ZICKGRAF, A. (1914): Schreibweise und Aussprache der botanischen

33
Ähnlichkeit mit einem bekannten zeitgemäßen oder Tageswichtigkeit
aufweifenden Wort zeigt. Dann wird die Betonung immer nach dem
bekannten Klang eingerichtet und in vielen Fällen ift dies eben falfch.
Diefen Vorgang kann man an dem Beifpiel des Alkohols ganz gut
verfolgen. Bevor der Kampf gegen ihn und die eifrige Aufklärung
über feine Gefahren eingefetzt hatte, waren der Menge fchon bekannt
das Karbol, Formol vom Krankenbett, das Odol, Javol vom Wafch=
tifch oder Reklamebild. Eine Zeitlang mußte ja jedes neue Präparat
irgend eines Zweiges der Chemie oder Technik ganz finn= und ver=
ftandlos auf —61 oder —äl endigen. 1 ) Als nun plötzlich die ganze
Gefährlichkeit des Alkohols dem Bewußtfein des Einzelnen näher
gerückt wurde, da ließ fich der neue Name den bisher gekannten ganz
prachtvoll anreihen und deshalb fagt die Mehrheit des Volkes
jetzt Alkohol, denn daß die arabifche Herkunft ebenfowenig wie die
franzöfifche Ausfprache daran fchuld ift, braucht in diefem Fall gar
nicht bewiefen zu werden. Außerdem haben wir ja noch eine ganze
Reihe gleich betonter Wörter, die fchon vor der öl=Seuche unferm
Sprachfehatz einverleibt waren, fo Casseröl, Terzerol, Pistöl, das
letzte allerdings nur noch veraltet zugunften der Piftole, außerdem
die Aureole, Fumaröle, Banderole (Zigaretten» und Schaumwein»
Steuer!). So wird auch nicht Cärolus betont (Kaifer Karölus hat einen
Hund, heißt es in dem Rätfei!), wohl aber Carola. Dadurch ift auch
die falfche Ausfprache einiger botanifchen Namen bedingt. Die
richtige Betonung ift alfo: Azärolus, calceolus, Clipeola, Corrigiola,
Euxolus, Gladiolus (aber die Gladiolen der Gärtner!), galeöbdolum,
laureola, Phaseolus, Pirola, Radiola, Seriola, Tropäeolum, urceola,
Viola, arvicolus, rupicolus. Die beiden letzten Wörter find an=
gefchloffen, weil fie in der Betonung mit den andern zufammen
geworfen werden, obwohl hier die Endung — colus ift. Die Endung
—ulus dagegen wird meift trotz herkulisch und kurülisch richtig
betont. 2 ) Aber graveolens und suaveolens teilen das Gefchick aller
mit Oleum zufammenhängenden Wörter, falfch ausgefprochen zu
werden. Denn wenn auch heute Petroleum durchgedrungen ift
(allerdings meift in der Form Petrölium), fo fagen doch drei Viertel
der Deutfchen nicht Linoleum, fondern falfch betont Linoleum;
gegen Carbolineum in der falfchen Betonung Carbolineum ift gar
nicht aufzukommen, da fetzt fich nur d e r in den Verdacht der falfchen
2
•) Eines der fchönften Beifpiele, das dem Verfaffer bekannt wurde, ift das
Borsal. — Während man es fonft mit falfchen oder unfinnigen Neu=
bildungen mit Hilfe von Anhängfilben zu tun hat, wurde hier, ebenfo
wie man Pferde und Hunde „coupiert" — zu Deutfeh ihnen den Schwanz
abfehneidet, der allbekannten und altberühmten Bor^Salbe die letzte
Silbe genommen und damit ein „modernes Reklamewort" gefchaffen.
) Asperula, calendula, campänula, cotula, hirculus, inula, lavändula,
serrätula, speculum, spergula, aber edülis.
291