Inhaltsverzeichnis/Table des matières - Dr. Dieter Winkler Verlag
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Joseph II. und seine Reformen in der Arena der politischen<br />
Öffentlichkeit<br />
ERNST WANGERMANN<br />
Ich sehe den Titel dieses Ban<strong>des</strong> als Aufforderung, ein ausgewogenes Gesamturteil<br />
über Scheitern und Erfolge der josephinischen Reformen zu fällen. Der Titel<br />
meines Beitrags soll darauf verweisen, dass ich bei meiner Urteilsfindung die<br />
entsprechenden Urteile der Zeitgenossen gebührend berücksichtigen werde. Da<br />
es zur Zeit der aufgeklärten Reformen, und nicht zuletzt zufolge dieser Reformen,<br />
im Habsburgerreich eine politische Öffentlichkeit gab, da die Menschen ihren<br />
Meinungen öffentlich Ausdruck verliehen, fehlt es nicht an Quellen, die über<br />
die Urteile der Zeitgenossen Aufschluss geben.<br />
Vorerst einige Worte zur Erläuterung <strong>des</strong> Begriffs „politische Öffentlichkeit“.<br />
Das Wesentliche dazu hat Jürgen Habermas in seinem 1962 in erster Auflage<br />
erschienenen Werk gesagt. In dem Vorwort zur Neuauflage von 1990 ging<br />
Habermas auf kritische Einwendungen ein, ließ aber den Text <strong>des</strong> Werkes unverändert.<br />
1 Den eigentlichen Gegenstand seiner Analyse, den „Strukturwandel“ der<br />
Öffentlichkeit, leitet Habermas vom Modellfall der historischen Entwicklung in<br />
England ab. 2 Für das Habsburgerreich wird dieses Modell bedeutsam, insofern<br />
die Reformer und Aufklärer, die nach dem Siebenjährigen Krieg ihre Laufbahn<br />
antraten, sich weitgehend an der Entwicklung Englands orientierten. Mit den von<br />
ihnen initiierten Reformen bahnte sich in Österreich eine Entwicklung an, die<br />
mit Blick auf den Einzelnen in der Gesellschaft mit den Worten „vom Untertan<br />
zum Staatsbürger“ umschrieben werden kann. 3 Ändern wir den Blickwinkel und<br />
richten wir unseren Blick vom Einzelnen in der Gesellschaft auf die Gesellschaft<br />
selbst, können wir wahrnehmen, wie sich breite Schichten der Untertanen als politische<br />
Öffentlichkeit konstituierten. Im Gegensatz zu einigen Kritikern von Habermas<br />
möchte ich am Begriff einer bürgerlichen politischen Öffentlichkeit festhalten.<br />
Denn mit der Entstehung dieser politischen Öffentlichkeit begannen die<br />
scharfen Trennlinien der feudalen Gesellschaftsordnung zu verschwimmen, auch<br />
wenn sich Vertreter der privilegierten Stände, und schließlich Kaiser Joseph II.<br />
selbst, in die Arena der politischen Öffentlichkeit begaben. Wenn Staatsbürger, in<br />
1 Jürgen HABERMAS, Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der<br />
bürgerlichen Gesellschaft, Neuauflage: Frankfurt/Main 1990.<br />
2 Ebenda, § 8: „Der Modellfall der englischen Entwicklung“.<br />
3 Dazu Ernst WANGERMANN, Das Leitbild <strong>des</strong> Citoyen. In: Gabriella HAUCH/Maria MESNER<br />
(Hg.), Vom „Reich der Freiheit ...“ Liberalismus. Republik. Demokratie 1848-1998. Wien<br />
1999, 19-23.