09.01.2013 Aufrufe

Walddörfer-Alstertal - CittyMedia Communicators and Publishers ...

Walddörfer-Alstertal - CittyMedia Communicators and Publishers ...

Walddörfer-Alstertal - CittyMedia Communicators and Publishers ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

de und der Krieg auf sein katastrophales<br />

Ende zusteuerte. Einschneidend<br />

war auch eine Straßenbahnfahrt durch<br />

das jüdische Ghetto von Łódź im Herbst<br />

1943. Bethy Lübcke war damals zu einem<br />

Ernteeinsatz nach Polen geschickt<br />

worden. Das Ghetto bot ein Bild des<br />

Elends. Soldaten, die ebenfalls in der<br />

Straßenbahn saßen, sagten ihr, der<br />

Führer wüßte darüber Bescheid und<br />

wolle es so. „Deutsche sind die Herrenrasse,<br />

und nichtarische Menschen<br />

sind Untermenschen, die man vernichten<br />

kann“, faßt sie heute zusammen,<br />

was sie von ihnen hörte. Für sie eine<br />

furchtbare Erfahrung, weil sie an ihre<br />

Freundin Lilian denken mußte. „Da kamen<br />

mir zum ersten Mal Zweifel“, sagt<br />

sie heute. Das selbstgefällige Verhalten<br />

von Arbeitsdienst-Führerinnen tat<br />

ein übriges.<br />

Der endgültige Bruch kam 1945, als<br />

sie mit dem Zug nach Hamburg zurückkehrte<br />

und der Zug durch das zerstörte<br />

Rothenburgsort fuhr. Sie erlebte,<br />

wie Soldaten, die ihre Familien suchen<br />

wollten, in Tränen ausbrachen.<br />

Die Eltern waren immer gegenüber der<br />

NS-Ideologie auf Abst<strong>and</strong> geblieben.<br />

Bethy Lübcke war dagegen wie viele<br />

<strong>and</strong>ere vom Regime zunächst eingefangen<br />

worden. Trotzdem gab es immer<br />

<strong>and</strong>ere Impulse und Einflüsse.<br />

Emma, eine Nachbarin im Haus in der<br />

Barmbeker Von-Essen-Straße, fiel<br />

Bethy dadurch auf, daß sie die besten<br />

politischen Witze erzählen konnte.<br />

Emma lebte von einer kleinen Rente,<br />

half aber <strong>and</strong>eren, wo sie konnte. Als<br />

Sozialdemokratin st<strong>and</strong> sie unter Polizeibeobachtung,<br />

ließ sich aber nicht<br />

einschüchtern und versteckte einen politischen<br />

Flüchtling. Unter dem NS-Regime<br />

riskierte sie damit ihr eigenes Leben.<br />

„Emma ist für mich bis heute ein<br />

ganz besonderer Mensch geblieben“,<br />

sagt Bethy Lübcke.<br />

Demokratie als Lebensform<br />

Nach dem Krieg ließ sich Bethy Lübkke<br />

zur Krankenschwester ausbilden<br />

und gleichzeitig zur Medizinisch-Technischen<br />

Assistentin. Sie arbeite 11<br />

Jahre im Krankenhaus St. Georg. Außerdem<br />

engagierte sie sich in der Gewerkschaft,<br />

ließ sich in den Betriebsrat<br />

wählen. Sie bildete sich weiter, ging<br />

auf die Gewerkschaftsschule, dann<br />

auf die Akademie der Arbeit. 1958/59<br />

wurde sie Assistentin beim DGB-Bundesschulleiter,<br />

für eine Frau in der da-<br />

50 Generation 60plus<br />

maligen Zeit eine sehr ungewöhnliche<br />

Position.<br />

Dann wechselte sie zur Hamburger Gewerbeaufsicht,<br />

wo sie zehn Jahre blieb.<br />

Sie bekam dort lehrreiche Einblicke in<br />

die Arbeitswelt, stieß auf Probleme, die<br />

bis heute nicht gelöst sind – etwa die<br />

Frage von gleicher Bezahlung für gleiche<br />

und gleichwertige Arbeit. Als sie<br />

begann, für die ÖTV zu arbeiten, merkte<br />

sie, daß in den bestehenden Tarifverträgen,<br />

die die Gewerkschaft ausgeh<strong>and</strong>elt<br />

hatte, Frauen schlechter<br />

bezahlt wurden und schlechter beh<strong>and</strong>elt<br />

wurden als die Männer. Also setzte<br />

sie sich dafür ein, daß sich das ändert.<br />

Aber es dauerte lange, bis sich der Erfolg<br />

einstellte.<br />

Zwanzig Jahre bei der ÖTV – die besten<br />

Berufsjahre<br />

Richtschnur war immer das soziale<br />

Engagement. In der Abteilung Gesundheitswesen,<br />

deren Leiterin sie<br />

schließlich wurde, ging es darum, den<br />

einzelnen Mitgliedern zu ihrem Recht<br />

zu verhelfen. Sie schulte Vertrauensleute<br />

sowie Personal- und Betriebsräte.<br />

Auch gesundheitspolitische Fragen<br />

und der Arbeitsschutz fielen in ihren<br />

Aufgabenbereich. Heute hält sie die<br />

20 Jahre, die sie bei der ÖTV arbeitete<br />

für ihre besten Berufsjahre. Forderungen,<br />

die sie damals vertreten hat, sind<br />

aktuell geblieben – nicht nur die nach<br />

gleichem Lohn für gleiche und gleichwertige<br />

Arbeit. Die nach mehr Ganztagsplätzen<br />

in Kindergärten und nach<br />

Ganztagsschulen haben sogar an Aktualität<br />

gewonnen.<br />

Allerdings konnten die Gewerkschaften<br />

keinen großen Umbruch herbeiführen.<br />

„Sie konnten das Ausein<strong>and</strong>erklaffen<br />

der Schere zwischen Arm und<br />

Reich nicht verhindern. Dabei ist das<br />

heute weltweit das größte Problem.<br />

Man konnte nur einzelnen helfen und<br />

so etwas bewegen“, sagt Bethy Lübcke<br />

heute. Zum Beispiel die Verkürzung der<br />

Wochenarbeitszeit, die während ihrer<br />

Tätigkeit als Krankenschwester noch<br />

60 Stunden in der Woche betrug. Sie<br />

wurde der Arbeitszeit der übrigen Angestellten<br />

schrittweise angeglichen.<br />

Dasselbe galt für die Verbesserung der<br />

Bezahlung, die immer noch nicht ausreicht.<br />

1971 kam ihr einziger Sohn zur Welt. Sie<br />

zog ihn alleine auf, was eine große Herausforderung<br />

war. Denn damals war es<br />

noch nicht so selbstverständlich, daß<br />

alleinstehende Frauen Kinder erzogen<br />

und gleichzeitig berufstätig waren. Inzwischen<br />

hat der Sohn vier Kinder und<br />

ist selbst gewerkschaftlich aktiv.<br />

Die 68er-Bewegung sieht sie im Rückblick<br />

eher ambivalent. Es gab zwar berechtigte<br />

Kritik an der Gewerkschaftsführung,<br />

aber gerade die in den 70er<br />

Jahren auftretenden K-Gruppen haben<br />

den Gewerkschaften geschadet. Trotzdem<br />

wirkte die 68er-Bewegung positiv:<br />

„Durch sie wurde das übermäßig Angepaßte<br />

und Disziplinierte hinterfragt<br />

und zurückgedrängt“, sagt sie.<br />

Zwei Jahrzehnte ehrenamtliches<br />

Engagement in Berne<br />

Vor nunmehr 20 Jahren half sie beim<br />

Aufbau des Freundeskreises Seniorenhilfe;<br />

lange Zeit war sie 1. Vorsitzende.<br />

Als sie mit dieser Arbeit begann, ging<br />

sie gerade in den Ruhest<strong>and</strong>. „Aber<br />

ich wollte mich nicht zur Ruhe setzen“,<br />

erzählt sie. Damals war die Seniorenwohnanlage<br />

<strong>Walddörfer</strong> gerade fertiggestellt,<br />

und in Bethy Lübckes Bekanntenkreis<br />

entst<strong>and</strong> die Idee, sich um die<br />

neuen Bewohner zu kümmern. Mit Fragebögen<br />

brachte der Freundeskreis in<br />

Erfahrung, wo die Schwerpunkte dieser<br />

Arbeit liegen sollten und orientierte<br />

sich an den Ergebnissen – und damit<br />

an den Bedürfnissen der Bewohner.<br />

Als wichtiges Thema stellte sich der<br />

Umgang mit Dementen heraus. Der<br />

Freundeskreis zog Fachleute heran, um<br />

das dafür nötige Wissen zu erwerben.<br />

Außerdem setzte sich der Verein für die<br />

Gründung von Heimbeiräten ein und<br />

schulte auch deren Mitglieder.<br />

Als in den Neunziger Jahren das damals<br />

im Besitz der Stadt befindliche Berner<br />

Schloß verkauft werden sollte, beteiligte<br />

sich Bethy Lübcke an der Gründung<br />

des Vereins „Rettet das Berner<br />

Schloß“. Der Verein hatte sich zum Ziel<br />

gesetzt, das Schloß (siehe Artikel in<br />

der Rubrik „Aus der Lokalgeschichte)<br />

für die Berner zu erhalten. Obwohl der<br />

Verein nie genug Geld hatte, um das<br />

Schloß selbst zu kaufen, trug er dazu<br />

bei, daß das traditionsreiche Anwesen<br />

erhalten blieb.<br />

Mittlerweile hat sich Bethy Lübcke aus<br />

gesundheitlichen Gründen zurückgezogen.<br />

Sie betreut allerdings weiterhin<br />

Busausflüge für den Freundeskreis, besucht<br />

Bewohner in der Seniorenwohnanlage<br />

und organisiert einen Mittagstisch<br />

für Parkinson-Kranke und ihre<br />

Angehörigen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!