Volltext [pdf] - Hannah-Arendt-Institut Dresden
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der Sowjetbürger, daß sie in absentia in der UdSSR verurteilt worden<br />
seien, konnten den Ablauf der Repatriierungsaktion nicht stoppen. 101<br />
Während der Wunsch auf dauerhaft gute Beziehungen zur Sowjetunion<br />
dieses Handeln mitbestimmte, stand doch ein anderer Punkt, zumindest<br />
nach Aussage des damaligen Außenministers Anthony Eden, im Vordergrund,<br />
und zwar die Furcht, von der Roten Armee in Osteuropa befreite<br />
britische Soldaten könnten von der Sowjetregierung zurückgehalten und<br />
als Druckmittel verwendet werden. 102 Während in früheren Darstellungen<br />
dieses Argument als Begründung für Abschluß und Erfüllung<br />
des Abkommens akzeptiert worden war, 103 legt Tolstoy dar, warum die<br />
Furcht vor Repressalien gegen ehemalige britische Gefangene überflüssig<br />
und somit ein haltloses Argument war. Stalin sei es gerade um eine möglichst<br />
unauffällige Repatriierung gegangen. Nicht zufällig wurde von sowjetischer<br />
Seite vermieden, die Übereinkunft hinsichtlich Zwangsanwendung<br />
gegen Heimkehr-Unwillige schriftlich zu fixieren. Die sowjetische<br />
Seite setzte alles daran, daß die westliche Öffentlichkeit nicht von dieser<br />
propagandistisch verwertbaren Abmachung erfuhr. 104 Abschließend<br />
bemerkt Tolstoy, daß eine festere Haltung der britischen Seite bei den<br />
Verhandlungen dazu geführt hätte, daß ein solches Abkommen nie entstanden<br />
wäre. 105<br />
Tolstoy beschäftigt sich auch mit dem Schicksal der ehemaligen Gefangenen<br />
nach der Repatriierung in der Sowjetunion. Insgesamt wurden<br />
hierbei, er beruft sich auf die Angaben eines ehemaligen NKVD-Offiziers,<br />
bis 1947 mehr als 5,5 Millionen Menschen repatriiert:<br />
• ungefähr 20% wurde zum Tode oder zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt,<br />
• 15-20 % erhielten Haftstrafen von 5-10 Jahren,<br />
• 10 % wurden für mindestens 6 Jahre nach Sibirien deportiert,<br />
• 15 % wurden als Zwangsarbeiter in verwüstete Gegenden, z. B. den<br />
Donbas, gesandt,<br />
• 15-20 % erhielten die Erlaubnis heimzukehren und<br />
101 Ebd. S. 555.<br />
102 Vgl. ebd. S. 81-82.<br />
103 So heißt es noch bei Bethell, dessen Buch drei Jahre vor Tolstoys Werk erschien:<br />
»Zur Unterzeichnung des Vertrages hatten wichtige praktische Gründe<br />
geführt: die Notwendigkeit des Schutzes für britische und amerikanische Soldaten,<br />
die als Kriegsgefangene in sowjetischer Hand waren.« Bethell S. 294.<br />
104 Siehe hierzu Tolstoy S. 591-595.<br />
105 Ebd. S. 596.<br />
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