LÜNEBURG AKTUELL ½ KULTUR ½ KUNST ½ ... - Quadrat
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Das Jahr 1908 war ein aufregendes Jahr. Messina<br />
auf Sizilien wurde durch ein Erdbeben zerstört,<br />
Bulgarien wurde Königreich, der Kongostaat wurde<br />
belgische Kolonie, das Kaiserreich Österreich-Ungarn<br />
verleibte sich Bosnien und Herzegowina ein<br />
– und in Lüneburg wurde am Stint 12 a der Grundstein<br />
für ein Haus gelegt, in dem heute Anna’s Café<br />
beheimatet ist.<br />
Dieses Haus am Stintmarkt ist so recht ein Kind<br />
seiner Zeit. Der Wunsch, mit dem Bau kulturelles<br />
Erbe zu präsentieren und zu bewahren, ist heute<br />
noch deutlich zu sehen. Viele Baustile aus vergangenen<br />
Epochen spiegeln sich in der Fassade<br />
wieder. „Hier treffen sich Gotik, Barock und Klassizismus<br />
mit Romanik,“ sagt der Lüneburger Restaurator<br />
und Altstadt-Retter Curt Pomp. „Man<br />
sollte meinen, dass bei einer solchen Mischung<br />
nichts Schönes herauskommen kann – aber sehen<br />
VOR 101 JAHREN ZERSTÖRTE EIN ERDBEBEN DIE STADT MESSINA …<br />
Sie sich dieses Haus einmal an: In seiner bunten<br />
Vielfalt der Stilrichtungen hat es dennoch einen<br />
ganz eigenen Stil. Man nennt ihn Historismus.“<br />
QUADRAT hat im Brockhaus die Defi nition dieses<br />
Wortes nachgeschlagen. Danach ist Historismus<br />
„eine Weltansicht, die alle Gebilde und Erscheinungen<br />
des kulturellen Lebens aus ihren geschichtlichen<br />
Bedingungen heraus zu verstehen<br />
sucht.“ „Man meint beim Anblick des Hauses zu<br />
spüren, dass ein Umbruch des Stils in der Kunst<br />
und Baukunst bevorsteht – und tatsächlich folgt ja<br />
auch wenig später der Jugendstil. Der Versuch, alles<br />
zu vereinen, konnte nicht lange Bestand haben“,<br />
erklärt Curt Pomp.<br />
Das Haus atmet die Behäbigkeit der Kaiserzeit.<br />
Und vielleicht auch deshalb passt hier ein Café<br />
hinein, das ebenfalls als Ort einer Flucht aus Hektik<br />
und Geschäftigkeit ein Stück der „guten alten<br />
Zeit“ ins Jetzt herüberrettet. Die Einrichtung von<br />
ausblicke auf lüneburgs architektur � quadrat 49<br />
… und in Lüneburg wurde der Grund-<br />
stein zu „Anna’s Café“ gelegt<br />
Anna’s Café entspricht der Fassade: Gediegen, solide<br />
und wie für Ewigkeit und Beständigkeit gemacht.<br />
Eine Burger-Kette wäre hier fehl am Platz,<br />
ein glatter Stilbruch.<br />
Die Umgebung des nunmehr 101 Jahre alten<br />
Hauses ist malerisch und romantisch. Es fügt sich<br />
ein in das Ensemble von Häusern vornehmlich aus<br />
der alten Lüneburger Epoche der Backsteingotik.<br />
Buntes Treiben herrscht auf dieser Flanier- und<br />
Schlemmermeile Am Stintmarkt, kurz Stint genannt.<br />
Schaut man aus dem obersten Geschoss<br />
des Hauses hinaus, kann man hinter den meist<br />
roten Dächern der Stadt die Lüneburger Kirchen<br />
sehen. In unmittelbarer Nähe St. Nicolai, die Jahrhunderte<br />
lang die Kirche der Schiffer war, die hier<br />
am Stint, im Lüneburger Hafen, vor Anker gingen.<br />
Damals, als hier am Wasser das Herz der Salzstadt<br />
Lüneburg schlug. (ab)