w | Titelstory „Ich trage zwei Herzen in meiner Brust: Eine Seite ist sehr deutsch, die andere sehr persisch.“ „Das Härteste und Unglaublichste in meinem Leben war, dass ich mit 13 Jahren ganz allein gelebt habe. Es war eine herausfordernde Zeit, aber sie hat mich auch stark gemacht.“ AUFGEBEN IST KEINE OPTION Unternehmerin Emitis Pohl im Gespräch mit w Foto: Alex Weis 6 www.diewirtschaft-koeln.de
Titelstory | w Mit 13 Jahren floh sie ohne ihre Eltern aus dem Iran nach Deutschland. Auf das Abitur in der neuen Sprache folgten Marketingstudium und Agenturgründung. 15 Jahre später ließ sie das Agenturleben hinter sich, um den Verein seiSTARK e. V. ins Leben zu rufen. Im Interview verriet sie uns unter anderem, warum ihre Oma ihr größtes Vorbild war, was sie dazu veranlasst hat, das Agenturleben hinter sich zu lassen, und wie eine für sie erfolgreiche Integrationspolitik in unserem Sozialstaat aussehen könnte. w: Wann hatten Sie zuletzt einen richtig schönen langweiligen Tag? Emitis Pohl: Oh, das ist eine schwierige Frage! Wissen Sie, Langeweile und ich, wir sind so etwas wie zwei Fremde, die sich nicht oft begegnet sind. Als Workaholic kenne ich das Gefühl kaum. Aber mal ehrlich, wer würde sich nicht ab und zu nach einem richtig schönen langweiligen Tag sehnen? Ich glaube, ich sollte mir einen Langeweile-Kalender zulegen und sehen, ob ich so einen Tag irgendwo einplanen kann! w: Bei Ihren vielseitigen Tätigkeiten, Ihren sozialen Engagements und Ihrer Familie bleibt ja auch kaum Raum für lange Entspannung. Apropos Entspannung: Wie relaxen Sie? Emitis Pohl: Tatsächlich ist es manchmal eine Herausforderung, Zeit für Entspannung zu finden. Doch wenn ich mir mal eine Auszeit gönne, dann bevorzuge ich verschiedene Methoden, um zur Ruhe zu kommen: Dazu gehören Besuche im Hamam oder Wellness, gemütliches Kaffeetrinken in netter Gesellschaft oder Musikhören am Strand, wann immer es möglich ist. Meine älteste Tochter motiviert mich dazu, zumindest fünf Minuten täglich zu meditieren. Das gelingt mir schon mal zwei- bis dreimal im Monat. Meistens sind meine Akkus am Ende des Jahres so leer, dass mich mein Körper alarmiert. Das ist wie ein innerer Weckruf, der mir signalisiert, dass ich mir Zeit nehmen muss, um die Akkus aufzuladen. w: Sie kommen aus einem wohlhabenden Elternhaus im Iran und sind als 13-Jährige allein ohne Eltern zu Ihrer Großmutter nach Hamburg geflüchtet. Ängstlich waren Sie offensichtlich nicht? Was war Ihre Motivation? Emitis Pohl: <strong>Die</strong> Wahrheit ist, dass Angst ein ständiger Begleiter war – ein Schatten, der mich auf jedem Schritt verfolgte. Jeder Neuanfang ist mit Ängsten verbunden, besonders für ein 13-jähriges Mädchen, das von seinen Eltern getrennt wird. Es war keine leichte Entscheidung, die meine Eltern treffen mussten. Krieg herrschte in unserem Land, und sie hatten keine andere Wahl, als mich ins Ausland zu schicken, um mir ein sicheres Leben zu ermöglichen. Warum Deutschland, fragen viele. Nun, als kleines Mädchen verbrachte ich jeden Sommer in Deutschland und den USA im Urlaub. Meine Oma hat die Vormundschaft übernommen, jedoch hatte ich mit 13 Jahren meine eigene Wohnung. Mein Vater hatte als Geschäftsmann viel mit deutschen Firmen zu tun. Für meine Eltern war die Bedingung, dass sie mich oft besuchen kommen, und umgekehrt auch. Es war für alle Beteiligten eine äußerst schwierige und emotionale Zeit. Dennoch hatte ich schon in jungen Jahren den starken Wunsch, dem Land zu entkommen, und so entwickelte ich einen eigenen Willen und lernte frühzeitig, selbstständig zu sein. w: Sie haben dem damals aufkommenden Mullahregime sehr schnell den Rücken gekehrt, als Ihnen klar war, dass Sie sich seinen patriarchalischen ultrareligiösen Vorschriften nie fügen würden. Emitis Pohl: Ja, das ist korrekt. Mir wurde in jungen Jahren schon klar, dass ich mich diesen Werten niemals würde unterordnen können. <strong>Die</strong> Idee, mich den rigiden Normen und Restriktionen zu beugen, widersprach meinen eigenen Überzeugungen und meinem Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung. Deshalb entschied ich mich, dem Regime den Rücken zu kehren und meine eigenen Wege zu gehen, auch wenn es bedeutete, meine Heimat und meine Eltern schon so früh zu verlassen. w: Was konnte Ihnen Ihre Großmutter mit auf den Weg geben? Emitis Pohl: Meine Großmutter war mein größtes Vorbild, denn sie verkörperte Stärke, Bildung, Unabhängigkeit, Mut und politisches Engagement. In den 70er-Jahren im Iran wagte sie es, sich mit drei kleinen Kindern scheiden zu lassen und als alleinerziehende Mutter ihr Leben und das ihrer Kinder selbst zu gestalten. Sie war eine Pionierin, die zusammen mit anderen Frauen einen Verein gründete, um Frauen in Politik und Gesellschaft zu fördern. Wenn ich das Bild von ihrem Verein aus dieser Zeit neben meins heute stelle, fühlt es sich an wie ein Déjà-vu. Ich bin stolz darauf, dass ich das Glück hatte, von einem so großartigen Vorbild in meinem Leben begleitet zu werden. w: Das muss wohl so nachhaltig gewesen sein, dass Sie sehr zielstrebig Deutsch gelernt haben, sich schnell integrierten, Abitur machten und studierten. All das spricht ja schon für sich. Emitis Pohl: Ja, ich glaube wirklich, dass die Werte, die man als Kind vermittelt bekommt, sowie die Vorbilder im Leben eine immense Rolle spielen. Mein Vater schickte mich nach Deutschland und versprach, mein Leben zu finanzieren, unter der Voraussetzung, dass ich fleißig lerne, um etwas aus mir zu machen. Er war streng in gewisser Hinsicht, sehr autoritär. Ich bemerke, dass ich bei der Erziehung meiner eigenen Kinder einige dieser Eigenschaften übernommen habe. Deutsch habe ich zwar im Laufe der Zeit recht gut gelernt, aber mit der deutschen Grammatik stehe ich bis heute auf Kriegsfuß. Ich bin der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, sich als Fremder in einem neuen Land schnell zu integrieren, um ein einfacheres und besseres Leben in der neuen Heimat zu führen. Ich sage immer, ich trage zwei Herzen in meiner Brust: Eine Seite ist sehr deutsch, geprägt von Pünktlichkeit, Organisation und Offenheit, während die andere Seite sehr persisch ist, voller Emotionen, Spontaneität und Gastfreundschaft. Man darf seine Herkunft niemals verleugnen, aber man sollte auch zu seinem neuen Zuhause stehen. <strong>Die</strong>se Mischung macht mich aus. w: Was war Ihr Beweggrund, relativ früh nach Ihrem Marketingstudium eine Werbeagentur zu gründen? Emitis Pohl: Meine Beweggründe hierzu waren vielschichtig: Einerseits wollte ich meine Unabhängigkeit beweisen und auch meinem Vater zeigen, dass seine Tochter ihr Versprechen gehalten hat und es geschafft hat. Für mich war Erfolg nie ausschließlich an Unternehmertum gebunden; jeder definiert Erfolg anders. Als ich mich selbstständig machte, hatte ich bereits zwei kleine Kinder und war 33 Jahre alt. Es war zweifellos ein riskanter Schritt, aber als Frau mit zwei Kleinkindern konnte ich in einer angestellten Position in einer Agentur nicht die berufliche Entwicklung und Flexibilität erreichen, die ich mir wünschte. <strong>Die</strong> Gründung meines eigenen Unternehmens war auch von inspirierenden Vorbildern geprägt, wie meinem Vater und meinem ersten Kunden, die mich motivierten und darin bestärkten, meinen eigenen Weg zu gehen. Als Frau, jung und dazu noch mit Migrationshintergrund, hatte ich es nicht leicht in der männerdominierten Businesswelt. Doch schon seit meinen ersten Tagen in Deutschland wusste ich, dass Aufgeben keine Option ist. w: Sie führten viele Jahre in <strong>Köln</strong> erfolgreich diese Werbeagentur, wurden u. a. von der Mittelstandsvereinigung der CDU zur Unternehmerin des Jah- www.diewirtschaft-koeln.de 7