CliniCum onko 06/2023
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European Society of Medical Oncology (ESMO) VI<br />
Let’s talk about sex<br />
Krebs und die damit verbundenen Behandlungen können tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben<br />
der Betroffenen haben, die sich oft auch auf intime Aspekte erstrecken. Die sexuelle Gesundheit, ein<br />
wesentliches Element des allgemeinen Wohlbefindens, wird durch eine Krebsdiagnose und dadurch<br />
notwendige Therapien häufig gestört und verändert. Zahlreiche Studien belegen, wie wichtig es ist,<br />
das oft übersehene Thema der sexuellen Gesundheit in der Krebsbehandlung zu berücksichtigen.<br />
Von Johanna Wolfsberger, PhD<br />
❙ Sexualität und Intimität sind wesentliche Bestandteile<br />
einer hohen Lebensqualität. Die Prävalenz sexueller Probleme<br />
bei Krebspatient:innen ist erschreckend hoch und<br />
schwankt je nach Krebsart und Behandlung zwischen 20<br />
und 100 Prozent. Diese Probleme können noch lange nach<br />
Abschluss der Behandlung fortbestehen, sodass Nachsorge<br />
und Unterstützung unerlässlich sind. Darüber hinaus<br />
ist die sexuelle Gesundheit ein Thema für alle Betroffenen<br />
und Überlebenden, unabhängig von Alter, Geschlecht<br />
oder anderen demografischen Merkmalen, erklärt Hans<br />
Neefs, Mitglied der Association of European Cancer<br />
Leagues (ECL) und Leiter der Patient Support Working<br />
Group zum Thema Sexualität.<br />
Mangel an Informationen<br />
Wie wichtig es ist, die sexuelle Gesundheit im Zusammenhang<br />
mit Krebs zu thematisieren, wird deutlich, wenn man<br />
die Erfahrungen der Patient:innen betrachtet. Viele Menschen,<br />
die mit einer Krebserkrankung zu kämpfen haben,<br />
berichten von einem Mangel an Informationen und Betreuung<br />
in Bezug auf sexuelle Probleme. Neefs hebt hervor,<br />
dass eine Umfrage unter ECL-Mitgliedern gezeigt hat, dass<br />
es in den europäischen Gesundheitssystemen erhebliche<br />
Informations- und Versorgungslücken bei der Behandlung<br />
dieser Probleme gibt. Die Ergebnisse decken sich auch mit<br />
internationalen Forschungsergebnissen, so Neefs.<br />
Betroffene wünschen sich bessere<br />
Kommunikation<br />
Die Daten der #DareToTalk-Kampagne, die 2022 in Flandern,<br />
Belgien, durchgeführt wurde, belegen, dass nur<br />
eine:r von vier Patient:innen vor der Behandlung ausreichende<br />
Informationen über die potenziellen sexuellen<br />
Folgen erhalten hat. Dieses Informationsdefizit ist besonders<br />
deutlich bei Prostatakrebs, dessen Behandlung<br />
vermehrt mit Impotenz oder Erektionsstörungen einhergeht.<br />
Nur zwei von drei Patient:innen gaben in der Umfrage an,<br />
vor einer eingeleiteten Therapie Informationen zum Thema<br />
Sexualität erhalten zu haben. Weniger als die Hälfte<br />
der Befragten besprach das Thema Sexualität während<br />
oder nach der Krebsbehandlung mit dem medizinischen<br />
Fachpersonal. 72 Prozent der Personen, bei denen das<br />
Thema nicht zur Sprache kam, hätten sich allerdings gewünscht,<br />
darüber zu sprechen.<br />
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse der Umfrage, dass<br />
die Kommunikation über die sexuelle Gesundheit im Allgemeinen<br />
von der betroffenen Person selbst initiiert wird.<br />
Mehr als 70 Prozent der Patient:innen würden sich allerdings<br />
erwarten, dass das medizinische Fachpersonal diese<br />
Gespräche initiiert. Die Diskrepanz zwischen Erwartungen<br />
und Realität unterstreicht den Bedarf an besseren<br />
Kommunikationsstrategien.<br />
Zahlreiche Gesprächsbarrieren<br />
Auf beiden Seiten gibt es jedoch Barrieren, die diese wichtigen<br />
Gespräche behindern. Die Betroffenen schämen sich<br />
und geben dem Überleben während der Behandlung den<br />
Vorrang vor der Lebensqualität. Auch den Angehörigen<br />
der Gesundheitsberufe kann es unangenehm sein, über<br />
Sexualität zu sprechen. Häufig fehlt auch ausreichend Zeit<br />
für solche Gespräche. Sprache, Kultur und religiöse Überzeugungen<br />
stellen ebenfalls Hindernisse für die Aufnahme<br />
von Gesprächen über dieses intime Thema dar.<br />
Sexualität aktiv ansprechen<br />
Die hohe Prävalenz sexueller Probleme und ihre Persistenz<br />
im Laufe der Zeit unterstreichen, wie wichtig es ist,<br />
dieses Thema in allen Phasen der Krebserkrankung anzusprechen.<br />
Um die Lücke in der Qualitätsversorgung zu<br />
schließen, müssen die Angehörigen der Gesundheitsberufe<br />
die sexuelle Gesundheit ihrer Patient:innen anerkennen<br />
und sich aktiv an Gesprächen mit ihnen beteiligen,<br />
um sicherzustellen, dass die sensible Natur des Themas<br />
die notwendige Versorgung und Unterstützung<br />
nicht behindert. Durch die Bereitstellung rechtzeitiger<br />
und umfassender Informationen können Angehörige der<br />
Gesundheitsberufe die allgemeine Lebensqualität von<br />
Krebspatient:innen verbessern, unabhängig von ihrem<br />
Hintergrund oder ihrer Krebsart. Gleichzeitig wird damit<br />
bekräftigt, dass die sexuelle Gesundheit ein legitimes Anliegen<br />
von Krebspatient:innen ist.<br />
❙<br />
„Let’s break the taboo around cancer and sexuality: Improving communication<br />
and care“, Session im Rahmen des European Society of Medical<br />
Oncology (ESMO) Kongresses <strong>2023</strong>, Madrid & virtuell, 22.10.23<br />
Foto: Kay/stock.adobe.com<br />
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