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IZ P olicy P apers - instytut zachodni w poznaniu - Poznań

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tief gehende Reflexion über die Vergangenheit unmöglich machten, zumal<br />

keine Eliten existierten, die von sich aus bereit gewesen wären, sich mit dem<br />

faschistischen Erbe auseinanderzusetzen. Nationen brauchen Zeit für ein<br />

Umdenken über sich selbst (C. Meier) 5 ; man konnte keinen schnellen und<br />

wundersamen Wandel der deutschen Nation erwarten (H.-U. Wehler) 6 .<br />

Die deutsche Gesellschaft war in der Tat jahrzehntelang eine postnazistische<br />

Gesellschaft, in der Abwehrmechanismen das Verhältnis zur verbrecherischen<br />

Vergangenheit bestimmten. 1983 stieß Hermann Lübbe mit seiner<br />

These, dass das Totschweigen der nationalsozialistischen Vergangenheit<br />

eine Voraussetzung für den demokratischen Aufbau in der Bundesrepublik<br />

gewesen sei, auf massiven Widerspruch7 . Inzwischen hat diese Ansicht allerdings<br />

viel von ihrer damaligen Brisanz verloren. Viele Historiker sind der<br />

Meinung, dass das kollektive „Beschweigen” der Naziverbrechen nicht nur<br />

die Integration der alten Funktionseliten ermöglichte, sondern die gesamte<br />

Gesellschaft integrierte (J. Rusen) 8 . Dies war eine gut durchdachte Strategie<br />

die postnazistische Gesellschaft zu demokratisieren. Warum war eine solche<br />

Strategie des Beschweigens notwendig gewesen? Hermann Lübbe hat eine<br />

einfache Antwort auf diese unbequeme Frage: Selbstverständlich wäre das<br />

Beschweigen völlig überflüssig gewesen, wenn der Nationalsozialismus nur<br />

eine kleine Anhängerschaft gehabt hätte, die anschließend vor Gericht gestellt<br />

oder per Erlass aus allen öffentlichen Ämtern entfernt worden wäre. In den<br />

Nationalsozialismus verstrickt gewesen war jedoch die Mehrheit der Deutschen,<br />

mit der nach dem Krieg eine Demokratie aufgebaut werden sollte, und<br />

auf deren Gefühle Rücksicht genommen werden musste, weil aus ihr plötzlich<br />

Wähler wurden. Lübbe macht sich lustig über die These, die unrühmliche<br />

Vergangenheit sei verdrängt worden. Sie erkläre nichts, behauptet er, und gehe<br />

davon aus, dass das, was Millionen Menschen täglich mit angesehen haben,<br />

vergessen worden wäre. Seiner Ansicht nach versuche man auf diese Weise das<br />

moralische und politische Problem durch ein therapeutisches zu ersetzen, die<br />

These der Verdrängung der Vergangenheit in breiten Kreisen der Gesellschaft<br />

diene lediglich dazu, dem Anspruch der intellektuellen Eliten auf moralische<br />

und politische Dominanz Geltung zu verschaffen.<br />

Bis Ende der Fünfzigerjahre wandte sich die bundesrepublikanische Gesellschaft<br />

vom Problem der Verantwortung für die Verbrechen des Dritten<br />

Reiches ab. Das Gros verurteilte Hitler und seine „Clique” vor allem wegen<br />

der Niederlage, die ihm angelastet wurde, wegen der Gebietsverluste und<br />

wegen der Schwierigkeiten im Nachkriegsalltag. Man schob Hitler die Schuld<br />

5 C. M e i e r, Vierzig Jahre nach Auschwitz. Deutsche Geschichtserinnerung heute, München<br />

1990, S. 86-89.<br />

6 H.-U. W e h l e r, Umbruch und Kontinuität. Essays zum 20. Jahrhundert, München 2000,<br />

S. 13.<br />

7 H. L ü b b e, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: „Historische<br />

Zeitschrift“, (3)1983, S. 585.<br />

Die Deutschen als Täter und Opfer<br />

8 J. R u s e n, Holocaust, Erinnerung, Identität. Drei Formen generationeller Praktiken des Erinnerns,<br />

in: H. W e l z e r (Hrsg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung,<br />

Hamburg 2001, S. 248.<br />

<strong>IZ</strong> P<strong>olicy</strong> P<strong>apers</strong> • nr 1(II) • www.iz.poznan.pl 29

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