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das_stadtgespraech_dezember_ausgabe_2023

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4 Der Ring von Brodgar<br />

nen. Vor allem zur Hauptinsel, die<br />

den Namen »Mainland« trägt, was<br />

eigentlich Festland bedeutet. Dort<br />

findet sich auch die Hauptstadt<br />

der Inselgruppe: Kirkwall. Obwohl<br />

Hauptstadt natürlich ein großes<br />

Wort ist, denn wir sprechen über<br />

7.000 Einwohner, was immerhin<br />

rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung<br />

ist. Neben Verwaltungssitz<br />

ist Kirkwall auch die Drehscheibe für<br />

den Verkehr. Hier landen auch die<br />

Kreuzfahrtschiffe von April bis Oktober.<br />

Es gibt sogar einige Hotels und<br />

Restaurants in der Stadt. Der Ring<br />

of Brodgar ist gerade einmal 19 Kilometer<br />

entfernt. Und auch weitere<br />

Sehenswürdigkeiten aus der Steinzeit<br />

wie die Stones of Stenness, eine<br />

Stätte mit einem Graben und einer<br />

runden Steinsetzung aus gewaltigen<br />

Sandsteinplatten im Innern, die<br />

Steinzeit-Siedlung von Barnhouse<br />

oder die Standing Stones genannten<br />

einzeln errichteten Monolithen<br />

sind ganz in der Nähe. Die Bucht von<br />

Skaill lockt bei Flut Surfer, bei Ebbe<br />

beeindrucken die natürlichen Spuren<br />

im Fels. Gegenüber liegt die Insel<br />

Hoy, die für die Felsnadel Old Man<br />

of Hoy bekannt ist. Auf Mainland<br />

locken auch <strong>das</strong> Loch of Stenness<br />

und <strong>das</strong> Loch of Harray, wobei bisher<br />

noch kein Seeungeheuer wie Nessy<br />

gesichtet wurde. Aber <strong>das</strong> gehört ja<br />

eher ins Reich der Sagen.<br />

Unabhängig, schottisch<br />

oder norwegisch?<br />

Kein Mythos, sondern wissenschaftlich<br />

nachgewiesen ist dagegen, <strong>das</strong>s<br />

die Wikinger die steinzeitlichen Bauwerke<br />

als Kultstätten nutzten. Die<br />

herrschten nämlich, nachdem sie<br />

die keltischen Pikten weitgehend<br />

vertrieben hatten, rund 600 Jahre<br />

auf den Orkney-Inseln, bis Schottland<br />

die Inselgruppe dann 1468 annektierte.<br />

Die Jarls, also die Wikingerfürsten,<br />

wurden ersetzt. Doch bereits<br />

1707 wurde Schottland ein Teil<br />

Großbritanniens. Streng genommen<br />

war die Inselgruppe also keine zweieinhalb<br />

Jahrhunderte schottisch.<br />

Norm, die skandinavische Sprache<br />

der Orkney-Bewohner, starb erst im<br />

17. Jahrhundert aus. Die Verbindung<br />

zu Skandinavien riss jedoch nie ganz<br />

ab. Selbst die Flagge der Orkneys<br />

sieht heute skandinavisch aus. Sie<br />

wurde 2007 ermittelt und sieht wie<br />

die norwegische aus, nur <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Kreuz, <strong>das</strong> <strong>das</strong> blaue Kreuz im Zentrum<br />

umgibt, nicht weiß sondern<br />

gelb ist.<br />

Das mag uns zum Schmunzeln<br />

reizen, aber den Bewohnern ist es<br />

durchaus ernst mit der Abgrenzung<br />

zum übrigen Schottland. Die Mehrheit<br />

der Schotten war gegen den<br />

Brexit, also für den Verbleib in der<br />

EU. Auf den Orkneys wurde heftig<br />

darüber diskutiert, ob man nicht<br />

die Unabhängigkeit oder zumindest<br />

einen Sonderstatus, wie ihn die<br />

Faröer-Inseln mit Dänemark haben,<br />

anstreben sollte. Laut BBC wurde im<br />

Sommer <strong>2023</strong> ein Antrag auf Prüfung<br />

anderer Regierungsformen gestellt.<br />

Eine der Optionen sei eine Rückkehr<br />

zu Norwegen als »selbstverwaltetes<br />

Territorium« eingebracht wurde. Offenbar<br />

wird nunmehr ein »Orkxit«<br />

befürchtet, zumal von Seiten der<br />

Orkney-Bewohner argumentiert<br />

wird, <strong>das</strong>s sie gegenüber den Shetlands<br />

benachteiligt würden. Noch ist<br />

es nicht so weit, aber man braucht<br />

als Tourist schon jetzt natürlich einen<br />

Reisepass, denn der Besucher<br />

der Orkneys verlässt <strong>das</strong> EU-Gebiet.<br />

Anders als etwa in Ungarn, wo wir<br />

vor wenigen Jahren bei einer Donaukreuzfahrt<br />

aus Serbien kommend<br />

um drei Uhr morgens aus den Kabinen<br />

geholt wurden, weil wir unsere<br />

Pässe vorzeigen mussten, sind die<br />

schottischen Grenzbeamten aber<br />

ausgesprochen nett. Wir hatten den<br />

Eindruck, <strong>das</strong>s die Grenzkontrolle<br />

auch sie nervt.<br />

Infos und Fun Facts<br />

Zum Schluss noch zwei Kuriositäten.<br />

Der Name Orkney kommt vermutlich<br />

aus dem Keltischen, wurde von<br />

den Wikingern übernommen und<br />

bedeutet junger Eber. Ich könnte<br />

mir vorstellen, <strong>das</strong>s J.R.R. Tolkien,<br />

der Nordistik-Professor, seine Bösewichte<br />

in »Herr der Ringe« danach<br />

benannt hat: die Orks.<br />

Erwiesen ist dagegen, <strong>das</strong>s die<br />

Orkney-Inseln Ort des kürzesten Linienflugs<br />

der Welt sind. Die Flugroute<br />

geht von der Insel Westray zur Insel<br />

Papa Westray. Die Strecke beträgt<br />

2,7 Kilometer und der Flug dauert<br />

eine Minute, bei Rückenwind ist die<br />

Strecke in 53 Sekunden zu schaffen,<br />

auch die Rekordzeit von 47 Sekunden<br />

habe ich gefunden. Im Vergleich:<br />

Der Flug von Friedrichshafen nach<br />

St. Gallen, Schweiz, dauert endlose<br />

acht Minuten! Von Deutschland aus<br />

ist die Anreise zu den Orkney-Inseln<br />

allerdings etwas länger und etwas<br />

komplizierter, egal mit welchem<br />

Transportmittel. Mit dem eigenen<br />

Fahrzeug sind es von uns aus über<br />

fünfhundert Kilometer bis Calais,<br />

dann die Fähre, dann noch fast 1.200<br />

km bis zum Fährhafen Scrabster. Von<br />

da muss man übersetzen. Der Flug<br />

geht natürlich schneller, ist aber<br />

auch mit Umsteigen verbunden,<br />

gerne zweimal. Der Kurzbesuch mit<br />

dem Kreuzfahrtschiff ist da noch <strong>das</strong><br />

Bequemste. Der dauert allerdings<br />

nur wenige Stunden und macht eher<br />

Appetit darauf, die windgepeitschte,<br />

grandiose Landschaft mit ihren mysteriösen<br />

Zeugen der Vergangenheit<br />

und ihren besonderem Menschenschlag<br />

länger zu besuchen.<br />

1 Widerstandsfähige Flora 1 Das Vieh trotz dem rauen Klima<br />

52 Das Stadtgespräch

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