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Wohnen im Alter - GIT Verlag

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Die Architektin und freie<br />

Journalistin schreibt<br />

für diverse Medien <strong>im</strong><br />

Bereich Architektur und<br />

Gesundheit. Über ihr<br />

Feld der Öffentlichkeitsarbeit<br />

für Feddersen<br />

Architekten hinaus<br />

gründete sie nun mit<br />

Eckhard Feddersen das<br />

Beratungsunternehmen<br />

Cocon Concept zum<br />

„<strong>Wohnen</strong> <strong>im</strong> Wandel“.<br />

Insa Lüdtke (36) lebt und<br />

arbeitet in Berlin. Notizen aus dem richtigen Leben<br />

Der ganz normale Wohnsinn<br />

Von Insa Lüdtke<br />

Im Zweifel sind es ja <strong>im</strong>mer die anderen. Das<br />

war der erste Gedanke, der in mir aufblitzte,<br />

als ich – schon senkrecht <strong>im</strong> Bett – aus dem<br />

Schlaf aufschreckte. Hellwach und schlaftrunken<br />

zugleich wälzte ich mich aufgewühlt<br />

zwischen meinen Laken. Weit nach Mitternacht<br />

aus dem Tiefschlaf gerissen, hörte ich mal wieder<br />

eine nicht enden wollende Kompanie von<br />

angeheiterten Partygästen aus dem vierten<br />

Obergeschoss von Absatz zu Absatz durchs<br />

Treppenhaus springen – und das an einem<br />

gewöhnlichen Dienstagabend. Wäre Wochenende,<br />

okay, da sollte man als Nachbar auch<br />

mal ein Auge zudrücken. Apropos, damit war<br />

nicht zu rechnen, noch <strong>im</strong>mer polterte und<br />

schepperte die grölende Meute durch den<br />

Hausflur. „Wie rücksichtslos!“, echauffierte ich<br />

mich lauthals. Mangels eines Leidensgenossen<br />

in Reichweite, musste ich zum Glück keine<br />

Widerworte oder gar eine Beschwerde „wegen<br />

Ruhestörung“ befürchten.<br />

Wer nicht gerade ein frei stehendes Haus am<br />

Waldrand mit Grundstück bis zum Horizont<br />

bewohnt, muss sich be<strong>im</strong> <strong>Wohnen</strong> mit den lieben<br />

Nachbarn arrangieren. <strong>Wohnen</strong> kommt<br />

eben von Ge­wohnheiten. Und diese können<br />

sehr individuell bis gewöhnungsbedürftig sein.<br />

In meinem Fall fängt das mit dem schlaksigen<br />

Schlagzeug spielenden Youngster (nicht vor<br />

21.00 Uhr) von unten rechts an, geht über das<br />

kleine zartgliedrige türschmeißende Temperamentsbündel<br />

(ist sie Spanierin oder Italienerin?)<br />

aus dem dritten Geschoss bis zum Odeur<br />

der gruppendynamischen Küchenabfälle der<br />

Studenten­WG von gegenüber, das sich mittels<br />

der vollgestopften Mülltüte – schon einmal<br />

abends vor der Wohnungstür deponiert – durch<br />

alle Etagen verbreitet. Zwar geruchs­, dafür<br />

aber nicht geräuschlos und deshalb leider keinen<br />

Deut besser, verhält sich meine liebe Nachbarin<br />

von obendrüber, wenn sie regelmäßig<br />

sonntagsfrüh ihre Waschmaschine auf Hoch­<br />

touren laufen lässt, bis meine Dielenböden<br />

be<strong>im</strong> Schleudergang rhythmisch in Schwingung<br />

geraten. Weitere Beispiele mit Konfliktpotential<br />

wären schnell gefunden.<br />

Wer wohnt, meint ja, längst gefunden zu haben.<br />

Der Begriff des <strong>Wohnen</strong>s geht zurück auf<br />

die Wurzel des Verbs „gewinnen“ und „umherziehen“,<br />

„streifen“ und eben „nach etwas suchen“.<br />

Menschheitsgeschichtlich betrachtet,<br />

handelt es sich be<strong>im</strong> <strong>Wohnen</strong> allerdings um<br />

eine recht junge Erscheinung. Der Aufenthalt<br />

in vorvergangenen Zeiten in Höhlen, Hütten<br />

oder Zelten hat wenig zu tun mit dem, was wir<br />

heute unter „wohnen“ verstehen. Erst <strong>im</strong> Mittelalter<br />

etabliert sich die Bedeutung „sich aufhalten“,<br />

„bleiben“, „gewohnt sein“ mit dem Verb<br />

„wonen“, abgeleitet aus dem germanischen<br />

Wortstamm „wunian“ und meint so viel wie<br />

„Wonne“, „wohlfühlen“, „nach etwas trachten“,<br />

„gernhaben“, „zufrieden sein“. Es beinhaltet damit<br />

die Schutz gebende Funktion mit „umfriedet<br />

sein“. Gerade mit dem Frieden ist es be<strong>im</strong><br />

<strong>Wohnen</strong> nicht weit her. Nachbarschaftsstreitigkeiten<br />

beschäftigen deutsche Gerichte mit Abstand<br />

am häufigsten.<br />

<strong>Wohnen</strong> ist wahrlich eine Lebensaufgabe. Von<br />

Kindesbeinen bis ins hohe <strong>Alter</strong> – richten wir<br />

uns wohnend in unserem Leben ein. Müsste<br />

man deshalb nicht <strong>Wohnen</strong> lernen und als<br />

Schulfach einführen? Eher gilt die Parole<br />

„living by doing“. Wohl nicht ohne Grund unterscheidet<br />

die englische Sprache mit „to live“<br />

erst gar nicht zwischen wohnen und leben. Da<br />

war doch was: „Wohnst du noch, oder lebst du<br />

schon?“, fragt schließlich der schwedische<br />

Möbelriese.<br />

Erst <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>, wenn der Radius des Lebens auf<br />

die eigenen vier Wände zusammenschnurrt,<br />

rückt das <strong>Wohnen</strong> einem mehr und mehr ins<br />

Bewusstsein. Loriots „Pappa ante Portas“ führt<br />

Kolumne<br />

uns eindringlich vor, wie gute Nachbarschaft<br />

auch innerhalb einer Wohneinheit keine Selbstverständlichkeit<br />

sein muss und wie Gewohnheiten<br />

der unterschiedlichen Wohn­Parteinen<br />

kollidieren können: „Mein Gott, hast du mich<br />

erschreckt!“, ruft entgeistert Renate als ihr Gatte<br />

und Frührentner Heinrich Lohse plötzlich<br />

am späten Vormittag in der guten Stube steht<br />

und die großbürgerliche Hausidylle durcheinanderbringt.<br />

„Ich wohne hier ...!“ – „Aber doch<br />

nicht jetzt, um diese Zeit.“<br />

Nach gefühlten zweieinhalb Stunden ist endlich<br />

Ruhe <strong>im</strong> Treppenhaus. Der Ärger über die<br />

unfreiwillig durchwachte Nacht ist schon fast<br />

vergessen. Stattdessen frage ich mich schon <strong>im</strong><br />

Wegdämmern, was man mir – vom Zweiten<br />

rechts – wohl so alles nachsagt ... Etwas mulmig<br />

in der Bauchgegend fällt mir zum Glück<br />

die These der Schweizer Schriftstellerin Sibylle<br />

Berg ein: „Ist perfektes <strong>Wohnen</strong> nicht ein bisschen<br />

wie tot sein?“<br />

medAmbiente 2 · 2009 31

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