Rotary Magazin 10/2023
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SCHWERPUNKT – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – OKTOBER <strong>2023</strong><br />
ROTARIER IM FOKUS<br />
«DAS WORT DIENEN IST FÜR MICH KEINE FLOS<br />
22<br />
Prof. Dr. phil. Marcel Tanner ist Präsident der Akademien der<br />
Wissenschaften Schweiz und vielgefragter Experte für Public<br />
Health und Wissenschaftspolitik. Als Rotarier – Mitglied des RC<br />
Basel-Spalen seit 1997 – wird er am Jubiläum «<strong>10</strong>0 Jahre <strong>Rotary</strong><br />
in der Schweiz und in Liechtenstein» am 22. Juni 2024 im Kursaal<br />
in Bern die Festrede halten.<br />
Marcel Tanner, geboren am 1. Oktober<br />
1952 in Basel, scheint auch mit 71 rastlos<br />
unterwegs zu sein. Sein nach wie vor grosser<br />
Einsatz für die Gemeinschaft ist alles<br />
andere als selbstverständlich. «Das Wort<br />
Dienen ist für mich keine Floskel», beteuert<br />
unser Gesprächspartner. Arbeit empfinde<br />
er nicht als Belastung. Man müsse inklusiv<br />
denken und handeln, nicht exklusiv. Er<br />
meint damit: «Wenn man Ja gesagt hat zu<br />
einer Idee, muss man auch dazu beitragen,<br />
dass diese umgesetzt werden kann.»<br />
Trotz mannigfaltiger Verpflichtungen<br />
nimmt sich Rot. Tanner auch Zeit für ein<br />
Privatleben. «Ich lese gerne, spiele Tennis<br />
und mache mit meiner Frau Suzanne,<br />
wenn immer möglich, Morgenspaziergänge<br />
durch den Allschwiler Wald.» Seine<br />
Gemahlin hat er vor 50 Jahren kennengelernt.<br />
Tanners sind Eltern von drei<br />
Kindern, den 41-jährigen Zwillingen Lukas<br />
und Kathrin sowie der 38-jährigen Tochter<br />
Sabine. Auch ihre fünf Enkelkinder sind bei<br />
ihnen jederzeit willkommen. Wie sieht er<br />
die Verbindung zu seiner Heimatstadt, die<br />
ihm 2017 auf dem «Walk of Spalebärg»<br />
sogar eine Ehrentafel gewidmet hat? «Ich<br />
war viel in Afrika, Australien und im Pazifik<br />
Rot. Marcel Tanner<br />
tätig, bin aber immer wieder mit Vergnügen<br />
nach Hause gekommen», bekennt er.<br />
Fasnächtler sei er zwar nicht, habe aber<br />
immerhin während 20 Jahren die Verse<br />
der Schnitzelbänkler «Zahnstocher» mitbegutachtet.<br />
VOM ELTERNHAUS GEPRÄGT<br />
Sein Elternhaus habe ihn geprägt, ihm<br />
soziales Verhalten als Lebensschulung mit<br />
auf den Weg zu geben, sagt Marcel<br />
Tanner. Als Pfadfinder habe er gelernt,<br />
Verantwortung zu tragen, auch Risiken<br />
einzugehen. Papas Eltern waren Verdingkinder,<br />
erlebten eine anspruchsvolle<br />
Jugendzeit. Sie brachten ihrerseits den<br />
Kindern bei, was Bodenhaftung bedeutet.<br />
Marcels Mutter war Verkäuferin.<br />
Ursprünglich Sattler-Tapezierer, initiierte<br />
Marcels Vater, dass sein Arbeitgeber,<br />
Coop Basel, in den Handel von Orientteppichen<br />
einstieg. Sein Interesse an der<br />
Natur und die Motivation, Medizin mit<br />
Vertiefung in Biologie zu studieren, verdanke<br />
er vor allem auch dem Grossvater<br />
mütterlicherseits, einem Kleinbauern,<br />
Land rat und auch Eichmeister. «Ich war<br />
der Erste in meiner Familie, der in eine<br />
Universität eintreten durfte.» Vorher<br />
besuchte er das Wirtschaftsgymnasium,<br />
schloss dieses mit der Handelsmatur ab<br />
und verbrachte danach ein halbes Jahr auf<br />
einer Farm in Kanada.<br />
Seine Herkunft aus einer Generation<br />
mit handwerklichem Bezug begründet<br />
auch, weshalb Marcel Tanner barsch<br />
reagiert, wenn man versucht, den gymnasialen<br />
Weg gegen die berufliche Grundbildung<br />
auszuspielen. «Wer den akademischen<br />
Weg als alleinseligmachend<br />
anpreist, denkt elitär und liegt völlig<br />
falsch.» Er freue sich über das duale,<br />
durchlässige Berufsbildungssystem der<br />
Schweiz, das auch einem Schreinerlehrling<br />
ein späteres ETH-Studium ermögliche.<br />
Oberflächlichkeit mag Marcel Tanner ganz<br />
und gar nicht. Für schnelle Interviews sei<br />
er nicht zu haben. «Ich ärgere mich, wenn<br />
jemand wie ein Floss auf dem Wasser<br />
vordriftet anstatt mit einem Kiel mit Tiefgang.»<br />
Mitmenschen seien sich oft nicht<br />
bewusst, woher sie kommen. «Wer das<br />
nicht weiss, weiss auch nicht, wo er hingeht.<br />
Man sollte niemals seine Wurzeln<br />
verleugnen.» Gerade deswegen habe er<br />
über seine Abschiedsvorlesung an der<br />
Universität Basel am 15. Dezember 2017<br />
den Titel gesetzt: «No roots, No fruits.»<br />
Wo kein Weg ist, wachsen keine Früchte.<br />
FELDARBEIT IN TANSANIA<br />
Einen grossen Teil seiner Studienzeit verbrachte<br />
Marcel Tanner in den Labors des<br />
Schweizerischen Tropeninstituts in Basel<br />
(heute: Schweizerisches Tropen- und Pu -<br />
blic-Health-Institut, Swiss TPH). Rudolf<br />
Geigy, der Gründer dieses Instituts, war<br />
ein Pionier in experimenteller Embryologie<br />
und Genetik. Parasitologie war schon vor<br />
mehr als dreissig Jahren ein Kernthema am<br />
Swiss TPH. Noch vor dem Abschluss seiner<br />
Dissertation über Trypanosomen, also<br />
einzellige Parasiten, die die Afrikanische<br />
Schlafkrankheit übertragen, half er, in<br />
Kamerun Antigene für bessere Diagnostika<br />
gegen die afrikanische Flussblindheit<br />
zu entwickeln. Was er in diesem Land sah,<br />
hinterliess tiefe Spuren: Dorfbewohner,<br />
geplagt von Durchfall, Atemwegserkrankungen,<br />
Malaria und faulen Zähnen. In<br />
einfachsten Häusern gab es keine sanitären<br />
Einrichtungen und auch keinen Strom,<br />
Frauen und Kinder mussten Trinkwasser<br />
aus abgelegenen Flüssen schöpfen. Das<br />
war die Ursache für unermessliches Leid.<br />
1981 liess sich Marcel Tanner in Tansania<br />
nieder, um das 1957 von Geigy<br />
gegründete Swiss Tropical Institute Field<br />
Laboratory in Ifakara zu leiten. Während<br />
vier Jahren führte er Forschungs- und<br />
Umsetzungsprogramme in Partnerschaft<br />
mit der Bevölkerung weiter. Als 29-Jähriger<br />
ohne ergraute Schläfen musste er es<br />
zuerst schaffen, von den einheimischen<br />
Granden akzeptiert zu werden. Es sei ihm<br />
gelungen, Behörden und Spitäler zu über-