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Christkatholisch_2024-3

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Hintergrund<br />

Clara Ragaz-Nadigs Kampf für<br />

Frauenrechte und Frieden<br />

Frieden kann es nur geben, wenn Frauen politisch partizipieren<br />

Die religiös-soziale Clara Ragaz-Nadig (1874–1957) engagierte sich als<br />

Pazifistin ebenso wie für die Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechtes.<br />

Ein Porträt der Schweizer Feministin und Kirchenfrau.<br />

Von Léa Burger<br />

Die Welt braucht Friedensmenschen immer wieder<br />

und jetzt erst recht. Eine Frau, die andere inspiriert<br />

und sich engagiert für den Frieden einsetzte, war<br />

Clara Ragaz-Nadig. Clara Ragaz war Mitbegründerin<br />

der Schweizer Sektion der Internationalen Frauenliga<br />

für Frieden und Freiheit; in ihrem Haus liefen die<br />

Fäden für die internationale Friedensbewegung zusammen.<br />

Bis heute ist sie Vorbild für viele.<br />

Eintauchen in das Leben von<br />

Clara Ragaz<br />

Drei Jahreszahlen stelle ich an den Anfang: 1874 wurde<br />

Clara Ragaz in Chur geboren; 1957, also 81 Jahre<br />

später, starb sie in Zürich; 1987 wurde ich geboren,<br />

genau 30 Jahre nach ihrem Tod. Clara Ragaz ist für<br />

mich eine historische Figur, die mit meinem Leben<br />

scheinbar nur wenig zu tun hat. Ich habe mir Bilder<br />

von ihr angeschaut, auf denen sie in langen, eleganten<br />

Kleidern zu sehen ist mit wachen Augen und mit<br />

ihrer Hochsteckfrisur. Ich habe ihre Schriften und<br />

Nachrufe auf sie gelesen. Dennoch blieb sie mir irgendwie<br />

fern, bis ich im Sozialarchiv ihre unzähligen<br />

Briefe las, ihr Papier in Händen hielt, welches sie<br />

selbst einmal beschrieben und gefaltet hatte. Da<br />

konnte ich plötzlich eintauchen ins Leben von Clara<br />

Ragaz, oder sie in meins? Clara Nadig, wie sie mit<br />

Mädchennamen hiess, wurde als dritte Tochter einer<br />

gutbürgerlichen Familie in Chur geboren. Sie erlebte<br />

dort eine unbeschwerte Kindheit und Jugend und<br />

besuchte als junge Frau das Lehrerinnenseminar in<br />

Aarau. In den 1890er Jahren lernte sie den Churer<br />

Stadtpfarrer Leonhard Ragaz kennen. Es dauerte ein<br />

paar Jahre, bis er ihr seine Liebe gestand und vor<br />

allem, bis sie sich auf ihn einlassen wollte. Eine Ehe<br />

mit diesem engagierten Kämpfer würde ihre Kräfte<br />

übersteigen, war Clara Nadig überzeugt. Doch dann,<br />

nach vielen Briefen und Begegnungen, heirateten die<br />

beiden 1901.<br />

Eine neue Lebensphase von Clara Ragaz begann.<br />

Zuerst in Basel, wo ihr Mann Münsterpfarrer wurde<br />

und ihre beiden Kinder zur Welt kamen. Später in Zürich,<br />

wo Leonhard Ragaz an die Universität berufen<br />

wurde und den religiösen Sozialismus sowie die Zeitschrift<br />

«Neue Wege» mitbegründete. Diese Zeitschrift<br />

existiert bis heute; alle folgenden Zitate von Clara<br />

Ragaz fand ich in deren Archiv. Clara Ragaz, die religiöse<br />

Sozialistin: Sie glaubte fest daran, dass christlicher<br />

Glaube und linkspolitisches Engagement zusammengehören,<br />

ja «dass die Gedanken der Sozialdemokratie<br />

den Gedanken des Christentums am<br />

nächsten verwandt, ihnen immer vorgegangen sind.<br />

Und dass wir ebenso sicher auf ihre Verwirklichung<br />

hoffen dürfen als auch auf die Verwirklichung des<br />

christlichen Glaubens.» Clara Ragaz glaubte an die<br />

Macht des Guten und sprach lieber von einer gerechten<br />

Gesellschaft als vom Reich Gottes, das ihr Mann<br />

und seine religiös-sozialen Mitstreiter verwirklichen<br />

wollten. 1913, noch vor ihrem Mann, trat Clara Ragaz<br />

der Sozialdemokratischen Partei, der SP, bei. Dort<br />

setzte sie sich insbesondere für Frauenanliegen ein.<br />

Kein Feminismus<br />

ohne Sozialismus<br />

«Nicht nur muss die Proletarierin mit ihrem männlichen<br />

Genossen zusammen den Kampf um die völlige<br />

Neugestaltung unseres Wirtschaftslebens aufnehmen,<br />

sie muss auch, eben um diese Neugestaltung<br />

zu erreichen, in den Kampf um die völlige politische<br />

Gleichberechtigung mit dem Manne treten.» Für Clara<br />

Ragaz sind Feminismus und Sozialismus untrennbar<br />

verbunden. Umso enttäuschter war sie, als 1920<br />

die beiden Kantone Basel und Zürich das Frauenstimmrecht<br />

ablehnten. «Man muss sich fragen, in was<br />

für einem Jahrhundert wir in der Schweiz eigentlich<br />

leben. Bloss ein Drittel unserer Genossen hat in der<br />

Frau die ebenbürtige Gefährtin und Kampfgenossin<br />

erkannt. Diese Tatsache zeigt uns mit erschreckender<br />

Deutlichkeit, wie wenig Sozialismus in unserer<br />

Sozialdemokratie noch herrscht.»<br />

30<br />

<strong>Christkatholisch</strong> Nr. 3, <strong>2024</strong>

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