Heft 2, Jahrgang 141 - Canisianum
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BEITRÄGE<br />
Studenten des dritten Jahres hielt, hatten die<br />
beiden ersten Jahrgänge einen Kurs über die<br />
Religion der Sikhs. Innerhalb dieser Vorlesung<br />
war ein Besuch des Goldenen Tempels der<br />
Sikhs in Amritsar (Punjab) geplant. Gemeinsam<br />
mit den Studenten besuchten Lothar und<br />
ich den Goldenen Tempel.<br />
Nach Delhi zurückgekehrt, erzählte mir Lothar,<br />
dass er eine tiefe Veränderung durchgemacht<br />
hätte. Lothar meinte, er wäre als Tourist zum<br />
Goldenen Tempel gefahren. Dann beobachtete<br />
er jedoch, dass die Brüder und Schwestern<br />
von Vidyajyoti sich nicht wie Touristen<br />
verhielten, sondern als befänden sie sich in<br />
einer auch für sie heiligen Stätte. Jetzt konnte<br />
Lothar verstehen, was er früher bei Sebastian<br />
Kappen, einem indischen Mitbruder, gelesen<br />
hatte: „Wenn ich die Radioaufzeichnung der<br />
Gesänge eines Hindutempels höre, wird mein<br />
Herz davon berührt.“ Vor seiner Erfahrung in<br />
Amritsar hatte sich Lothar die Frage gestellt:<br />
„Wie kann ein Christ von heidnischer Musik<br />
religiös beeindruckt werden?“<br />
Sein Erlebnis im Goldenen Tempel verhalf ihm<br />
zu einer größeren Wertschätzung anderer<br />
religiöser Traditionen und deren kulturbedingten<br />
Ausdrucksformen für ihre religiösen<br />
Erfahrungen. Lothar war ein „Kind“ seiner Zeit<br />
und Erziehung. Aber er war ein mutiger Mann<br />
– er war bereit sich zu öffnen, um sich von<br />
Neuem herausfordern zu lassen und kreative<br />
Vorschläge und Antworten zu suchen! Die<br />
Ökumenische Theologie mag jener für ihn<br />
passende Ort gewesen sein, an dem er – im<br />
Ringen des „Christlichen“ Europa mit der<br />
Bewältigung seiner schmerzvollen Geschichte<br />
religiöser Konflikte – seine Spuren hinterließ.<br />
Lothar genoss das Leben. Er konnte herzhaft<br />
lachen! Sein Foto in der Krypta der Jesuiten-<br />
kirche ist charakteristisch für ihn: der fröhliche<br />
Lothar! Das Leben zu genießen bedeutet<br />
nicht, es einfach zu nehmen. Er war ein ausdauernder,<br />
hart arbeitender Mann, von früh<br />
morgens bis spät abends. Lothar war ein tief<br />
religiöser und zutiefst menschlicher Mann! Er<br />
konnte mit den Mitmenschen lachen und<br />
ebenso ihren Schmerz mitfühlen. Alle diese<br />
menschlichen Qualitäten – ich bin sicher,<br />
Lothar teilte die Meinung des Kirchenvaters<br />
Irenäus „Göttlich sein heißt, vollkommen menschlich<br />
zu sein“ – versuchte er den Studenten<br />
ohne große Worte zu vermitteln. Er war jederzeit<br />
verfügbar für die Anliegen der Studenten<br />
und konnte gleichzeitig mehr Arbeit<br />
von ihnen fordern. Er begleitete aufmerksam<br />
ihr Vorankommen beim Studium. Lothar<br />
schenkte Anerkennung und Verständnis.<br />
Trotzdem scheute er sich nicht, die Studenten<br />
anzustacheln und zu besseren Leistungen<br />
herauszufordern!<br />
Ich habe sehr viel von Lothar gelernt: vor<br />
allem in der Begleitung von Studenten, besonders<br />
beim Schreiben von wissenschaftlichen<br />
Arbeiten wie Dissertationen. Ich lernte es<br />
während der Seminare und privaten Diskussionen,<br />
die ich mit ihm hatte.<br />
Ich freute mich darauf, wieder einige Zeit mit<br />
ihm zu verbringen und seine Begleitung<br />
während des Sabbatjahres zu genießen.<br />
Leider sollte es nicht sein! Ich hätte nie daran<br />
gedacht, dass ich stattdessen diese Seiten in<br />
Erinnerung an ihn schreiben würde.<br />
Einer meiner ersten Wege hier in Innsbruck<br />
führte mich zu ihm in die Krypta. Er bleibt in<br />
unseren Erinnerungen lebendig! Und ich<br />
glaube, dass ihn unser Herr Jesus Christus<br />
mit dem ewigen Leben belohnt hat – dem<br />
Leben in Fülle!<br />
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