langzeitangelegenheit. Wenn ich<br />
dem Nachwuchs bestimmte Aufgaben zumute,<br />
und seien es auch nur Texte auswendig lernen,<br />
mache ich mich vielleicht kurzfristig unbeliebt.<br />
Wichtiger scheint mir, dass man es trotzdem<br />
macht. Damit vermittelt man auch, dass man<br />
dem Nachwuchs Leistungen zutraut, und das<br />
hat schließlich Langzeitwirkung.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Stadtgespräch</strong><br />
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