parTU 14 - Liberale Mitte - Technische Universität Berlin
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großartige Prunkvase aus Sèvres-Porzellan wurde von „Napoleons<br />
Auge“, Dominique-Vivant Denon, in Auftrag gegeben.<br />
Sie veranschaulicht die Permanenz des Kunstraubmotivs deutlich.<br />
Diese Vase erinnert an die Ankunft der 1796 von Frankreich<br />
in Rom eroberten Kunstgegenstände: Die Laokoongruppe,<br />
der Apoll von Belvedere, die Venus Medici, diese Ikonen der<br />
Antikenrezeption um 1800, ziehen auf offenen Wagen an bürgerlich<br />
gekleideten Zuschauern vorbei. Zwischen den Wagen<br />
tragen verschiedene Männergruppen weitere Beutestücke auf<br />
Tragbahren – die auffälligsten unter ihnen auf der Schulter. Die<br />
bildliche Anlehnung an das Beuterelief des Titusbogens ist unverkennbar.<br />
Bis auf ein wesentliches Detail: Während der antike<br />
Beutezug durch einen von Pferden bekrönten Triumphbogen<br />
geführt wurde, durchschreiten die modernen Kunstentführer ein<br />
mit folgenden Inschriften gekennzeichnetes Tor. Links: „Musée<br />
Napoléon“. Rechts: „Musée“. Deutlicher lässt sich der Sieg der<br />
musealen Institution nicht schildern. Die translatio imperii ist<br />
zugunsten der allgemeinen bürgerlichen Öffentlichkeit erfolgt.<br />
Es ist der Sieg des Museums.<br />
Was hier auf visueller und symbolischer Ebene in das kollektive<br />
Bewusstsein eindrang, waren das Motiv des Triumphes und<br />
die damit zusammenhängende Demütigung des Beraubten. Ob<br />
diese Beraubten (in der Antike) in ihrer religiösen Identität oder<br />
(um 1800) in ihrer Identität als Menschen der Aufklärung, die in<br />
der Kunst ein <strong>Mitte</strong>l der Erziehung und des Fortschrittes sahen,<br />
verletzt waren, spielt hier keine wesentliche Rolle. Kunst war seit<br />
dem Ende des 18. Jahrhunderts ohnehin Gegenstand einer säkularisierten<br />
Religion geworden: die Kunstreligion, deren Tempel<br />
die Museen waren. In Sachen Kunstraub spielt seit der Antike,<br />
mehr als der Kultwert oder der Bildungswert der beraubten<br />
Kunstwerke, ihr Ewigkeitswert, ihre generationsübergreifende<br />
Lebensdauer die identitätsstiftende Rolle. Das erklärt die Langwierigkeit<br />
der Emotionen, die mit dem Verlust ausgelöst wurden.<br />
Mit dem Raub von Kunstwerken und Bibliotheken wird<br />
nämlich nicht nur das Recht verletzt, sondern auch eine emotionale<br />
Wunde geschlagen, die sich schwer oder gar nicht schließen<br />
lässt. Das formulierten schon Beobachter des napoleoni-<br />
im sommer 1945 feiert man in Florenz die rückkehr<br />
ausgelagerter Kunstwerke. Die deutsche Wehrmacht<br />
hatte sie nach südtirol abtransportieren lassen<br />
schen Kunstraubs hundert Jahre vor der Haager Konvention in<br />
zahlreichen Aufsätzen und Journalen: Wenn der Sieger einem<br />
„überwundenen Volke Werke der Litteratur und Kunst“ entreißt,<br />
schrieb zum Beispiel ein Philosoph namens Heydenreich<br />
im Jahre 1798, kündigt er dem Besiegten „die Verewigung seines<br />
Hasses und seiner Rache an; denn so lange die besiegte Nation<br />
Foto: privat<br />
dauert, wird auch ihre Kränkung über jenen Verlust dauern, der<br />
alle Jahrhunderte hindurch nicht ersetzt werden kann“.<br />
Es ist vor diesem Hintergrund bezeichnend, dass man schon<br />
seit dem vierten Jahrhundert vor Christus von spektakulären<br />
Restitutionen von Kunstgegenständen hört, die von ihrem angestammten<br />
Platz entführt worden waren und die nach vielen<br />
Jahrzehnten, ja manchmal Jahrhunderten, restituiert oder wieder<br />
genommen wurden. Diese Art politisch motivierter Restitutionen<br />
oder Rücknahme von geraubten Kulturgegenständen<br />
gehört zu den stärksten Konstanten in der Geschichte des<br />
Kunstraubes, von der Antike über die napoleonische Zeit bis<br />
hin zum 20. Jahrhundert. Davon zeugen zahlreiche, nicht zuletzt<br />
bildliche Quellen. So zum Beispiel die Darstellung der Rückkehr<br />
der vier Pferde von San Marco aus Venedig, die Frankreich<br />
1798 nach Paris verbracht hatte und die 1815 von Österreich<br />
an Venedig zurückgegeben wurden. Oder auch die Fotografie<br />
aus dem Sommer 1945, die die feierliche Rückkehr von ausgelagerten<br />
Kunstwerken nach Florenz dokumentiert. Ein Konvoi<br />
amerikanischer Lastkraftwagen trifft in der Stadt ein. Eine italienische<br />
und eine amerikanische Flagge schmücken das erste<br />
Fahrzeug, in dem sich Kunstwerke befinden, die einige Monate<br />
zuvor vom sogenannten „Kunstschutz“ der deutschen Wehrmacht<br />
– mit welcher Absicht auch immer – von der Toskana<br />
nach Südtirol abtransportiert worden waren, darüber hinaus<br />
eine deutlich sichtbare Aufschrift: „Le opere d’arte fiorentine<br />
tornano dall’Alto Adige alla loro sede“ [Die Florentiner Kunstwerke<br />
kehren von Alto Adige zurück in ihre Heimat]. Ein abgelehnter<br />
Beschriftungsvorschlag soll gelautet haben: „Die Florentiner<br />
Schätze, die durch die Deutschen gestohlen wurden,<br />
werden durch die Amerikaner zurückgestellt.“ Hier, wie auch<br />
im Falle der Pferde von Venedig, wird in aller Deutlichkeit die<br />
Rolle des Erretters mit dem Motiv der Restitution in Verbindung<br />
gebracht – gleichzeitig aber auch die Grauzone zwischen<br />
Raub und Rettung, verantwortungsvoller Bergung und feindlicher<br />
Aneignung von Kunstschätzen in Kriegszeiten beleuchtet.<br />
Veränderte<br />
Kunstgeografie<br />
und das Projekt<br />
der europäischen<br />
Zivilisation<br />
Als Napoleon 1815 aus Europa<br />
verbannt wurde, gab<br />
die Frage nach der Rücknahme<br />
der von ihm in Paris angehäuften<br />
Kunstwerke Anlass zu<br />
einer hitzigen Diskussion in<br />
Deutschland. Es ging um die<br />
angebrachte Form der Neu-<br />
konfiguration der kulturellen Geografie Europas nach dem napoleonischen<br />
Experiment der maximalen Zentralisation des europäischen<br />
Kulturerbes in Paris. Im Auftrag von Preußens Regierung<br />
wurde 18<strong>14</strong> kein Geringerer als Johann Wolfgang von<br />
Goethe gebeten, sich über die Neuverteilung der an Preußen<br />
restituierten Kunstwerke zu äußern. Warum Goethe? Für Goethe<br />
und die aufgeklärten Kreise des 18. Jahrhunderts war die Kunst<br />
ein Allgemeingut der Menschheit. Dieses kosmopolitische Ideal<br />
wurde um 1800 von der Aneignungspraxis der Franzosen in Frage<br />
gestellt. Um die Beschlagnahmungen im Ausland zu rechtfertigen,<br />
hatten die Franzosen die Kunst ja nicht mehr als ein Eigentum<br />
der Menschheit, sondern als ein Produkt der Freiheit dargestellt.<br />
Und damit theoretisch das „befreite“ Frankreich zum<br />
erbberechtigten Land der gesamten abendländischen Kultur gemacht.<br />
Also (aus deutscher Sicht) zum Generalpächter der Zivilisation.<br />
Da kam eine absolute Antinomie zutage zwischen Kosmopolitismus<br />
und Nationalismus. Der Barbar war in den Augen<br />
der Deutschen derjenige, der das kosmopolitische Kunstdenken<br />
<strong>parTU</strong> · Das Alumni-Magazin · Nr. <strong>14</strong> · 2009 19<br />
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