IZ P olicy P apers - instytut zachodni w poznaniu - Poznań
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Das Erinnern institutionalisierter Gewalt und die historische Semantik<br />
flüchteten und vertriebenen Deutschen in den westlichen Besatzungszonen.“<br />
Besonders bedeutsam sind ihre Überlegungen zur Konstruktion von Begriffen:<br />
„Der Begriff ‚Flüchtlinge und Vertriebene’ ist keine deskriptive Bezeichnung,<br />
sondern die Konstruktion einer ganz bestimmten und umstrittenen Form<br />
der Erinnerung, die in den westlichen Besetzungszonen, vor allem aber in<br />
der Bundesrepublik mit der Unterstützung aller im Bundestag vertretenen<br />
Parteien und dementsprechend mit staatlicher Förderung in den fünfziger<br />
Jahren entwickelt und seitdem gepflegt wurde.“ 29<br />
Kehren wir jedoch zur eben zitierten normativen Direktive zurück:<br />
„dürfen eine Bezeichnung, die den Emotionsgrad gesellschaftlicher Gefühle<br />
wiedergibt, nicht ändern“. Zugleich ist das Argument zu untersuchen, der<br />
diskutierte Begriff bringe „die wahren Empfindungen der Bevölkerung zum<br />
Ausdruck“. Worum geht es in der heutigen Diskussion: um elementare Ausbrüche<br />
von Schmerz und Trauer oder um Gedächtnis? Das Gedächtnis ist<br />
niemals interesselos: für einige Dinge, die ins Gedächtnis gerufen werden,<br />
erhält der betreffende Mensch eine Belohnung, für andere wird er, etwa durch<br />
Frustration oder Schuldkomplexe, bestraft. Die genannten Forscher verwechseln<br />
die elementare Welt der Gefühle mit deren kultureller Artikulation. Das<br />
grundsätzliche Argument der Herausgeber des Sammelbandes Wypędzeni ze<br />
wschodu [Vertriebene aus dem Osten] lautet ähnlich: „[W]ir sehen in der ‚Vertreibung’<br />
nicht die Kategorie einer komplexen Beschreibung des historischen<br />
Phänomens der Aussiedlungen, sondern denjenigen Teil davon, der sich auf<br />
individuelle, emotional gefärbte Erlebnisse bezieht.“ ─ Der Begriff „Exil“ oder<br />
„Vertreibung“ wird erst dann zu einem übergeordneten beschreibenden Terminus,<br />
wenn es gelingt, seine Herkunft und seine immer noch vorhandene<br />
Verflechtung mit der Tagespolitik zu eliminieren.<br />
Der Unterschied zwischen „Vertreibung“ und „Zwangsaussiedlung“ beruht<br />
meiner Ansicht nach darauf, dass im Falle des ersten Begriffs seine Konnotationen<br />
gestatte(te)n, die Betroffenen auf die Rolle von Opfern, von bloßen<br />
Opfern, zu reduzieren. Die Opfer der Vertreibung werden nicht einmal zu<br />
historischen Zeugen berufen; im Hinblick auf ihren Schmerz und ihr Leiden<br />
soll es ihnen sogar erlassen werden, Zeugnis abzulegen. Götz Aly und Karl<br />
Schlögel – im Übrigen hervorragende Kenner der Problematik des „kurzen<br />
Jahrhunderts“ – behaupten, „gegen einzelne Vertreibungsopfer [Deutsche] lässt<br />
sich nicht mit der Aktion ‚Generalplan Ost’ oder dem Schlagwort Auschwitz<br />
argumentieren“. 30 Dem ist kaum zu widersprechen: Wenn man der persönlich<br />
erlebten oder auch im kulturellen Gedächtnis sorgfältig konservierten<br />
Deprivation eine Lehrbuchwahrheit gegenüberstellt, sollte man nicht auf eine<br />
erfolgreiche Überzeugungsarbeit hoffen. Denn beide Argumente gehören zu<br />
unterschiedlichen „Ebenen“ des Erinnerungsdiskurses. Das erste stützt sich<br />
29 E. H a h n u. H. H e n n i n g H a h n, Flucht und Vertreibung, in: E. F r a n ç o i s u.<br />
H. S c h u l z e (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 1, München 2001, S. 338f.<br />
30 H.-J. B ö m e l b u r g u. R. T r a b a, Wprowadzenie, in: H.-J. B ö m e l b u r g, R. S t ö ß i-<br />
n g e r, R. T r a b a (Hg.), Wypędzeni ze wschodu. Wspomnienia Polaków i Niemców, Olsztyn<br />
2001, S. 9.<br />
<strong>IZ</strong> P<strong>olicy</strong> P<strong>apers</strong> • nr 1(II) • www.iz.poznan.pl 57