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nur nicht stehen bleiben, nicht rückwärts rutschen, es gäbe kein<br />
halten mehr. Die Füsse schleifen über die löchrige piste, ständig in Bereitschaft,<br />
dem verzweifelt jaulenden motor der klapprigen Honda Unterstützung<br />
zu leisten. nie zuvor habe ich eine Strasse oder piste mit einer<br />
derartigen Steigung zu Gesicht bekommen, geschweige denn, selbst befahren.<br />
ihre erbauer hatten keine Wahl, links und rechts der Direttissima<br />
hat der Vietnamkrieg die dichtesten minenfelder indochinas hinterlassen<br />
und dahinter ist auch noch «Feindesland». inzwischen umgeben uns tiefhängende<br />
Regenwolken, sie verhindern gnädig den Blick nach unten und<br />
verdrängen den Gedanken an die spätere talfahrt. nach 40 minuten ist<br />
das plateau zu Füssen des tempelbergs in etwa 700 meter Höhe erreicht.<br />
ein trampelpfad führt zur ersten treppe, dem sogenannten<br />
Gopuram, des auf drei ebenen gelegenen<br />
eigentlichen tempelbezirks, vorbei an militärischen<br />
Unterständen, provisorischen nachtlagern<br />
in bambusgepolsterten abflussrohren, hier eine<br />
einsame Granatwerferstellung, dort, hinter Sandsäcken<br />
kaum verborgen, ein maschinengewehr.<br />
Langsam tauchen aus dem nebel die konturen<br />
der dazugehörigen Soldaten auf, gelang-<br />
weilt auf die Kalaschnikow gestützt der eine,<br />
das aK47 demonstrativ im anschlag, der andere.<br />
eine Gruppe bereitet unter einer Zeltplane das<br />
mittagessen, eine weitere schlägt die Zeit beim<br />
Kartenspielen tot. Zu meinem erstaunen hindert mich keiner von ihnen<br />
am Weitergehen, niemand verlangt das permit, keine unangenehmen<br />
Fragen wegen der Kameras, kein «Wegezoll». Was war nicht alles in thai-<br />
ländischen Zeitungen zu lesen und im deutschen Fernsehen zu hören<br />
gewesen, über die Unmöglichkeit, sich als ausländer den tempeln zu nähern,<br />
überhaupt den Berg von kambodschanischer Seite aus erreichen zu<br />
können, über auch während der trockenzeit unbefahrbare Strassen und<br />
so weiter und so weiter. Die 240 Kilometer von Siem Reap/angkor bis ins<br />
Dongrek Gebirge waren im gemieteten pkw mit einem umsichtigen –<br />
man könnte auch sagen, sehr ängstlichem Fahrer – ohne Zwischenfälle<br />
in fünf Stunden geschafft.<br />
mühsam gestaltet sich der aufstieg über die ersten 100 erodierten<br />
Steinstufen in Richtung erster ebene. aus dem noch immer dichten nebel<br />
ragen bizarr Relikte riesiger in Stein gehauener nagas hervor, ein paar<br />
weitere Stufen und das Hauptheiligtum wird oben auf der dritten ebene<br />
schemenhaft sichtbar. Und überall militär, die tarnuniformen verleihen<br />
den Soldaten hier im graugrünen Dschungel eine perfekte mimikri. auffällig<br />
ist allein die aufgenähte Flagge Kambodschas mit dem zentralen<br />
Heiligtum von angkor Wat.<br />
allmählich lichtet sich der nebel ein wenig, es ist kühl hier oben, jedoch<br />
nähert sich die luftfeuchtigkeit den 100 prozent. Stufe für Stufe kommt<br />
die zweite ebene näher, mit erstaunlich gut erhaltenen, weitläufigen Gebäuden,<br />
an deren Südseite sich aber kein einziges Fenster befindet, und<br />
das bei einer – wie sich später zeigen wird – atemberaubenden aussicht<br />
auf das weite kambodschanische Hinterland. offensichtlich sollten pilger,<br />
die hierher zur meditation kamen, nicht abgelenkt<br />
werden. Freistehende Skulpturen sucht man im<br />
ganzen tempel vergebens, jedoch finden sich immer<br />
wieder schön herausgearbeitete, Dämonen<br />
darstellende Reliefs über den türstürzen, die während<br />
einer späteren epoche dort entstanden. andere<br />
abbildungen zeigen Szenen aus dem mahabharata<br />
und widmen sich Vishnu oder Krishna, einer<br />
seiner inkarnationen, obwohl die Khmer den ganzen<br />
tempel ursprünglich der Hindu-Göttin Shiva<br />
gewidmet hatten. Die ersten pläne zum Bau der<br />
anlage werden einem Sohn König Jayavarman ii zu -<br />
ge schrieben, das müsste dann im 9. Jahrhundert<br />
gewesen sein. insgesamt zogen sich die Bauarbeiten<br />
vom 10. bis ins 12. Jahrhundert. aber während die Khmer üblicherweise<br />
nach dem tod ihrer Könige deren tempel dem Verfall preisgaben,<br />
wurde preah Vihear über drei Jahrhunderte hinweg, von den folgenden<br />
Königen, bis zum tod König Suyavarman ii, immer wieder erweitert, ergänzt<br />
und verschönert.<br />
Trotz der Präsenz einiger hundert bewaffneter kämpfer auf dieser<br />
Seite des Prasat Preah Vihear wirkt die Szenerie nicht wirklich<br />
gefährlich. Das mag daran liegen, dass sich nahezu jeder ein lächeln<br />
entlocken lässt; einer von ihnen führt mich gar, sicher nicht ganz selbstlos,<br />
zu einem besonders gut erhaltenen, hinter Gesteinstrümmern verborgenen<br />
Relief mit dem auf einem Büffel reitenden Krishna.<br />
Und dennoch – die lage ist angespannt. erst recht, seit vor wenigen<br />
tagen auf der anderen Seite des Berges ein thailändischer parlamentsabgeordneter<br />
mit seiner entourage trotz dringlicher Warnungen der<br />
Grenzposten illegal auf kambodschanisches Hoheitsgebiet vorgedrun