Kurzgeschichten - SpecFlash
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»Was tust du?!«, kreischte Le<br />
Merk und versuchte so laut zu<br />
schreien, dass seine Stimme nicht<br />
zittern konnte.<br />
Der Dämon beugte sich zu ihm<br />
herunter und blies ihm einen Atem<br />
voller Asche und Hitze ins Gesicht.<br />
Le Merk wusste, dass der Dämon<br />
auch jede andere Gestalt annehmen<br />
könnte, aber sich an der<br />
Furcht einflößenden Erscheinung<br />
dieser erfreute.<br />
»Unser Vertrag ist geplatzt«,<br />
verkündete der Dämon und aus<br />
seinem Maul tropfte schwarzer<br />
Schleim. »Du hast mir die Seele<br />
eines Engels versprochen. Du hast<br />
gesagt er würde von sich aus<br />
kommen. Also hast du ihn<br />
gemeint, oder etwa nicht?«<br />
Es fiel Le Merk schwer der ausgestreckten<br />
Kralle des Dämons zu<br />
folgen und den toten Körper Chi-<br />
Vens anzusehen. Er hatte einst für<br />
ihn gekämpft. Es gab nichts<br />
Falsches an Chi-Ven, aber die<br />
Ergründung der alten Magie war<br />
zu wichtig und eine einzelne Seele<br />
– noch dazu nicht die eigene – der<br />
beste denkbare Preis gewesen, um<br />
einen Dämon zu rufen, der die alte<br />
Magie zu neuer Blüte zu führen<br />
vermochte. Ein Dämon seiner<br />
Macht hätte eigentlich ein Vielfaches<br />
an Seelen verlangt.<br />
Abgelenkt von dem Anblick Chi-<br />
Vens hatte er dem Dämon noch<br />
immer keine Antwort gegeben,<br />
doch der deutete das bereits als<br />
Zustimmung.<br />
»Dieses erbärmliche Ding ist ein<br />
Halbengel. Seine Seele ist nicht<br />
einmal halb so viel wert wie die<br />
eines Engels.«<br />
Le Merk musste sich nicht länger<br />
auf eine feste Stimme konzentrieren.<br />
Er zitterte bereits am ganzen<br />
Körper, ahnend, dass er aus<br />
diesem Fehler nicht heil herauskommen<br />
würde. Hatte er denn<br />
wirklich ‚Engel’ gesagt? Konnte der<br />
Dämon ihn dafür verzehren, dass<br />
er es mit einem Wort nicht so<br />
genau genommen hatte?<br />
»Du hast Glück, Mensch«,<br />
dröhnte jetzt der Dämon. »Ich bin<br />
heute gnädig. Gib mir einen<br />
zweiten Halben und ich werde sie<br />
als Ganzen betrachten, auch wenn<br />
der Wert ihrer Seelen jämmerlich<br />
ist.«<br />
Es gab keinen zweiten. Chi-Ven<br />
war der einzige Halbengel, von<br />
dem man jemals gehört hatte. Er<br />
konnte das dem Dämon nicht<br />
sagen, doch dieser spürte die<br />
Antwort ohnehin, ohne dass sie<br />
ausgesprochen werden musste.<br />
»In diesem Fall«, erklärte der<br />
Dämon nun und ließ sich Zeit mit<br />
jedem seiner Worte, »werde ich<br />
mir holen, was ich bekommen<br />
kann. Und du weißt, dass da<br />
kurzgeschichte<br />
Der Preis der Macht<br />
von Simon Anhut<br />
draußen nirgends genug Seelen<br />
sind, um die eines Engels oder<br />
auch nur eines halben Engels aufzuwiegen,<br />
wenn sie alle ganze<br />
Menschen sind.«<br />
Mit diesen Worten entschwand<br />
der Dämon wieder in die Unsichtbarkeit.<br />
Einige schreckliche Augenblicke<br />
fragte sich Le Merk zwischen Hoffnung<br />
und Todesangst, was nun aus<br />
ihm werden würde. Und wieder<br />
spürte der Dämon seine unausgesprochenen<br />
Gedanken und antwortete<br />
ihm, ein letztes Mal.<br />
»Dich werde ich vernichten,<br />
sobald mir danach der Sinn steht.<br />
Vielleicht in wenigen Augenblicken.<br />
Vielleicht in ein paar Tagen.<br />
Vielleicht in einigen Wochen. Wir<br />
werden sehen.« Stille erfüllte die<br />
Ruine. Dann zuckte Le Merk<br />
zusammen, als der Dämon noch<br />
etwas hinzufügte. »Das heißt: Ich<br />
werde sehen. Du wirst einfach<br />
nicht mehr sein.«<br />
Diese Geschichte ist den Opfern<br />
der japanischen Katastrophe<br />
gewidmet, den bisherigen wie den<br />
zukünftigen.