DE, AT und CH Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie II Umgang mit Diarrhöen bei funktionalen neuroendokrinen Neoplasien Nicht alle Diarrhöen bei hormonsekretierenden Tumoren sistieren unter Somatostatin-Analoga. Die Differenzialdiagnostik kann sich dann im Einzelfall schwierig gestalten. Ein Experte legte dar, an welche Ursachen Sie denken sollten und warum die Ernährungstherapie bei funktionalen NET überlebenswichtig ist. Von Lara Sommer ❙ Manchmal beeinflusst die Funktionalität neuroendokriner Neoplasien (NET) die Lebensqualität und Prognose stärker als die Tumorlast selbst, erläuterte Prof. Dr. Dominik Maria Schulte von der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel. Er stellte einen Patienten mit neuroendokrinem Tumor im Ileum (G1) und hepatischen Metastasen (G2; Ki-67 8%) vor. Angesichts einer 5-HIAA-Ausscheidung* von 380mg/d lag bei diesem eindeutig ein Karzinoid- Syndrom vor. Im Rahmen der Therapie entfernten Chirurg:innen unter anderem ein 80cm langes Teilstück von Jejunum und Ileum. „Der Patient kam initial mit einer drastischen Verschlechterung des Allgemeinzustands zu uns, und das lag nicht an der Operation“, leitete der Referent über. Das Hauptproblem stellte eine starke Diarrhö dar. Dieses Symptom kann bei allen funktionellen NET vorkommen, die etwa 30 Prozent dieser Neoplasien ausmachen. Generell rät Schulte, zu Beginn und im Zuge des Restagings eine komplette Lokalisations- und Funktionsdiagnostik durchzuführen. „Chromogranin A ist kein Marker für die Funktionalität, sondern mehr oder weniger für die mormasse“, so der Tu- Experte. Unter Somatostatin-Analoga ist Diarrhö oft therapiebedingt Treten Durchfälle bei NET auf, müssen Ärzt:innen schrittweise die möglichen Ursachen abklären. Einerseits könnte hier der Überschuss an Serotonin die Diarrhö verursachen. Unter der Behandlung mit Somatostatin- Analoga (SSH) gehen die hormonbedingten Durchfälle andererseits teilweise in eine Steatorrhö über. „Oft sorgt die exokrine Pankreasinsuffizienz dafür, dass die Lebensqualität der Erkrankten nicht besser geworden ist, obwohl der Karzinoidtumor behandelt wurde“, verdeutlichte der Endokrinologe. Auch ein Kurzdarmsyndrom nach der Resektion kann zu Maldigestion, Malabsorption und verringerter Resorption von Gal- lensäuren führen. Pellagra, ein schwerer Mangel an Vitamin B3, geht ebenfalls mit Diarrhö einher und kann Folge des erhöhten Tryptophanverbrauchs für die Serotoninsynthese sein. Wird eine SSH-Therapie angewendet, sollten Mediziner:innen die fäkale Elastase bestimmen, um eine schwere exokrine Pankreasinsuffizienz rechtzeitig zu diagnostizieren. Liegt die Erkrankung vor, stellt eine Supplementation von 2.000 IE Lipase pro Gramm Nahrungsfett die wichtigste Maßnahme dar. Bei einer schweren Pankreasinsuffizienz handelt es sich um einen potenziell lebens- Das Karzinoid-Syndrom Typisch für das Karzinoid-Syndrom sind Diarrhö, Fatigue, abdominale Krämpfe, Appetitverlust und Gesichtsrötungen. Außerdem entwickelt sich eine karzinoide Herzerkrankung, welche oft die Lebenserwartung Betroffener limitiert und kardiologische Betreuung erfordert. Die Symptome beruhen auf einer übermäßigen Freisetzung von Serotonin in die Zirkulation. Diagnostisch bestimmen Ärzt:innen die Konzentration des Metaboliten 5-HIAA im angesäuerten 24-Stunden-Urin. Treten systemische Beschwerden auf, liegen in der Regel bereits Metastasen vor. bedrohlichen Zustand. Oft weisen Betroffene einen Mangel der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K auf, ebenso an Kalzium, Zink, Magnesium, Thiamin und Folsäure. „Viele Betroffene, die wegen eines Karzinoid- Syndroms behandelt werden und mit Fatigue zu mir kommen, haben einfach nur eine schwere Mangelernährung und eine Hypovitaminose“, schilderte Schulte. Er warnte davor, sich auf unauffällige Blutwerte zu verlassen: Ein Vitamin- oder Elektrolytmangel zeige sich dort in der Regel erst, wenn die körpereigenen Reserven erschöpft sind. Der Experte substituiert die fettlöslichen Vitamine unter SSH-Therapie mittlerweile routinemäßig. „Alle Patient:innen, die einen neuroendokrinen Tumor haben, gehören auf Mangelernährung untersucht“, fasste er zusammen. Die Ernährungsmedizin fehle jedoch bisher in allen Leitlinien. Empfehlungen auch an den verkürzten Darm anpassen Als zusätzliche Medikation erhalten Betroffene Pankreasenzyme in einer Dosis von 2.000 IE/g Nahrungsfett zu jeder fetthaltigen Mahlzeit. „Auch der Cappuccino dazwischen muss mit Lipase behandelt werden“, hob der Referent explizit hervor, ebenso wie andere Snacks. Für die Einnahme gilt das Pizzaprinzip, bei dem sich kleine Essensmengen und entsprechende Dosen abwechseln. Ärzt:innen sollten angesichts des Kurzdarmsyndroms außerdem empfehlen, viele kleine Mahlzeiten einzunehmen, gründlich zu kauen sowie Essen und Trinken strikt voneinander zu trennen. ❙ * 5-Hydroxyindolessigsäure „Diarrhöen bei neuroendokrinen Neoplasien verstehen – Diagnose und Therapie“, Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, Hamburg, 14.10.23 Foto: Pixelbliss/stock.adobe.com 24 <strong>onko</strong> CC 6 / 23
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