Mit Innovationen durch die Krise - Wirtschaftsnachrichten
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INTERVIEW<br />
„Die EU sind wir alle“<br />
Die Europäische Union (EU) <strong>durch</strong>lebt derzeit turbulente Zeiten, ist jedoch als Global Player – wie alle<br />
Wirtschaftsdaten zeigen – unumstritten. Das ursprüngliche Ziel der Union, <strong>durch</strong> einen gemeinsamen<br />
Wirtschaftsraum für dauerhaften Frieden in Europa zu sorgen, ist zweifelsohne geglückt, nun geht es<br />
darum, <strong>die</strong> aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen.<br />
EU-Kommissar Johannes Hahn sprach mit<br />
Chefredakteurin Marie-Theres Ehrendorff<br />
über <strong>die</strong> aktuellen Herausforderungen,<br />
vor denen <strong>die</strong> Europäische Union derzeit<br />
steht, sowie über <strong>die</strong> zukünftige Regionalpolitik.<br />
n Herr Kommissar, ist <strong>die</strong> EU noch zeitgemäß<br />
oder brauchen wir bald etwas<br />
Neues, um <strong>die</strong> derzeitige wirtschaftlichen<br />
Situation in den Griff zu bekommen?<br />
Ich kann mit vollster Überzeugung sagen,<br />
dass <strong>die</strong> Europäische Union zeitgemäß ist<br />
und es auch in Zukunft bleiben wird. Natürlich<br />
besteht kein Zweifel daran, dass wir derzeit<br />
eine schwierige wirtschaftliche Situation<br />
haben und in unseren Anstrengungen nicht<br />
nachlassen dürfen, um sie nachhaltig zu bewältigen.<br />
Aber <strong>die</strong> zentrale Frage ist doch:<br />
Was wäre <strong>die</strong> Alternative zum Projekt der<br />
Europäischen Integration? Gerade <strong>die</strong> Wirtschaftskrise<br />
hat eindrucksvoll gezeigt, wie<br />
wichtig es ist, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten<br />
und auf den Weg zu bringen. Und<br />
das haben wir seit dem Ausbruch der <strong>Krise</strong><br />
gemacht: <strong>durch</strong> eine Verstärkung der wirtschaftspolitischen<br />
Koordination, eine verbesserte<br />
Kontrolle der Finanzmärkte und<br />
nicht zuletzt <strong>durch</strong> ein Aktionsprogramm zur<br />
Belebung des Wachstums, in dem gerade <strong>die</strong><br />
Regionalpolitik eine zentrale Rolle spielt.<br />
n Inwieweit hat sich <strong>die</strong> Aufgabenstellung<br />
der Union seit ihrer Gründung<br />
verändert?<br />
Die Geschichte der Europäischen Union ist<br />
eine Geschichte der kontinuierlichen Entwicklung,<br />
geprägt von Veränderungen, Aufbrüchen,<br />
aber auch von <strong>Krise</strong>n. Vor allem<br />
aber spiegelt sie <strong>die</strong> großen politischen und<br />
gesellschaftlichen Fortschritte wider, <strong>die</strong> in<br />
Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs<br />
erzielt wurden. Am Anfang stand <strong>die</strong><br />
großartige Vision, <strong>durch</strong> eine wirtschaftliche<br />
und politische Kooperation historische Konflikte<br />
zu überwinden und Frieden und Wohlstand<br />
für alle EU-Bürger zu schaffen. Diese<br />
Vision sollte man sich gerade heute, wo <strong>die</strong><br />
WIRTSCHAFTSNACHRICHTEN 6/2012<br />
Europäische Union manchmal leichtfertig in<br />
Frage gestellt wird, vergegenwärtigen.<br />
Es ist wichtig, <strong>die</strong> Europäische Union nicht<br />
als abgeschlossenes Projekt zu sehen, sondern<br />
als Prozess, also „work in progress“.<br />
Seit ihrer Gründung gab es viele wichtige<br />
Etappen und Meilensteine: etwa der Vertrag<br />
von Maastricht, <strong>die</strong> Einführung der Wirtschafts-<br />
und Währungsunion, <strong>die</strong> Etablierung<br />
des gemeinsamen Binnenmarktes oder <strong>die</strong><br />
große Erweiterungsrunde 2004, welche <strong>die</strong><br />
Wiedervereinigung des europäischen Kontinents<br />
ermöglichte.<br />
Der Vertrag von Lissabon hat entscheidende<br />
Neuerungen gebracht wie zum Beispiel <strong>die</strong><br />
Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen,<br />
<strong>die</strong> Stärkung des Subsidiaritätsprinzips, <strong>die</strong><br />
Etablierung einer Struktur für eine effiziente<br />
gemeinsame EU- Außenpolitik sowie erweiterte<br />
Befugnisse für das europäische Parlament.<br />
<strong>Mit</strong> dem Vertrag konnte <strong>die</strong> Europäische<br />
Union für <strong>die</strong> Herausforderungen einer<br />
zunehmend globalisierten Welt fit gemacht<br />
werden. Die wesentlichen Errungenschaften<br />
des Vertrags sind vor allem eine größere Kohärenz<br />
der Entscheidungen nach außen sowie<br />
mehr Transparenz und Bürgernähe nach<br />
innen. So entscheidende Fortschritte der Vertrag<br />
von Lissabon jedoch auch gebracht hat,<br />
so glaube ich, dass er nicht <strong>die</strong> letzte Etappe<br />
der Entwicklung der Europäischen Integration<br />
ist. Gerade <strong>Krise</strong>n wie <strong>die</strong>jenige, <strong>die</strong><br />
wir zur Zeit <strong>durch</strong>stehen müssen, waren auch<br />
immer der Anlass, neue Wege zu finden und<br />
grundlegende Reformen auf den Weg zu<br />
bringen.<br />
n Wirtschaftlich sind <strong>die</strong> USA nicht zu<br />
toppen, wo sehen Sie <strong>die</strong> Stärken von<br />
Europa?<br />
Ohne <strong>die</strong> wirtschaftlichen Probleme, <strong>die</strong> wir<br />
gegenwärtig meistern müssen, schmälern zu<br />
wollen, ist es manchmal gut, der reinen Innensicht<br />
<strong>die</strong> globale Perspektive gegenüberzustellen:<br />
Nach wie vor ist <strong>die</strong> Europäische<br />
Union der weltweit größte Handelsblock.<br />
<strong>Mit</strong> nur sieben Prozent der Weltbevölkerung<br />
stellen wir 20 Prozent aller weltweiten Exporte.<br />
Im Vergleich dazu machen sie für <strong>die</strong><br />
USA 11,8 Prozent und für Japan gar nur 6,5<br />
Prozent aus. Eine erfolgreiche Exporttätigkeit<br />
ist der Garant für Arbeitsplätze, wie wir<br />
am Beispiel Österreichs sehr gut sehen können:<br />
In unserem Land sind 990.000 Personen,<br />
also rund 23 Prozent der Gesamtbeschäftigten,<br />
<strong>durch</strong> Export induziert. Das<br />
heißt, dass fast jeder vierte Arbeitsplatz in<br />
Österreich direkt oder indirekt vom Export<br />
abhängig ist.<br />
Die Stärken Europas im globalen Wettbewerb<br />
sehe ich vor allem in der politischen<br />
Stabilität, <strong>die</strong> ja auch ein wichtiger Faktor<br />
für Betriebsansiedelungen und Investitionstätigkeit<br />
ist. Weiters im hohen Grad der Wertschöpfung:<br />
Zweidrittel der Importe in <strong>die</strong><br />
EU sind Zwischenprodukte, <strong>die</strong> in Europa<br />
weiter veredelt und fertiggestellt werden,<br />
meistens wieder für den Export. Auch puncto<br />
Dienstleistungen und Qualifikation der Beschäftigten<br />
zählt <strong>die</strong> EU weltweit gesehen<br />
zu den „Top-Playern“.<br />
Aber natürlich bedarf es großer Anstrengungen,<br />
<strong>die</strong>se Position angesichts eines sich verschärfenden<br />
globalen Wettbewerbs zu halten.<br />
<strong>Mit</strong> ihrer Europa 2020-Strategie hat <strong>die</strong><br />
EU <strong>die</strong> richtigen Weichen gestellt. Bei <strong>die</strong>sem<br />
zukunftsgerichteten Konzept, geht es<br />
darum, grundlegende Reformen, <strong>die</strong> ein<br />
nachhaltiges und innovatives Wachstum der<br />
europäischen Wirtschaft ermöglichen, auf<br />
den Weg zu bringen. Zu den konkreten Zielen,<br />
zu denen sich <strong>die</strong> EU-<strong>Mit</strong>gliedstaaten<br />
verpflichtet haben und <strong>die</strong> bis 2020 umgesetzt<br />
werden sollen, zählen <strong>die</strong> Erhöhung der<br />
EU-weiten Forschungsausgaben (drei Prozent<br />
des BIP der EU), <strong>die</strong> Verwirklichung<br />
der Klimaziele (also Reduktion der Treibhausgasemissionen,<br />
Erhöhung des Anteils<br />
erneuerbarer Energien sowie Steigerung der<br />
Energieeffizienz um jeweils 20 Prozent) und<br />
nicht zuletzt <strong>die</strong> Erhöhung der Beschäftigungsquote<br />
(75 Prozent der Menschen im<br />
Alter zwischen 20 und 64 Jahren sollen in<br />
Arbeit stehen). Zur Erreichung <strong>die</strong>ser Ziele<br />
hat <strong>die</strong> Kommission einen konkreten Maßnahmen-<br />
und Zeitplan festgelegt, der auch<br />
eine regelmäßige Überprüfung der Fortschritte<br />
ermöglicht. Wichtig ist zu betonen,