Vom Maskenkult zur Theatermaske - Hochschulschriftenserver der ...
Vom Maskenkult zur Theatermaske - Hochschulschriftenserver der ...
Vom Maskenkult zur Theatermaske - Hochschulschriftenserver der ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
sens« (mainás, maínomai, manía). 66 Die Frauen suchten darin wohl die beson<strong>der</strong>e religiöse Erfahrung<br />
des Einsseins mit dem Gott.“<br />
Ausführlicher äußert sich <strong>der</strong> schwedische Religionshistoriker Nilsson S. 570:<br />
„In Scharen, Thiasoi, geteilt streiften die Frauen, Thyrsen schwingend und Fackeln tragend, umher,<br />
sie drehten sich im wirbelnden Tanz, bis sie erschöpft zum Boden stürzten; in ihrer Verzückung wähnten<br />
sie, daß Ströme von Milch und Honig […] aus dem Erdboden hervorbrächen. In höchste Erregung<br />
versetzt ergriffen sie ein Tier, das in ihren Weg kam, zerrissen es in Stücke und verschlangen diese.<br />
Diese sogenannte Omophagie war <strong>der</strong> Höhepunkt <strong>der</strong> Orgien. […] es war eine religiöse Epidemie<br />
[…]. Es wird erzählt, wie die Frauen, nach anfänglichem Wi<strong>der</strong>streben o<strong>der</strong> unmittelbar von <strong>der</strong> bakchischen<br />
Raserei ergriffen, Haus und Familie verließen, in die Wildnis hinausstürmten und Tiere, ja<br />
sogar ihre eigenen Kin<strong>der</strong> zerrissen.“ 67<br />
Ein zweites Mittel bildete die Sexualität, die für den Dionysos-Kult nicht weniger<br />
charakteristisch war als <strong>der</strong> Tanz und die ihn begleitende Musik. Innerlich offenbarte<br />
sich diese im für den Dionysos-Kult typischen Drang zum Bruch aller Tabus, äußerlich<br />
im Phallos, über den Nilsson S. 590 f. schreibt:<br />
„Der Phallos ist <strong>der</strong> stete Begleiter des Dionysos. Er scheint kaum in einer einzigen dionysischen Prozession<br />
gefehlt zu haben, die Teilnehmer banden sich ihn an […]. Der Gott trägt ihn aber nie, dagegen<br />
sind seine Begleiter, die Silene und | Satyrn, ithyphallisch.“<br />
Neben den bisher genannten Tätigkeiten (Tanz, Musik, Sexualität) finden sich auch<br />
Mittel materieller Art. Hierzu gehört zum einen <strong>der</strong> Alkohol, den die Griechen in Form<br />
von Wein 68 zu sich nahmen – <strong>zur</strong> Erinnerung: Dionysos ist als Entdecker <strong>der</strong> wilden<br />
66<br />
Eigene Anm.: griech. mainás (‚rasend, wahnsinnig seiend’); maínomai (‚rasen, wahnsinnig sein’);<br />
manía (‚Raserei, Wahnsinn’).<br />
67<br />
Das von Nilsson beschriebene Verhalten <strong>der</strong> Dionysos-Anhängerinnen erinnert sehr stark an die<br />
Massenhysterie, die die Live-Auftritte diverser Boygroups bei ihrer weiblichen Fangemeinde auslösen:<br />
Heulend, kreischend und tanzend verfolgen die Teenies das Bühnengeschehen, erbeuten Handtücher und<br />
Kleidungsstücke, welche sich ihre Stars vom Leib gerissen haben, und werfen so lange mit Stofftieren,<br />
bis die Bühne aussieht wie ein wahrer ‚Friedhof <strong>der</strong> Kuscheltiere’. Rationalitätsverlust und Außersichsein<br />
sind somit keinesfalls auf den Dionysos-Kult beschränkte Phänomene.<br />
68<br />
Da man sich <strong>der</strong> berauschenden Wirkung des Weines bewusst war, galten in <strong>der</strong> Antike strenge Regeln<br />
im Umgang mit diesem Getränk. Bereits seit frühgriechischer Zeit wurde er nur mit Wasser verdünnt<br />
getrunken – im Verhältnis von 1 (= Wein) : 2 / 3 (= Wasser) –, wobei im Sommer kaltes, im Winter warmes<br />
Wasser bevorzugt wurde. Auf diese Weise versuchte man, zum einen einer ständigen Berauschung<br />
vorzubeugen (<strong>der</strong> Wein bildete in <strong>der</strong> antiken Mittelmeerwelt durch alle Schichten das Alltagsgetränk;<br />
Schätzungen zufolge konsumierten Männer im kaiserzeitlichen Rom im Schnitt 0,8-1 Liter pro Tag, Frauen<br />
die Hälfte), zum an<strong>der</strong>en aber auch sich von <strong>der</strong> barbarischen Welt abzusetzen, denn unzivilisierte<br />
Menschen tranken den Wein unverdünnt und verloren dadurch die Kontrolle über sich (ein frühes Beispiel<br />
für maßlosen Weingenuss ist <strong>der</strong> Kyklop Polyphem in <strong>der</strong> homerischen Odyssee 9,353-374). <strong>Vom</strong><br />
alltäglichen Weinkonsum abzugrenzen ist die Verwendung des Weines im Dionysos-Kult: In diesem<br />
diente er als Gabe des Gottes neben Tanz, Musik, Sexualität und Maskierung (s. unten S. 19) als Stimulanz,<br />
um den hier erwünschten Zustand <strong>der</strong> Berauschung zu erreichen. Man trank ihn daher barbarisch unverdünnt<br />
und noch dazu in großen Mengen. – Noch heute erinnert die neugriechische Bezeichnung für<br />
‚Wein’ (krasí ‚Mischung’) an die antike Sitte, Wein im alltäglichen Gebrauch mit Wasser zu mischen.<br />
Vgl. auch Gutsfeld, Andreas: Art. Wein. In: DNP 12,2, 2003, Sp. 434-436 (II. Klassische Antike C-F).<br />
18