Mit Innovationen durch die Krise - Wirtschaftsnachrichten
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GESUNDHEIT<br />
Gesundheitsmarkt:<br />
Gefährliche Wechselwirkungen<br />
Harmlose Arzneimittel können in<br />
Kombination mit einem weiteren<br />
ganz anders wirken…<br />
Die Anzahl der Medikamente steigt von<br />
Jahr zu Jahr. Medikamentensicherheit<br />
ist ein wesentliches Kriterium bei der<br />
Einführung eines neuen oder bereits am<br />
Markt befindlichen Produkts. Gefährlich<br />
wird es in der Kombination <strong>die</strong>ser hochwirksamen<br />
Arzneien, wenn sie unkontrolliert eingenommen<br />
werden. Marie-Theres Ehrendorff<br />
sprach mit dem international anerkannten<br />
Experten, Univ.-Prof. Dr. Eckhard Beubler,<br />
dem ehemaliger Vorstand des Instituts<br />
für Experimentelle und Klinische Pharmakologie<br />
an der Medizinischen Universität<br />
Graz, der sich in Pharmakodynamik und Toxikologie<br />
habilitiert hat.<br />
n Herr Professor Beubler, warum sind<br />
Wechselwirkungen bei Medikamenten<br />
nicht zu unterschätzen?<br />
Arzneimittel haben eine Wirkung, <strong>die</strong> sogenannte<br />
Pharmakodynamik, und außerdem<br />
werden sie <strong>durch</strong> chemisch physikalische<br />
Vorgänge im Körper verändert, <strong>die</strong> sogenannte<br />
Pharmakokinetik. Das heißt, der Körper<br />
nimmt Arzneimittel auf, baut sie ab und<br />
scheidet sie schließlich aus. Bei <strong>die</strong>sen Prozessen<br />
ist alles unter Kontrolle: Der Arzt<br />
kennt <strong>die</strong> Dosis, <strong>die</strong> der Patient schluckt, und<br />
das Arzneimittel beeinflusst den Körper in<br />
gewünschter Weise. Wenn ein zweites Arzneimittel<br />
ins Spiel kommt, kann es mit den<br />
Abbau- und Ausscheidungsmechanismen<br />
konkurrieren und <strong>die</strong> Wirkung des ersten<br />
Medikaments kann verdoppelt, verdreifacht<br />
oder überhaupt blockiert werden. Nun können<br />
Sie sich vorstellen, was passiert, wenn<br />
jemandem 17 oder 22 verschiedene Arzneien<br />
gegeben werden.<br />
n Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
gibt es dazu?<br />
Die beiden Systeme, <strong>die</strong> dahinterstehen, das<br />
sogenannte Cytochrom P450-System ist ein<br />
Enzymsystem in der Leber und das zweite,<br />
das uns erst seit wenigen Jahren bekannt ist<br />
und beforscht wird, sind <strong>die</strong> sogenannten<br />
ABC-Proteine, <strong>die</strong> den Membrantransport<br />
beeinflussen. <strong>Mit</strong> der Darmwand, der Leber,<br />
gibt es lauter Grenzflächen, <strong>die</strong> alle den Einflüssen<br />
von Arzneimitteln unterliegen.<br />
Je weniger Arzneimittel, desto geringer ist<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, Wechselwirkungen zu provozieren“,<br />
erklärt Univ.-Prof. Mag. pharm.<br />
Dr. phil. Eckhard Beubler, ehemaliger Vorstand<br />
des Instituts für Experimentelle und<br />
Klinische Pharmakologie an der Medizinischen<br />
Universität Graz. Foto: Eckhard Beubler<br />
n Gibt es Beispiele aus der Praxis?<br />
Ab einem Alter von 65 Jahren bekommen<br />
<strong>die</strong> meisten Patienten prophylaktisch Aspirin<br />
bzw. Thrombo-Ass verschrieben, und nehmen<br />
sie noch ein Antidepressivum dazu, interferiert<br />
das mit dem Thrombo-Ass. Und<br />
<strong>die</strong> häufgste Möglichkeit, an Arzneimittel zu<br />
sterben, ist <strong>die</strong> Blutung. Und genau das kann<br />
passieren, wenn ich ein Thrombo-Ass mit einem<br />
Antidepressivum neueren Datums kombiniere.<br />
Denn <strong>die</strong>se greifen genau dort an,<br />
wo das Aspirin angreift, und verdoppeln so<br />
ihre Wirkung. Eine harmlose Magenentzündung<br />
könnte dann zur Verblutung führen.<br />
Noch fataler wird es, sollte ein Schmerzmittel<br />
dazukommen, das <strong>die</strong> Magenschleimhaut<br />
zerstört und dann in Gegenwart der anderen<br />
Medikamente <strong>die</strong> Blutung nicht stoppt.<br />
n Prophylaxe-Behandlung fördert nicht<br />
nur das Geschäft der Pharmaindustrie,<br />
sondern auch den Medikamentenverbrauch…<br />
Die „Number needed to treat“ beschreibt,<br />
wie viele Patienten pro Jahr behandelt werden<br />
müssen, damit ein Patient einen Nutzen<br />
hat. Bei Thrombo-Ass ist <strong>die</strong>se Zahl 2.000,<br />
somit das Rechenbeispiel einfach. Das heißt,<br />
einer von 2000 Patienten hat einen Vorteil,<br />
aber einer von 50 hat eine Blutung.<br />
n Gibt es eine Patientengruppe, <strong>die</strong> davon<br />
besonders betroffen ist?<br />
Das sind eindeutig <strong>die</strong> älteren Menschen, <strong>die</strong><br />
in der Medizin mit 65 Jahren beginnen. Das<br />
wichtigste für <strong>die</strong>se Altersgruppen wäre <strong>die</strong><br />
Prophylaxe in Form von Bewegung gegen<br />
Probleme mit Herz-Kreislauf, Feststoffwechsel<br />
und Zucker. Das lässt sich allerdings<br />
nicht auf ein Rezept schreiben, das muss der<br />
Mensch selber machen. Und zwar nicht einmal<br />
jährlich, sondern regelmäßig.<br />
n Sind auch junge Menschen davon betroffen?<br />
Junge Menschen nehmen eindeutig weniger<br />
Medikamente, alleine schon aus dem Grund,<br />
da sie häufig vergessen, <strong>die</strong>se einzunehmen.<br />
Bei schweren chronischen Erkrankungen ist<br />
das anders, aber in der Regel nehmen Junge<br />
nicht einmal <strong>die</strong> gesamte Arzneimittelpackung<br />
aus.<br />
n Sollte man demnach gar keine Medikamente<br />
nehmen?<br />
Wer sie braucht, muss Arzneimittel nehmen.<br />
Ein Kettenraucher, der 140 Kilo wiegt und<br />
einen stressigen Beruf hat, wo <strong>die</strong> Gefäße<br />
bereits geschlossen sind, der benötigt wirklich<br />
Medikamente, um den Cholesterin-Spiegel<br />
zu senken. Aber ein gleichaltriger schlanker<br />
Mensch, der sich <strong>durch</strong> regelmäßige Bewegung<br />
fit hält, wird auch ohne Medikamente<br />
auskommen. Man darf das Geschäft<br />
mit der Gesundheit nicht vergessen. Wenn<br />
ich <strong>die</strong> Grenzwerte für Cholesterin um zehn<br />
Prozent herunterschraube, dann steigt <strong>die</strong><br />
Konsumentenzahl um 100 Prozent.<br />
n Man spricht immer „vom mündigen<br />
Patienten“ – was heißt das? Sind Nahrungsergänzungsmittel<br />
vonnöten?<br />
Nahrungsmittelergänzungen helfen den Drogeriemärkten<br />
sehr, den Konsumenten meist<br />
weniger. Wenn es eine Glaubensfrage ist, so<br />
soll jeder damit glücklich werden. Aber<br />
wehe, ein Patient müsste seine Arzneimittel<br />
selber zahlen. Doch für Nahrungsergänzungen<br />
werden Unsummen ausgegeben. Das ist<br />
<strong>die</strong> heile Welt, <strong>die</strong> ganzseitig beworben wird.<br />
Die Pharmakologie ist sehr pragmatisch. Von<br />
Vitaminen und Spurenelementen soll man<br />
nur zuführen, wenn ein Mangel besteht. Und<br />
in Österreich haben wir keinen Mangel. Und<br />
<strong>die</strong>, <strong>die</strong> wirklich einen Mangel haben, <strong>die</strong><br />
könnten sich auch <strong>die</strong> Nahrungsergänzungsmittel<br />
nicht leisten. Ü<br />
WIRTSCHAFTSNACHRICHTEN 6/2012 23