Vom Maskenkult zur Theatermaske - Hochschulschriftenserver der ...
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Daidalos <strong>der</strong> Ariadne, als diese noch bei ihrem Vater auf Kreta lebte, einen ‚Tanzplatz’<br />
(griech. chorós) gebaut habe. Und da gerade <strong>der</strong> Tanz eines <strong>der</strong> wichtigsten Merkmale<br />
des Dionysos in <strong>der</strong> für uns überblickbaren historischen Zeit bildet, schließt Latacz,<br />
dass 1) eine Verbindung zwischen Dionysos und Ariadne bereits auf Kreta bestand;<br />
2) schon in <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong> die Ilias spielt (2. Jahrtausend v. Chr.), <strong>der</strong> Tanz, beson<strong>der</strong>s<br />
jedoch <strong>der</strong> Tanz von Frauen, mit diesem Gott in Verbindung gebracht wurde.<br />
Mit Hilfe einer weiteren Ilias-Stelle versucht Latacz S. 31, das Kultbild zu konkretisieren:<br />
6,119-236 treffen <strong>der</strong> Grieche Diomedes und <strong>der</strong> troianische Verbündete Glaukos<br />
im Kampf aufeinan<strong>der</strong>. Diomedes, <strong>der</strong> seinen Gegner nicht kennt, hält den mutigen<br />
Glaukos zunächst für einen Gott und verweigert ihm deshalb den Zweikampf. Als warnendes<br />
Beispiel führt Diomedes den Fall des thrakischen Königs Lykurg 59 vor Augen,<br />
dessen Vergehen er folgen<strong>der</strong>maßen zusammenfasst (6,132-134a):<br />
‚<strong>der</strong> einst die Ammen [= Nymphen] des rasenden Dionysos<br />
auf dem hochheiligen Nyseion [ein Berg, s. oben Anm. 17] verscheuchte; die aber<br />
allesamt<br />
die thýstla 60 zu Boden warfen’.<br />
Latacz zufolge gehen aus dieser Passage drei Dinge hervor (S. 31 f.): 1) das hohe<br />
Alter des Kultes: Da die Ilias in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 8. Jh. v. Chr. entstanden ist und<br />
bereits in dieser <strong>der</strong> Frevel des Lykurg als abschreckendes Beispiel für menschliche<br />
Hybris 61 gegenüber dem Göttlichen auftritt, muss es die Geschichte und damit auch den<br />
Kult bereits vor <strong>der</strong> Abfassung <strong>der</strong> Ilias gegeben haben; 2) die erneute Verbindung zwischen<br />
Dionysos und den Frauen, diesmal jedoch konkreter: Die Frauen tanzen hier<br />
nicht, son<strong>der</strong>n ‚rasen’, was mit dem griechischen Verb maínomai 62 ausgedrückt wird;<br />
die sprachliche Verwandtschaft zu unserem Fremdwort ‚Manie’ deutet darauf hin, dass<br />
sich die Frauen in einem Zustand befinden, <strong>der</strong> durch die Aufgabe <strong>der</strong> Ratio 63 gekenn-<br />
59<br />
Als Dionysos Thrakien unterwirft, stellt sich ihm <strong>der</strong> thrakische König Lykurg entgegen und nimmt<br />
dessen Gefolge gefangen. Dionysos selbst entkommt, indem er sich ins Meer stürzt und bei <strong>der</strong> Nereide<br />
Thetis Schutz findet. Die Göttin Rhea schlägt Lykurg <strong>zur</strong> Strafe mit Wahnsinn, <strong>der</strong> daraufhin, in <strong>der</strong> Meinung,<br />
er haue einen Rebstock, seinen Sohn mit einem Beil tötet. Nachdem er auch sich selbst Gliedmaßen<br />
abgeschnitten hat, kommt er wie<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Besinnung. Als nun Thrakien unfruchtbar wird, kehrt Dionysos<br />
aus dem Meer <strong>zur</strong>ück und verkündet den Bewohnern, dass ihr Land erst dann wie<strong>der</strong> Früchte tragen werde,<br />
wenn Lykurg mit dem Tode bestraft worden sei. Diese nehmen den Lykurg daraufhin gefangen, führen<br />
ihn auf den Berg Pangaion, fesseln ihn und lassen ihn nach dem Willen des Dionysos von Pferden<br />
vernichten (gemäß Apollodor, Bibliotheke 3,34 f.; variiert bei Homer, Ilias 6,130-140).<br />
60<br />
Hierbei handelt es sich wohl um Kultgeräte, vielleicht Fackeln o<strong>der</strong> Vorläufer <strong>der</strong> Thyrsosstäbe.<br />
61<br />
Griech. hýbris (‚frevelhafter Übermut, Anmaßung, Vermessenheit, Selbstüberschätzung, Größenwahnsinn,<br />
beson<strong>der</strong>s gegenüber dem Göttlichen’).<br />
62<br />
Grammatikalisch betrachtet bezieht sich das Partizip mainómenos (‚rasend’) zwar nur auf Dionysos<br />
(s. Übersetzung), doch sinngemäß ist es vor allem seinen weiblichen Begleiterinnen zuzuordnen (s. hierzu<br />
auch die oben in Anm. 41 genannten Stellen).<br />
63<br />
Lat. ratio (‚Vernunft, Verstand’).<br />
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