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Staatskonsolidierung vs. Staatszerfall. Eine vergleichende ...

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Demgegenüber fällt die Bewertung der ethnisch-kulturellen Strukturfaktoren für Sierra Leone<br />

insgesamt negativer aus. Zwar galt Sierra Leone vor und während der britischen Kolonialzeit<br />

als bemerkenswertes Beispiel für die friedliche Koexistenz der insgesamt 18 ethnischen<br />

Gruppen, 35 das interethnische Kräfteverhältnis ist jedoch im Vergleich zu Tanzania<br />

unausgewogener und somit kritischer zu beurteilen. Die Grundlage für die ethnische<br />

Zusammensetzung ist bereits in der “Vorkontaktphase“ gelegt worden. Allerdings sind<br />

wichtige Bevölkerungsgruppen wie die Mende 36 in der frühen Kolonialphase eingewandert.<br />

Diese Immigration ist jedoch ein endogener Faktor, der nicht direkt auf die Intervention der<br />

Kolonialmacht zurückzuführen ist; auch wenn diese den Ausbreitungsprozess, die<br />

Konfliktmuster und ihre Lösung mitbestimmte. Das Entstehen der Kreolengruppe ist dagegen<br />

das Resultat der kolonialen Siedlungs- und Pazifisierungspolitik. 37 Die Kreolen sind<br />

Nachkommen befreiter Sklaven unterschiedlicher Herkunft (Nova Scotians, Maroons etc.),<br />

die seit der offiziellen Abschaffung des Sklavenhandels 1787 in Freetown angesiedelt<br />

wurden. Trotz ihres geringen Bevölkerungsanteils von nur 2-3 % besaßen sie – aufgrund<br />

ihrer anglisierten Kultur und Sprache (Krio) – weitreichende Privilegien gegenüber der<br />

indigenen Bevölkerung des Protektorats. 38<br />

„The educated Krios, sometimes described as ‘Black Settlers’ initially occupied a<br />

social and economic position analogous to that of the Americo-Liberians in<br />

neighboring Liberia or to the white minority in South Africa and Rhodesia.” 39<br />

Obgleich der Einfluss der Kreolen seit der Unabhängigkeit stark zurückgedrängt wurde, hat<br />

das in den Gründerjahren der Kolonie entstandene Spannungsverhältnis zwischen Kreolen<br />

und indigener Bevölkerung ungünstige Vorraussetzung für den Nationenbildungsprozess<br />

Sierra Leones geschaffen.<br />

„Herein lay, in part, the factors that would bedevil relations between the Krio and the<br />

other ethnic groups in the coming years, an unfortunate divide that would vitiate<br />

attempts at national cohesion in the crucial years that lay ahead.” 40<br />

35<br />

Vgl. Hirsch, John: Sierra Leone: Diamonds and the Struggle for Democracy, Boulder/Colorado 2000, S. 24.<br />

36<br />

Die Mende-Wanderungen und -Kriege lösten an der Küste und in den Gebieten, wo sie auf die ohnehin<br />

schon erheblich unter Druck befindlichen Temne trafen, beträchtliche Disruptionen aus, die das ganze 19.<br />

Jahrhundert mit mehr oder weniger großer Intensität andauerten. Dabei kamen „(...) neue Elemente der<br />

Kriegsführung zum tragen – Söldnertruppen unter afrikanischen Führern, ’Kriegsfürsten’, die traditionale,<br />

erbliche und sonstige Fürsten ablösten oder verdrängten, übertribale Allianzen bildeten und beinahe als<br />

Vorläufer der heutigen Militärherrscher angesehen werden könnten.“ Mühlenberg, Friedrich: Sierra Leone.<br />

Wirtschaftliche und soziale Strukturen und Entwicklung, Institut für Afrika-Kunde, Arbeiten aus dem Institut für<br />

Afrika-Kunde Nr. 15, Hamburg 1978, S. 23.<br />

37<br />

Vgl. Mühlenberg: Wirtschaftliche und soziale Strukturen, 1978, S. 27.<br />

38<br />

Vgl. Hirsch: Diamonds and the Struggle, 2000, S. 23 f.<br />

39<br />

Ebd., S. 24.<br />

40<br />

Conteh-Morgan, Earl/ Mac Dixon-Fyle: Sierra Leone at the End of the Twentieth Century. History, Politics,<br />

and Society, New York 1999, S. 28. Vgl. hierzu auch: Keen, David: Greedy Elites, Dwindling Resources,<br />

Alienated Youts. The Anatomy of Protacted Violence in Sierra Leone, in: Internationale Politik und<br />

Gesellschaft, Nr. 2/2003, S. 72.<br />

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