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Neulich auf dem Standesamt Wenn ein Kind auf der Welt ist, haben erstmal die Behörden das Wort. Ganz besonders bei der Namensgebung, einer schwierigen Angelegenheit von höchster Komplexität, bei der der moderne und fürsorgliche Staat seine mündigen Bürger nie alleine läßt. Wie peinlich, wenn Leute ihre Kinder „Sex and Drugs and Rock’n Roll“ nennen würden. Nein, wirklich. Wer möchte schon mit so einem Namen durchs Leben gehen – auch wenn das die Umstände der eigenen Entstehung eigentlich ganz korrekt beschreibt. Dann lieber eine Springflut aus Kevins, Samanthas, Cynthias und Lars-Dieters. Wir wollten aber bei der Namensgebung keinesfalls mit dem Strom schwimmen. Unser Kind sollte in der Schule nicht einer von drei Michaels oder vier Thorstens sein. Wir wollten das Besondere für unseren kleinen Sohn. Einen unverwechselbaren Jungennamen. Also warum nicht „Merlyn“ nach dem Zauberer aus der Artussage. Männlicher geht es wohl kaum noch, es sei denn, man nimmt einen Namen von verbürgter Kernigkeit wie „Arnold“. Den wiederum mochten wir nicht. Also blieb es bei „Merlyn“. Ein Name für einen Jungen und später für einen intelligenten Mann. Leider sah das die Dame beim Standesamt ganz anders. Eingehüllt in eine Wolke aus altem Tabaksgeruch, konsultierte sie ein Nachschlagewerk, das erkennbarerweise schon seit vielen Jahrzehnten in ihrer Amtsstube seinen Dienst am Bürger verrichtete. „Nein, das geht nicht“, verkündete sie und knallte das Buch zu. „Merlyn ist kein männlicher Name, sondern geschlechtsneutral. ‚Merlin‘ übrigens auch. Ihr Kind braucht einen zweiten Vornamen, der eindeutig männlich ist.“ „Aber der Merlyn aus der Artussage ist eindeutig ein Mann.“ – Nein, hieß es in barschem Raucherbaß, das reiche nicht. Wir könnten aber eine vorläufige Geburtsurkunde ohne Vornamen erhalten. Oder uns eben einen zweiten, dieses Mal eindeutig männlichen Vornamen aussuchen. Wie „Arnold“ oder „Holger“. 26 Kunst und Kultur Merlyn Holger? Nie im Leben. Leider war man mit mir noch nicht fertig. Der griechische Nachname sorgte für Stirnrunzeln und Irritation. „Sind Sie überhaupt Deutscher? Ohne Einbürgerungsurkunde geht hier sowieso nichts …“ Moment mal. Ich zeigte meinen deutschen Personalausweis vor und verwies darauf, daß meine Mutter Deutsche und Er lebt, und es gibt ihn wirklich, egal wie er heißt: Merlyn. ich hier geboren sei. Ohne Erfolg. Frau Raucherbaß bestand darauf, daß ich irgendwann die griechische Staatsbürgerschaft besessen und dann niedergelegt haben müßte. Es gebe da eine Verordnung, die … und außerdem hätte ich ohne die deutsche Staatsbürgerschaft gar nicht heiraten können. Oder so ähnlich. Ich hatte aber als deutscher Staatsbürger geheiratet und war inzwischen sogar geschieden worden, ohne daß jemand darauf gekommen wäre, meinen ethnischen Hintergrund auszuleuchten und auf Rechtskonformität hin zu überprüfen. „Das möchte ich schriftlich“, sagte ich. „Wie jetzt?“ „Geben Sie mir schriftlich, warum mein Sohn nicht ‚Merlyn‘ heißen darf.“ Dem wurde brummelnd stattgegeben, aber man sah sich außerstande, mir sofort ein Schriftstück auszufertigen. Man würde es mir dann zuschicken, hieß es. Wir stiegen fassungslos ins Auto. Meine Lebensgefährtin hatte Tränen in den Augen. Ihr Sohn, unser Sohn, existierte juristisch überhaupt nicht. Einige Tage später kam das Schreiben vom Stan- desamt. Aber sehr erhellend klang das nicht. Man schrieb, man habe halt so entschieden. Etwa so, wie Kinder „Eben drum“ sagen, wenn ihnen nichts besseres einfällt. So ging das nun gar nicht. Ich schrieb an die an der Universität Leipzig angesiedelte Deutsche Gesellschaft für die deutsche Sprache und bat um eine Expertise. Von dort schrieb man mir, ‚Merlyn‘ sei sehr wohl ein Jungenname. Immer schon gewesen. Von Geschlechtsneutralität konnte also keine Rede sein. Das Gutachten kostete 20 Euro. Ein Anruf beim Standesamt des benachbarten Landkreises ergab, daß man dort kein Problem darin sähe, einen Jungen ‚Merlyn‘ zu nennen. Schließlich sei das ja eindeutig ein Jungenname … Was die Dame vom Amt natürlich nicht beeindruckte. Jedes Standesamt könne machen was es wollte. Dafür wurde das Gutachten mit spitzen Fingern zum Kopierer getragen. Ihre Kollegin, die beim letzten Mal entweder krank oder in der Pause gewesen war, verstand das Problem nicht. „Wir hatten hier doch schon ein paar Mal Namensgebungen für Jungen, die ‚Merlin‘ oder ‚Merlyn‘ heißen sollten“, wandte sie ein. Böser Fehler. Wenn Blicke töten könnten … Auf jeden Fall war der Bürofrieden für die nächste Zeit mit dieser Bemerkung ruiniert. Die Dame vom Amt nahm die Kopie des Gutachtens zu den Akten. Dann setzte eine hektische Telefontätigkeit ein. Vorgesetzte wurden ins Bild gesetzt. Am Ende rief sie sogar in der Innenbehörde an, und vielleicht holte man dort sogar den Innensenator aus einer Besprechung, damit er sich mit dem höchst irregulären Namen des Sohnes eines Halbgriechen beschäftigen konnte. Wie auch immer. Am Ende gab jeder sein Okay. Mein Sohn durfte einfach nur ‚Merlyn‘ heißen. Wir bekamen unsere Geburtsurkunde und konnten, sechs Wochen nach der Geburt, endlich Kindergeld beantragen. Zum Glück wurde über die Nachzahlung in einem anderen Büro in einer anderen Behörde entschieden.
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