DER GASTFREUND / DIE ARGONAUTEN - Badisches Staatstheater ...
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Sein Kolchis ist offensichtlich mit dem<br />
Gedanken an den „schwarzen Kontinent“<br />
Afrika angelegt, er nutzt den griechischen<br />
Mythos, um „Fragen aus der Theorie und<br />
Praxis des 19. Jahrhunderts“ zu erörtern,<br />
wie „das Streben des europäischen<br />
Mannes nach Dominanz über fremde,<br />
in sich geschlossene Kulturkreise“, wie<br />
es Dagmar C. G. Lorenz in ihrem Buch<br />
Grillparzer. Dichter des sozialen Konflikts<br />
formuliert. Sein Griechenbild ist „absichtlich<br />
negativ“ – aus den hehren Helden sind<br />
Ausbeuter, Kolonialisten geworden, die mit<br />
der Arroganz der scheinbar höheren Zivilisation<br />
den „Wilden“ auf Kolchis begegnen.<br />
Doch auch die „Wilden“ sind nicht edel,<br />
König Aietes ist im Gegenteil sogar ein<br />
besonders engstirniger, angstbesetzter<br />
Herrscher, der sich seiner militärischen<br />
Unterlegenheit zudem nur allzu bewusst<br />
ist. Diese Fremden sind mächtiger als er,<br />
es gilt also sie zu fürchten, zu hassen, zu<br />
bekämpfen und wenn möglich ihre Schätze<br />
zu rauben.<br />
Medea steht im Mittelpunkt der Trilogie<br />
und zugleich zwischen allen Fronten. Sie<br />
ist sowohl in ihrer Welt als auch in der<br />
Jasons die Außenseiterin. Mit Aietes’ Haß<br />
will sie schon im ersten Teil nichts zu tun<br />
haben, nach der Ermordung des Phryxus<br />
zieht sie sich in einen Turm zurück und<br />
meidet den Kontakt mit ihrem schuldigen<br />
Vater. Und auch nach der Ankunft der<br />
Argonauten verweigert sie zunächst ihre<br />
Hilfe und rät dem Vater, das Vlies doch<br />
einfach zurückzugeben. Doch der fürchtet,<br />
dass ihn die Fremden dann erst recht<br />
angreifen werden – eine in sich geschlossene<br />
Paranoia, die für keine Argumente<br />
zugänglich ist. Was mit der hoffnungsfrohen<br />
Ankunft eines Fremden auf Kolchis<br />
beginnt, endet mit der Abreise Medeas<br />
in ein ihr fremdes Land, nachdem sie sich<br />
30<br />
ihrem Vater gegenüber schuldig gemacht<br />
hat und mit dem Vlies auch den Fluch mit<br />
sich nimmt. Gastfreundschaft, als eine<br />
Möglichkeit der Begegnung zwischen<br />
Fremden, findet in diesem Drama nicht<br />
statt, zu gefangen sind die Kolcher in ihrer<br />
Angst vor den Eindringlingen, zu aggressiv<br />
treten die Griechen auf in ihrer scheinbaren<br />
Überlegenheit.<br />
Das eigentliche Thema Grillparzers ist die<br />
Fremdheit, die hier unüberwindbar bleibt,<br />
weil keine der beiden Seiten in der Lage<br />
ist, vom eigenen Standpunkt abzurücken.<br />
Dabei macht Jason in der Liebe zu Medea<br />
eine verstörende Erfahrung: Er wird sich<br />
selbst fremd, indem er sich plötzlich durch<br />
die Augen des anderen sieht: „Ich selber<br />
bin mir Gegenstand geworden, / Ein anderer<br />
denkt in mir, ein andrer handelt. / Oft<br />
sinn ich meinen eignen Worten nach, / Wie<br />
eines dritten, was damit gemeint, / Und<br />
kommt’s doch zur Tat, denk’ ich wohl bei<br />
mir selber: Mich soll’s doch wundern, was<br />
er tun wird und was nicht!“<br />
Die Begegnung zwischen beiden öffnet<br />
die Schleusen der eigenen Wahrnehmung,<br />
doch der Perspektivwechsel ist nur von<br />
kurzer Dauer – Jason folgt seinem Heldenprogramm,<br />
das darin besteht, die Frau und<br />
den Schatz zu erobern und weiterzuziehen.<br />
Die Chance, aus dem Erlebten zu lernen,<br />
verpasst er. Medea ist als Einzige in der<br />
Lage, sich dem Anderen zu öffnen und<br />
ihren Standpunkt zu wechseln. Ihre Liebe<br />
ermöglicht die Akzeptanz sowohl ihrer<br />
Situation als auch der Andersartigkeit<br />
Jasons. Mit der Herausgabe des Vlieses<br />
gibt sie sich letztlich selbst hin, macht<br />
sich verfügbar, verletz- und angreifbar. Sie<br />
hat verstanden, was notwendig ist, damit<br />
Gastfreundschaft als Begegnung gelingen<br />
kann.<br />
Simon Bauer, László Branko Breiding