Kurzgeschichten - SpecFlash
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fest beginnt. Seit den Kelten haben<br />
sie uns behütet, sind über das Land<br />
und unseren Fluss geflogen. Wir<br />
waren eins, die Menschen und die<br />
Drachen. Doch dann habt Ihr sie<br />
als Dämonen verbannt in die Nebel<br />
gezwungen. Aber sie waren stark<br />
und schwach halten die Fäden sie<br />
im Diesseits. Du willst wissen, was<br />
in der letzten Nacht geschah, als<br />
die Nebel dicht flossen? Komm<br />
mit, mein Kind. Ich zeige es dir.«<br />
Murmelnd schlich die Weberin<br />
durch Schwanden trüben Dunstes,<br />
der sich wellenförmig um sie<br />
bauschte. Wachsam folgte Leyla<br />
der seltsamen Frau, durch<br />
Londons Eastend und verlor sie<br />
doch mehrmals beinahe aus den<br />
Augen. Doch dann lichtete sich die<br />
dichte Kolonne züngelnder Schlieren,<br />
entschwand und ein schlanker<br />
Schatten enthüllte sich vor einer<br />
gähnenden Gasse. »Das kann doch<br />
nicht wahr sein.«, entfuhr es<br />
Ekanta und vor Schreck musste<br />
sich die junge Inderin an den bröselnden<br />
Putz der Mauer krallen.<br />
»Sieh an, sieh an. Wieder einmal<br />
pünktlich zum Tag der Gaben, oder<br />
sollte ich sagen, zur Widmung der<br />
Alten?«, schnarrte die Weberin<br />
belustigt und trottete zum schmalen<br />
Einlass der Gasse. Wie zerplatzende<br />
Glühbirnen barste der<br />
Schleier vergessener Bilder in<br />
Ekanta´s Gedächtnis und regnete<br />
scharfkantige Scherben in ihr<br />
Innerstes. »Sie… Sie haben das<br />
getan!« Verständnislos blickte<br />
Leyla zwischen den beiden Frauen<br />
hin und her. Aber jenseits dieser<br />
merkwürdigen Begegnung zerrte<br />
etwas an der Ermittlerin, pochte<br />
bettelnd um Aufmerksam. Die<br />
Gasse. Der Nebel. Ohne auf die<br />
junge Frau zu reagieren, kratzten<br />
die dünnen Finger der alten<br />
Weberin an dem Siegel einer<br />
kokonartigen Flasche, die kaum<br />
größer als ihre magere Hand war.<br />
»Drachenatem aus den wolkigen<br />
Bergen. Drachenatem, derer, die<br />
noch Fleisch sind und in den<br />
Höhen wachen. Dies ist die Gasse<br />
von gestern, kleine Polizistin und<br />
die, an der ich dein Namensschicksal<br />
erfüllen wollte, Ekanta. Heute<br />
ist Lughnasadh, Tag, das erste Korn<br />
zu backen und warme Leiber zu<br />
reichen. Atem zu Atem, Fleisch zu<br />
Fleisch und Leben zu Leben.« Wie<br />
wächserne Masse schwabbte<br />
weißer Schleier aus dem Fläschchen,<br />
schneeklar und silbern<br />
durchzogen von schillernden<br />
Adern. Der Nebel bauschte,<br />
begann sich brodelnd zu winden<br />
und wie der Dunstpilz einer Explosion<br />
aufzuwirbeln. Mächtig erhob<br />
sich die trübe Wolke, füllte die<br />
Gasse aus und brodelte, als hielte<br />
sie unzählige Seelen in ihrem<br />
unwirklichen Leib gefangen. Ein<br />
Wort entschwand den Lippen der<br />
Weberin, das Fläschchen leerte<br />
sich in die Dichte des Nebels. »Das<br />
Alte zu neuem Leben gewoben.«<br />
Tiefes Grollen wehte durch die<br />
leeren Strassen. Wie ein Neugeborenes<br />
gierig die Muttermilch<br />
aufsog, inhalierte das Nebelgebilde<br />
den befreiten Drachenatem.<br />
Formen schälten sich aus der<br />
kurzgeschichte<br />
Dunkle Drachen<br />
von Torsten Exter<br />
Gasse, zuckten, zerfielen und<br />
flossen neu ineinander. Ein gigantischer<br />
Kopf schien sich zu manifestieren,<br />
Nebelbänder bildeten<br />
mal geschwungene Hörner, mal<br />
pendelten sie tastend, wie ein<br />
Knäuel bizarrer Zungen durch die<br />
kalte Nachtluft. Von dem Anblick<br />
der entstehenden und sterbenden<br />
Auswüchse wie gebannt, starrten<br />
Leyla und Enkata regungslos auf<br />
das finstere Schauspiel vor ihnen<br />
und registrierten die Bewegung<br />
der Weberin nicht. Diese hat sich<br />
hinter die jungen Frauen geschlichen,<br />
als es hervorbrach. Ein<br />
Drache, bleich und dunkel wie der<br />
Tod. Innerhalb eines Atemzuges<br />
verdichtete sich die Nebelbank zu<br />
einer mächtigen Echse, deren<br />
Schwingen kratzend an den Häuserwänden<br />
schabten. Auf vier<br />
gebeugten Beinen, deren Krallenpranken<br />
knirschend in den Asphalt<br />
drückten, baute sich das Bollwerk,<br />
von einem Geschöpf jenseits rationaler<br />
Vorstellungskraft, auf. Von<br />
feinem Niesel umweht schwankte<br />
der meterlange Körper, bevor das<br />
Drachenmaul seinen Schlund aufbrach<br />
und gierig den beiden<br />
Frauen entgegenstürzte. Schwarz<br />
glühende Augen, in einem kantigen<br />
Schädel, flogen Richtung<br />
Boden, zogen, Sternenschuppen<br />
gleich, einen Nebelschleier hinter<br />
sich her und starrten hasserfüllt<br />
auf die Beute. Leyla reagierte.<br />
Reflexartig trat sie der Inderin in<br />
die Seite und nutze diese um sich<br />
selber in die entgegen gesetzte<br />
Richtung abzustoßen. Rauschend